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Wie sicher sind Synagogen in Deutschland?

27. September 2020

Jüdische Gemeinden in Deutschland feiern das erste Jom Kippur seit dem Anschlag auf die Synagoge in Halle vor einem Jahr. Was hat sich seitdem für die Sicherheit der Gotteshäuser getan?

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Jüdische Liberale Gemeinde Köln | Gebetsraum
Der Gebetsraum der Jüdischen Liberalen Gemeinde Köln Bild: Jüdische Liberale Gemeinde Köln

Jüdischer Feiertag Jom Kippur

Fast ein Jahr ist es her: Am 9. Oktober 2019 versuchte ein schwer bewaffneter Mann mittags in die Synagoge in Halle einzudringen. Nur die stabile Holztür bewahrte die mehr als 50 jüdischen Gläubigen darin vor einer Katastrophe. Zwei Passanten, die nicht zur jüdischen Gemeinde gehörten, kamen bei dem Anschlag ums Leben.

Am Abend des 27. September dieses Jahres hat nun erneut der höchste jüdische Feiertag begonnen. Rafi Rothenberg hat einen Weg gefunden, in seiner Gemeinde mit den Schrecken des Anschlags umzugehen, ohne, dass das diesjährige Fest davon überschattet wird. Der 70-Jährige steht einer kleinen liberalen Gemeinde in Köln vor, rund 160 Menschen gehören ihr an. Rothenberg hat einen Film vorbereitet, den er seiner Gemeinde zu Beginn und am Ende des Jom-Kippur-Festes zeigen wird. Darin werden Fotos zu sehen sein: von der Klagemauer in Jerusalem, von leeren Feiertagsstraßen in Israel, von einem Jom-Kippur-Fest vor vielen Jahrhunderten. Inmitten dieser Fotos wird auch eines der Holztür in Halle zu sehen sein mit den Einschusslöchern - ein Bild, das es zu trauriger Berühmtheit gebracht hat.

Deutschland Halle nach Anschlag auf Synagoge Einschusslöcher
Die Holztür an der Synagoge in Halle wurde inzwischen durch eine neue Tür ersetztBild: Getty Images/J. Schlueter

"Ich möchte nicht, dass das Judentum auf Antisemitismus reduziert wird", sagt Rothenberg. "Aber das Ereignis ist noch so nah, dass man es nicht verstecken sollte. Das wird aber die Freude am Gottesdienst nicht beeinflussen." Ihm ist wichtig, dass das Foto der Holztür eines unter vielen ist. Danach werde er ein schönes Motiv zeigen, vielleicht einen Sonnenuntergang.

Auch an anderen Orten in Deutschland haben sich Juden auf das Fest vorbereitet: In der Hauptstadt Berlin leben die beiden Israelis Nirit Bialer und Dekel Peretz. Beide sind seit über 14 Jahren in Deutschland. Nirit Bialer ist nicht religiös und begeht nicht alle jüdischen Feiertage, aber an Jom Kippur ist es ihr ein Anliegen, in die Synagoge zu gehen. "Es ist das Recht eines jedes jüdischen Menschen. Ich empfinde es fast als meine Pflicht, an Jom Kippur in die Synagoge zu gehen, auch für jene Juden und Jüdinnen vor mir, die das nicht tun konnten." Bialer und Peretz sind mit Überlebenden des Halle-Anschlags befreundet. Viele leiden noch immer unter dem Geschehenen, berichten sie, und auch für sie gehen die beiden dieses Jahr in die Berliner Synagoge am Fraenkelufer.

Synagoge Fraenkelufer in Berlin
Die Israelis Nirit Bialer und Dekel Peretz leben seit vielen Jahren in BerlinBild: Gönna Ketels/DW

Sicherheit in Zeiten von Corona

Aber es ist nicht nur die Erinnerung an den antisemitischen Anschlag, die die Jüdischen Gemeinden in diesem Jahr beschäftigt. Noch etwas anderes sorgt sie: die Sicherheit der Synagogen. In Zeiten der Coronavirus-Pandemie ist das eine besondere Herausforderung. Leo Latasch hat vor den hohen Feiertagen dadurch noch mehr zu tun als sonst. Der 67-jährige Mediziner ist in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main für die Sicherheit der 6500 Mitglieder zuständig. Wegen des Virus müssen die Gemeindemitglieder auf verschiedene Orte ausweichen, unter anderem werden Räume der jüdischen Schule geöffnet. Für Latasch bedeutet das: noch mehr Orte müssen gesichert werden.

Sicherheit war eines der drängendsten Themen nach dem Anschlag in Halle. Dass eine Holztür der einzige Schutz war, auf den sich die Betenden in der Synagoge verlassen konnten, lag laut Kritikern auch an der Polizei in Sachsen-Anhalt. Die Synagoge hatte keinen dauerhaften Polizeischutz, nur ab und zu fuhr ein Streifenwagen vorbei. Schuld am fehlenden Schutz war in Sachsen-Anhalt eine Regelungslücke, wie der Journalist und Buchautor Ronen Steinke in seinem Buch "Terror gegen Juden" kritisiert. Demnach hatte das Bundesland Sachsen-Anhalt zwar einen Staatsvertrag mit den Jüdischen Gemeinden geschlossen, der die Gemeinden mit dem nötigen Schutz versorgen sollte. Die Details wurden allerdings nie besprochen - und so blieben viele Synagogen fast gänzlich ungesichert. Ein folgenschwerer Fehler, wie sich am 9. Oktober 2019 zeigte.

Mittel wurden aufgestockt

Wenn, wie im Fall Halle geschehen, jüdische Menschen in Deutschland nicht in Sicherheit leben können, sorgt das angesichts der NS-Geschichte besonders in Deutschland für heftige Diskussionen. Auch deshalb ist seit dem Anschlag viel passiert. In den meisten Bundesländern sind seit dem Anschlag die Mittel für jüdische Gemeinden aufgestockt worden.

Symbolbild - Antisemitismus - Polizei vor Synagoge
Zäune und Polizeischutz sind für viele Jüdische Gemeinden AlltagBild: Getty Images/A. Koerner

Damit können die Gemeinden in schusssichere Türen, Zäune oder Einlassschleusen investieren. Zusätzlich hat die Bundesregierung angekündigt, weitere 22 Millionen Euro zum Schutz jüdischer Einrichtungen bereitstellen zu wollen, um die Schutzvorkehrungen auf ein bundeseinheitliches Niveau zu heben. Die Realität zwingt die Jüdischen Gemeinden dazu, zu Festungen zu werden.

Leo Latasch in Frankfurt weiß, was das bedeutet. Die Synagogen seiner Gemeinde und weitere jüdische Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten und Seniorenzentren werden rund um die Uhr bewacht. Der Sicherheitsexperte arbeitet eng mit der örtlichen Polizei zusammen, nennt das Verhältnis "exzellent". Aber selbst hier in Frankfurt, wo man, wie es Latasch sagt, "jederzeit auf einen Anschlag wie in Halle vorbereitet ist", zeigt sich die Last, die Jüdische Gemeinden tragen müssen. Die Summe, die die Gemeinde Frankfurt aus eigenen Mitteln jedes Jahr für ihre Sicherheit ausgeben muss, übersteigt eine Million Euro. 90 Prozent davon werden für Sicherheitspersonal ausgegeben.

Der Grund: Die Polizei darf nur im Notfall auf das Gelände der jüdischen Einrichtungen, um nicht den Eindruck zu erwecken, sie arbeite für die Gemeinde. Wollen die Einrichtungen trotzdem auch auf dem eigenen Gelände immer geschützt sein, wird das teuer. "Die Kosten haben inzwischen eine Höhe erreicht, wo wir uns fragen, ob wir das noch selbst tragen müssen", sagt Latasch. "Aber ich bin mir sicher, dass wir eine Lösung finden werden. Halle hat den politischen Druck erhöht, jetzt endlich Geld in die Hand zu nehmen".

Für Buchautor Ronen Steinke steht fest, dass die Last der Kosten besonders für kleine Gemeinden zu hoch ist. "Nicht 50, 70 oder 80 Prozent der Sicherheitskosten der Synagogen müssen vom Staat geleistet werden, sondern 100 Prozent", sagt der gelernte Jurist bei einem Pressegespräch in Berlin. Denn Gefahrenabwehr sei Aufgabe des Staates, nicht der Betroffenen. "Alles andere ist nicht zu respektieren."

Wenn Dekel Peretz die Zäune um seine Synagoge am Fraenkelufer in Berlin sieht, schmerzt ihn der Anblick. "Es ist schwer, sich als Jüdische Gemeinde zu öffnen, denn Mauern sind nicht sehr einladend". Außerdem hätten er und Nirit Bialer festgestellt, dass die Menschen davor kaum realisierten, dass sich hinter dem Zaun eine Synagoge befindet. Und damit entgeht den Vorbeiziehenden auch, was nicht nur an Jom Kippur jeder Gefahr in Deutschland trotzt: jüdisches Leben.