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Jordanien und die Flüchlings-Flut

Tania Krämer10. November 2014

Jordanien gilt als sicherer Ort für die Flüchtlinge der Region. Viele Palästinenser, Syrer und Iraker suchen hier Zuflucht. Doch dem kleinen Land macht der Zustrom zunehmend zu schaffen. Eine Reportage von Tania Krämer.

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Jordanien Flüchtlingslager Azraq
Bild: World Vision/R. Neufeld

Container an Container - wohin das Auge reicht - reihen sich mitten im Niemandsland der jordanischen Wüste. Die frühe Morgensonne spiegelt sich in den weißen Dächern. Das Flüchtlingslager Azraq ist das derzeitige Zuhause für mehr als 13.000 Syrer, die vor dem Krieg in ihrer Heimat flüchten mussten. Auch für Syria und ihre fünf Kinder ist Azraq das neue Zuhause. Vor sechs Wochen sind sie nach Jordanien geflüchtet. Über drei Jahre waren sie den Kämpfen in Syrien ausgesetzt. Jetzt wurde die Bedrohung zu groß.

"Wir sind wegen IS geflohen, das Assad-Regime hat uns bislang verschont", sagt Syria. "Sie haben Angst in die Herzen unserer Kinder gepflanzt. Wenn die Kinder nicht wären, hätten wir uns in unserem Haus verschanzt und die Tür abgeschlossen. Aber jetzt mussten wir vor den IS-Milizen fliehen."

Die Familie stammt aus der Gegend um die Stadt Deir Az Zor im Osten Syriens. In Azraq sind sie zwar jetzt in Sicherheit, aber die Familie wartet auf Nachricht von Verwandten, die noch im Grenzgebiet darauf warten, nach Jordanien zu fliehen. Offiziell soll die Grenze zwar offen sein, doch seit einigen Wochen komme niemand mehr über die jordanische Grenze, sagt die Mutter. Dabei hoffe sie eigentlich, irgendwann wieder nach Syrien zurückkehren zu können. "In Syrien ist alles besser. Die Erde ist so kostbar für mich." Die junge Mutter fängt an zu weinen, wenn sie an die Heimat denkt.

Leben im Flüchtlingslager

Drei Jahre Krieg und die Flucht liegen hinter ihnen - sie haben viele schreckliche Dinge miterlebt, erzählt Syria. Und jetzt müssen sie sich an das Leben in der Wüste zu gewöhnen. Der Container ist spärlich eingerichtet - ein paar Decken, ein kleiner Gaskocher. Darauf kocht Syria heute Kartoffeln mit Zwiebeln, die Kinder trinken Tee und essen Fladenbrot

Das Flüchtlingslager Azraq wurde im April diesen Jahres in Betrieb genommen, jeder Neuankömmling wird in Azraq aufgenommen. Statt Zelte hat man hier gleich Container auf den steinigen Wüstenboden aufgestellt. Anders als das völlig überfüllte Flüchtlingslager Zaatari im Norden Jordaniens, ist Azraq weitläufig gebaut, aber auch völlig isoliert von anderen Städten durch seine Lage mitten in der Wüste.

Die vielen internationalen Helfer arbeiten unter Hochdruck daran, das Lager winterfest zu machen. Das deutsche THW hat das Camp mit aufgebaut, bessert derzeit die einfachen Toilettenanlagen aus. Noch gibt es keinen Strom im Lager, stattdessen spenden aufladbare Solarlampen abends etwas Licht.

Jordanien Flüchtlingslager Azraq
Flüchtlingslager AzraqBild: World Vision/R. Neufeld

Vor allem der bevorstehende Winter macht der Campleiterin des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) Bernadette Castel-Hollingsworth Sorgen. "Man kann schon sagen, dass mit den vielen Flüchtlings- und humanitären Krisen in der Region und der Welt die Aufmerksamkeit zu anderen Krisen gewandert ist. Aber wir fordern die internationale Gemeinschaft dringend dazu auf, die syrischen Flüchtlinge in Jordanien, in der Region und auch die Regierungen weiterhin zu unterstützen."

Das UN Flüchtlingshilfswerk hat bislang 613.000 Syrer in Jordanien registriert. Die Dunkelziffer könnte noch höher liegen, schätzen Beobachter. Mehr als einhunderttausend Syrer leben in Flüchtlingslagern wie Zaatari oder Azraq. Die meisten aber sind in Grenzstädten oder in der Hauptstadt Amman untergekommen.

Preise steigen - Löhne nicht

Zwar ist Jordanien bekannt für seine Gastfreundschaft, doch mittlerweile ächzt das kleine Land unter dem Zustrom. Ressourcen wie Wasser sind knapp, die Preise und Mieten gestiegen, klagen die Einheimischen in Ramtha, einer Stadt an der Grenze zu Syrien. Auf dem Markt erzählen Jordanier von den gestiegenen Preisen und fragen, wie sie so viele Flüchtlinge versorgen sollen.

Auch Eman Adawe kennt die Diskussion unter ihren Landsleuten. Die Jordanierin ist unterwegs zu einer syrischen Familie in Amman - mit gespendeten Kleidern. Die Nachbarschaftshilfe organisiert die Lehrerin privat und will damit ein Zeichen setzen. "Die Situation wird immer komplizierter. Die Jordanier regen sich auf, und die Syrer natürlich auch. Die Jordanier sagen, warum müssen wir mit all den Flüchtlingen in unserem Land fertig werden, und die Syrer sagen, ihr bekommt doch viel Hilfe nur wegen uns, also warum bekommen wir davon nichts ab. Das ist gerade die Stimmung in meinem Land."

Jordanien und Syrien waren schon immer eng miteinander verbunden, wirtschaftlich und kulturell, doch der lang andauernde Konflikt schaffe Spannungen, sagt Eman Adawe. Da brauche es viel Solidarität. "Ein Haus wie dieses hier wurde früher für rund 150 Dinar (ca. 167 Euro) vermietet. Aber jetzt nehmen die Leute das doppelte, 300 Dinar. Ein Jordanier kann sich das nicht leisten. Auch der Arbeitsmarkt ist betroffen, unsere Söhne finden keine Arbeit mehr, weil die Syrer für weniger Geld arbeiten. Ein Syrer bekommt keine Zusätze wie Gesundheitsvorsorge bezahlt, da sagt sich ein Arbeitgeber schon, ich nehme lieber den Syrer, der ist billiger, und den kann ich am Ende des Monats auch wieder ohne Probleme entlassen."

Keine Hoffnung auf Frieden

Die Familie aus dem syrischen Da'arra, die Eman Adawe besucht, kennt die Diskussion. Zuhause haben sie ein Haus besessen, die Kinder zur Schule oder an die Uni geschickt. Jetzt sind sie froh über jegliche Hilfe. Seit zwei Jahren sind sie in Jordanien, erst im Flüchtlingslager Zaatari, jetzt in dieser kleinen Wohnung am Rande von Amman und leben von Lebensmittelcoupons der UN und Spenden. Als Flüchtling bekommt der Vater keine Arbeitserlaubnis - wie die meisten könnte er nur illegal Arbeit suchen. Seiner Frau Weedad fällt es schwer, zuversichtlich zu sein.

Stadtansicht Amman Moschee
Exil in AmmanBild: picture-alliance/dpa

"Ich sehe nicht, dass es besser wird, denn es sieht nicht nach einer baldigen Lösung in Syrien aus. Jetzt fangen sie auch hier an, die Hilfe einzuschränken, wie soll ich dann die Kindern zur Schule schicken? Außer dem täglichen Überleben, was bleibt da noch? Da kann man nicht über die Zukunft nachdenken, man lebt von Tag zu Tag, und schon die nahe Zukunft ist ungewiss." Die Familie hat sich auf eine lange Zeit in ihrem Exil in Jordanien eingestellt. Syrer wie auch Jordanier müssen zusammenrücken - je länger die Krise und der Krieg andauert, umso größer ist die Herausforderung.