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Jonathan Franzen: Freiheit

15. Oktober 2010

Mit "Die Korrekturen" wurde der US-amerikanische Autor Jonathan Franzen weltbekannt. Jetzt hat er mit "Freiheit" erneut einen großen Gesellschaftsroman vorgelegt - und einem Vogel ein Denkmal gesetzt.

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Buchcover Jonathan Franzen: Freiheit
Bild: rowohlt

Jonathan Franzen interessiert sich schon lange für Vögel. Vor ein paar Jahren nahm ihn eine Bekannte mit in den Central Park in New York, um die Zugvögel zu beobachten, die im Mai dort Halt machen. Innerhalb von wenigen Stunden sah er hunderte von verschiedenen Vogelarten – ein Erlebnis, das ihn so sehr beeindruckte, erzählt Franzen, dass er seitdem selbst ein aktiver Vogelbeobachter geworden ist. Sein Fernglas allerdings versteckt er meist, wenn er in den Park geht. Denn Vogelbeobachter gelten als "uncool", sagt Franzen. "Wenn Leute, die sich für cool halten, einen Vogelbeobachter sehen, ist er geradezu eine Beleidigung für ihre Coolness."

Ein fauler Kompromiss

Auch die Hauptfigur in seinem neuen Roman "Freiheit" gehört zu dieser uncoolen Spezies der Vogelbeobachter. Er heißt Walter Berglund und ist ein Naturschützer, der sich von einem zweifelhaften Öl- und Gas-Multimillionär überreden lässt, mit dessen Geld eine Stiftung zum Erhalt eines einzigen Vogels, des Pappelwaldsängers, zu gründen. Allerdings soll ein Pakt mit der Kohleindustrie eingegangen werden, um erst einmal Kohle zu fördern und später das Gebiet für den Vogel zu renaturieren. Früher wäre Walter auf solche faulen Kompromisse nicht eingegangen, doch jetzt stimmt er zu.

Der US-amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen (Foto: dadp)
Bild: dapd

Walter und seine Frau Patty leben in St. Paul im US-Bundesstaat Minnesota und erscheinen zunächst als durchweg integere Familie. Doch der Schein trügt: Der Sohn zieht plötzlich zu den Nachbarn, Patty hat Alkoholprobleme, und Walter verliebt sich in seine 20 Jahre jüngere asiatische Assistentin, die er in der neugegründeten Stiftung zugewiesen bekommt.

"Ihre Lippen waren da, ihr Mund war da, und sein Herz schien im Begriff, den Brustkorb zu sprengen, so pochte es. Küss sie! Küss sie! Küss sie!, sagte es zu ihm. Und dann klingelte sein BlackBerry. Der Klingelton war der Ruf des Pappelwaldsängers."

Mensch oder Tier – wer ist gefährlicher?

Da ist sie wieder, die heimliche Hauptfigur des Romans "Freiheit": der Pappelwaldsänger. Ausgehend von der Familie Berglund zeichnet Jonathan Franzen das feinfühlige Porträt der USA der letzten 30 Jahre. Walter, zunächst ein harmloser Naturliebhaber, wird ein immer radikalerer Vogelbeobachter, der aus Angst um die fliegenden Tiere auch schon mal Nachbars Kater verschwinden lässt. Um für die Rettung des Waldsängers zu werben, arbeitet er mit seinem besten Freund mit dem bezeichnenden Nachnamen "Katz" zusammen. Der aber hat mit Walters Frau Patty ein Verhältnis. Fragt sich also, wer für den Vogelliebhaber gefährlicher ist: Katze oder Mensch? Die Antwort auf diese Frage fällt dem etwas menschenscheu wirkenden Jonathan Franzen, dem ein Mann bei einer Lesung in London jüngst die Brille von der Nase gerissen und für die Rückgabe 100.000 Pfund Lösegeld verlangt hat, so leicht, dass er sie auf Deutsch beantwortet. "Na klar, der Mensch! Es ist schön, dass das Wortspiel auch einigermaßen wirkt auf Deutsch. Das Problem sind nicht die Katzen in den USA. Es sind die Besitzer der Katzen, die die Tiere nicht im Hause halten."

Den Hauskatzen, den potenziellen Killern seiner Lieblinge, spricht Jonathan Franzen also die Freiheit ab. Und den Menschen? Ihn nerven die Fragen, die auf den Titel seines Romans anspielen, sagt Franzen. "Ich verweise darauf, wie das Wort 'Freiheit' in der Politik und besonders in der Werbung missbraucht wurde", antwortet er dann doch. "Der Missbrauch des Wortes Freiheit in der Politik ist etwas spezifisch Amerikanisches. Aber überall auf der Welt verspricht man uns eine wachsende Freiheit durch neue Technologien und durch Konsum. Und es ist doch ziemlich erstaunlich, wie wenig die vermeintlich durch den Konsum bedingte Freiheit dem Glück entspricht."

Wachstum muss Grenzen haben

Jonathan Franzens neuer Roman ist auch eine Anregung zum Nachdenken darüber, was uns Menschen frei macht und wann diese Freiheit zu weit geht und die Umwelt in ihrer Existenz bedroht: "Für mich ist es eine durchaus hoffnungsvolle Vorstellung, dass Menschen einen Weg finden könnten, auch noch anderen Wesen als den Menschen das Leben auf der Erde zu ermöglichen", bemerkt Jonathan Franzen und weist darauf hin, dass wirtschaftlicher Wachstum in einer begrenzten Welt nicht unendlich sein kann. "Da mir nun mal Tiere und besonders Vögel am Herzen liegen, wünsche ich mir, dass wir verstehen, dass Wachstum irgendwann aufhören muss, bevor wir alles ausgelöscht haben und solange es noch ein paar Vögel in freier Natur gibt."

In seiner Autobiographie "Die Unruhezone" hatte Jonathan Franzen 2006 erzählt, dass er unmittelbar nach dem Tod seiner Mutter, ohne darüber nachzudenken, mit dem Beobachten von Vögeln begann. Vögel als Trost für den Tod eines Menschen - dieses Motiv findet sich auch im Schlussbild des Romans "Freiheit". In diesem großen amerikanischen Gesellschaftsroman erweist sich der Vogelbeobachter Franzen vor allem als feinsinniger Beobachter der Menschen und ihrer Befindlichkeiten.

Autor: Tobias Wenzel
Redaktion: Petra Lambeck

Jonathan Franzen: "Freiheit". Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Bettina Abarbanell und Eike Schönfeld. Rowohlt Verlag. 730 Seiten. 24,95 Euro.

Verbleibende Termine der Lesereise in Deutschland: 16. Oktober Renaissance Theater (Berlin), 17. Oktober Naturkundemuseum (Berlin)