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Politik

Bolton in Ankara: Was wird aus den Kurden?

Gökhan Yivciger
7. Januar 2019

Wenn US-Sicherheitsberater John Bolton in die Türkei reist, soll er Ankara beruhigen und die syrischen Kurden schützen. Nahostexperte Serhat Güvenc im DW-Gespräch über eine heikle Mission und enge Handlungsspielräume.

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Syrien YPG in Rakka
Bild: picture-alliance/dpa/S. Suna

Seit US-Präsident Donald Trump angekündigt hat, die US-Truppen in Syrien abzuziehen, droht ein Militäreinsatz der Türkei in Syrien gegen die Kurden, mit denen die US-Truppen bisher im Kampf gegen den sogenannten "Islamischen Staat" (IS) verbündet waren. Das ist vor allem die syrisch-kurdische YPG-Miliz, der bewaffnete Arm der Partei der Demokratischen Union (PYD), die als syrischer Ableger der PKK gegründet wurde. Die Regierung in Ankara sieht sie deshalb als Terrorgruppe.

Vor diesem Hintergrund reist am Dienstag John Bolton nach Ankara, Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump. Bolton hat vorab betont, die USA wollten vor ihrem Truppenabzug von der Türkei Garantien für die in Syrien kämpfenden Kurden fordern: "Wir denken nicht, dass die Türken Militäroperationen unternehmen sollten, denen die USA nicht voll und ganz zugestimmt und entsprechendes mit ihnen abgestimmt sind." Als weitere Voraussetzung nannte Bolton, "dass die Terrormiliz 'Islamischer Staat' geschlagen ist und sich nicht wieder erholen und erneut eine Bedrohung werden kann".

Gegenüber DW erläutert Serhat Güvenc, Experte für Internationale Beziehungen in Istanbul, die Ausgangslage und die möglichen Folgen des Treffens.

"Der Türkei geht es weder um Assad noch um den IS"

Deutsche Welle: John Bolton hat die Themen benannt, über die er in Ankara sprechen will. Welche Seite, denken Sie, wird zufriedener aus den Gesprächen herausausgehen? 

Prof Serhat Guvenc ist der Meinung dass die Türkei das Regime in Damaskus und Russland sehr genau beobachten muss
Serhat Güvenc: "Trump hat außenpolitische Probleme"Bild: Kadir Has University

Serhat Güvenc: Ich denke, das wird die Türkei sein. Seit dem Zeitpunkt, als der "Islamische Staat" in Syrien wirklich mächtig war, kann Ankara von Washington bekommen, was es verlangt. Nämlich, dass die Türkei die Kontrolle über die Region hat. Seitdem die syrisch-kurdische Partei PYD und ihre Miliz YPG starke Akteure geworden sind, stellte die Türkei in Washington immer folgende Forderung: "Arbeite nicht mit der YPG zusammen, sondern mit uns. Lass uns im Kampf gegen den IS an Eurer Seite sein."

Zu jener Zeit aber merkte das Pentagon, dass die YPG für die USA ein nützlicher Partner war und stand der Türkei eher distanziert gegenüber. Der anstehende Besuch zeigt also, dass sich das Blatt nun gewendet hat und dass die Türkei nun im Nahen Osten und besonders in Syrien als Partner betrachtet wird. Dieser Besuch zeigt also, wie wichtig die Türkei ist. 

Bolton hat auf Twitter geschrieben, Die USA würden "an der Seite derer stehen, die mit uns gegen den IS gekämpft haben". Es ist offensichtlich, dass er damit die YPG meint. Wie werden die USA nach ihrem Abzug aus Syrien die Sicherheit der Kurden gewährleisten?

Das ist der umstrittenste Punkt bei dem Treffen. Die USA erheben keinen Einwände dagegen, dass die türkische Armee gegen den IS kämpft. Gleichzeitig aber will Washington, dass dem einstigen Verbündeten der USA, der YPG, kein Schaden zugefügt wird. In diesem Punkt werden die USA versuchen, von der Türkei Zusagen zu bekommen. Das ist die Sollbruchstelle, denn für die Türkei stehen in Syrien, besonders im Osten des Euphrat, weder Assad, noch der IS im Vordergrund. Die Türkei wird, während sie gegen den IS kämpft, gleichzeitig alles tun, um die YPG zu zerschlagen. Wenn die USA hier Garantien haben wollen, wird das nicht leicht sein. 

Die US-Regierung will ihr Militär so lange in Syrien behalten, bis die Türkei sich zum Schutz der Kurden verpflichtet
Wie lange werden sie bleiben? US-Militärs und syrische VerbündeteBild: Getty Images/AFP/D. Souleiman

Kann die Türkei überhaupt solche Garantien geben? Oder reicht es, wenn sie erklärt, dass sie den IS bekämpfen wird?

Für Trump stand der Kampf gegen den IS an erster Stelle und er war glücklich, diese Aufgabe an die Türkei abgetreten zu haben. Doch dann erhoben verschiedene Akteure in Washington Einwände. Jetzt gibt es einen differenzierteren Ansatz, der heißt: "Der IS soll bekämpft werden, aber ein eventueller militärischer Einsatz der Türkei darf nicht zu einer Zerstörung der YPG führen." Es reicht also nicht, nur den Befehl zu geben, den IS zu bekämpfen. Washington will seine Verbündeten nicht im Stich lassen.

Das alleine mit einer Sympathie für die YPG zu erklären, wäre nicht richtig. Wenn Washington die Region der Türkei überlässt, könnte es sein, dass die Türkei die US-amerikanischen Interessen nicht so stark vertritt, wie die USA das gerne hätten. Demzufolge ist es gut möglich, dass es auch darum geht, den Handlungsspielraum Ankaras einzuschränken.

"Ankara muss Moskau und Damaskus überzeugen"

Bleiben die USA in Bezug auf die YPG der einzige Ansprechpartner der Türkei? Oder ist zu erwarten, dass mit dem Abzug der USA Russland, der Iran oder sogar die Führung in Damaskus an Einfluss gewinnen?

Wenn wir an die Operationen in Manbidsch denken, sehen wir, dass die Türkei das Regime in Damaskus und Russland sehr genau beobachten muss. (Im nordsyrischen Manbidsch hatten kurdische Milizen die Assad-Truppen aufgefordert, die Stadt einzunehmen, um einem türkischen Angriff zuvorzukommen, Anm. d. Red.)

Eins dürfen wir nicht vergessen: Russland, der Iran und Syrien betrachtet die YPG nicht als Terrororganisation, die bekämpft werden muss. Daher muss die Türkei sowohl Moskau als auch Damaskus überzeugen. Sie muss dabei sehr diplomatisch sein und die verschiedenen entgegengesetzten Parteien befrieden. Ein erster Schritt wurde vergangene Woche gemacht. Eine türkische Delegation reiste nach Moskau, aber bislang sieht es nicht danach aus, als sei das erwünschte Ergebnis erzielt worden.

"Washington will den Iran umzingeln"

Angenommen, Washington erhält bei den Gesprächen in Ankara nicht die erwarteten Garantien, die Türkei verzichtet beispielsweise nicht auf ein militärisches Vorgehen gegen die YPG. Könnten die USA ihren Abzug aus Syrien aufschieben?

"Wir denken nicht, dass die Türken Militäroperationen unternehmen sollten, denen die USA nicht voll und ganz zugestimmt." so , Bolton.
In schwieriger Mission: John BoltonBild: picture alliance/AP Photo/C. Owen

Es ist schwierig, darüber zu spekulieren. Wir haben es in den USA nicht mit einem geschlossen auftretenden außenpolitischen Apparat zu tun. Es hängt also auch davon ab, wie das Kräfteziehen in Washington ausgeht.

Bolton ist ein interessanter Player. Er steht entschieden in Opposition zum Iran. Sein Blick auf Syrien wird vollkommen bestimmt von seiner Überzeugung, dass der Iran eingekreist werden muss. Daher werden Akteure wie Bolton nicht darauf bestehen, dass sich die US-Truppen zurückziehen.

Trump hat ohnehin Probleme mit seiner Außenpolitik. Der neue Kongress hat mit seiner Arbeit begonnen. In der Frage der Mauer zu Mexiko steckt die Regierung fest. Für den Moment könnte es also gut sein, dass Trump nicht auf den Abzug der Truppen aus Syrien besteht. Für eine Weile könnte also der Flügel, der gegen einen Abzug ist, Oberhand haben.

"Die Gespräche könnten das Gleichgewicht in der Region verändern"

Falls Washington konkrete Pläne entwickelt, den Iran einzukreisen, besteht dann die Möglichkeit, dass die Türkei in diese Pläne einbezogen wird? Könnte das Teil der Verhandlungen sein?

Wir können davon ausgehen, dass das indirekt mit verhandelt wird, denn Trump will nicht extra Soldaten und Geld für den Kampf gegen den IS einsetzen. Aber die Isolierung des Iran ist für einige Akteure in Washington äußerst wichtig. Es gibt keinen Zweifel daran, dass es hier Erwartungen an die Türkei gibt. Ich nehme an, man will schauen, inwiefern die Türkei die US-amerikanischen Streitkräfte ersetzen kann.

Inmitten dieser entgegengesetzten Interessen ist der Iran aber auch ein Akteur, mit dem die Türkei zusammenarbeitet. Zumindest hat sie dem Land bislang diplomatisch nicht auf die Füße getreten. Die Türkei muss nun ihr Verhältnis zum Iran in einer konfliktgeladenen und konkurrierenden Atmosphäre neu sortieren. Daher sind die Verhandlungen in Ankara so bedeutsam. Sie könnten die Dynamik und das Gleichgewicht in der Region verändern.

Serhat Güvenc ist Professor am Fachbereich Internationale Beziehungen an der Kadir Has Universität in Istanbul.

Das Gespräch führte Gökhan Yivciger.