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Glaube

Josef und Jesus – zwei Leute und ihre Ideen von guter Arbeit

29. April 2023

Der erste Mai gehört seit dem 19. Jahrhundert den Arbeitern. Und seit 1955 feiert die katholische Kirche hier den Gedenktag „Josef der Arbeiter“. Dabei war Josef von Nazareth gar kein Arbeiter. Oder doch?

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Flash-Galerie Heiliger Josef
Bild: GFDL

Erster Mai, Tag der Arbeit: Kundgebungen gibt es an mehreren Orten in der Stadt. Auch ich bin dabei, seit langem einmal wieder. Eine ansehnliche Menschenmenge marschiert mit Blasmusik, Megafonen und Transparenten durch Hamburg-Bergedorf. Man sieht kaum junge Leute. Die meisten sind um die 60. Ich habe meinen fünfjährigen Sohn dabei. Aber dem ist die Musik zu laut, es beginnt zu regnen. Wir ergattern noch eine Bratwurst am Kundgebungsplatz hinter dem Rathaus und verschwinden.

Ich erinnere mich an eine Maikundgebung in Dortmund, meiner Heimatstadt. Ich war so alt wie mein Sohn. Die halbe Stadt war auf den Beinen. Der Redner hieß Willy Brandt.

Die Maifeiern sind nicht mehr das, was sie waren. Worum die Arbeiterbewegung einst kämpfen musste, heute meist selbstverständlich: Streikrecht, Mitbestimmung, Lohnfortzahlung bei Krankheit und so weiter.

Ja, auch heute gibt es Ausbeutung am Arbeitsplatz. Aber die Ausgebeuteten arbeiten nicht mehr in Stahlwerken und Fabriken, viele gehören keiner Gewerkschaft an.

 

Am ersten Mai feiert auch die katholische Kirche. Sie feiert den Gedenktag „Josef, der Arbeiter“. Dieses Fest hat Papst Pius XII. 1955 in den Kalender gesetzt. Josef von Nazareth sollte das Gegenbild der revoltierenden Arbeiter sein. Ein Mann, der nicht aufmuckt. Josef ist geduldig, fleißig, fromm, dem Willen Gottes ergeben.

Josef, der Arbeiter – warum nicht? Allerdings war Josef nach heutigen Begriffen kein Arbeiter. Sein Beruf wird im Neuen Testament mit dem griechischen Wort „Tekton“ angegeben. Ein Tekton machte alles, was zum Bau eines Hauses nötig ist. Er war Architekt, Maurer, Tischler, Bauunternehmer. Die Übersetzung „Zimmermann“ trifft also nur einen Teil seines Portfolios.

Das gleiche gilt für Jesus, der selbstverständlich den Beruf des Vaters ergriff. War Josef wirklich brav und geduldig? Das wissen wir nicht. Josef gehört zu den biblischen Figuren, die nie ein Wort sagen. Ja, Josef hört auf Gott. Aber der Gott seiner Vorfahren steht nicht für Geduld. Die Bundesgeschichte Israels beginnt mit einem Arbeiteraufstand. Die Fremdarbeiter in Ägypten sollen Lehmziegel produzieren und eines Tages auch noch den Rohstoff dazu stellen. Sie weigern sich, rufen zu ihrem Gott. Die Situation eskaliert und endet mit der Flucht des ganzen Volkes und dem Untergang einer Armee. (Exodus Kap.5)

Jesus hat nur wenig über seinen Beruf gesprochen. Das Baugewerbe kommt in seinen Reden nur einmal vor: „Der Stein, den die Bauleute verwarfen, ist zum Eckstein geworden“.

Holzarbeiten erwähnt er gar nicht. Dafür erzählt er aber jede Menge Geschichten aus der Welt der Arbeit: von der Arbeit der Ackerbauern, Hirten, Hausfrauen, der Vermögensverwalter, der Weinbauern. Alles, was die Arbeit ausmacht, kommt bei Jesus vor: Mühe, Scheitern, Erfolg, Wagnis und Feigheit, die Frage nach dem angemessenen und gerechten Lohn.

Die Welt der Arbeit ist für Jesus aber nur ein Bild. Jesus will anhand alltäglicher Erfahrungen erklären, wie Gott ist und wie das Reich Gottes ist. Nämlich ganz anders als im „normalen“ Leben. Gott handelt zum Beispiel nicht wie normale und vernünftige Arbeitgeber, sondern ganz anders. So in der Geschichte, in der ein Weinbergbesitzer über den Tag mehrere Arbeiter anheuert: Am Abend bekommen alle das gleiche Geld: Dafür haben einige zwölf Stunden lang gearbeitet, andere nur eine Stunde.

Ungerecht? Ja, das ist es.

Aber heute, da sich die Arbeitswelt in einem radikalen Veränderungsprozess befindet, finden sich überraschende Parallelen zu diesem Gleichnis. In England haben kürzlich 70 Unternehmen in einem Modellprojekt die Vier-Tage-Woche eingeführt. Ein Tag weniger Arbeit für den gleichen Lohn. Das Ergebnis: Die Beschäftigten waren genauso produktiv – und zufriedener. Auch anderswo wird experimentiert. „New Work“ heißt das Wort für Arbeitsweisen der Zukunft: Die Beschäftigten können sich aussuchen, wo und wann sie arbeiten, Teams sind flexibel und die Hierarchien fließend. Aber es gibt auch andere Tendenzen, wie gerade eine Studie (des Bundesinstituts für Berufsbildung und der TU Braunschweig) gezeigt hat: Zehn Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland sind „arbeitssüchtig“. Sie leben nur für ihre Arbeit und denken an nichts anderes.

Und Sie? Wie stehen Sie zu Ihrer Arbeit? Ist Arbeit eine Freude? Eine Last? Verkümmern Sie in einer öden Tätigkeit, die sie gar nicht tun wollen? Haben Sie mit Idioten zu tun oder begegnen Ihnen Menschen, die Ihnen gut tun? Hat Ihre Arbeit einen Nutzen für andere, einen Sinn? Können sie auch ohne?

Das sind Fragen, die man sich am 1. Mai stellen könnte. Was würde Josef, der Arbeiter, und sein Junior Jesus antworten? Vielleicht so etwas: Leicht war unsere Arbeit nie. Reich sind wir damit nicht geworden. Es gab auch noch Wichtigeres als Häuser bauen. Aber unsere Arbeit hat vielen Menschen ein Dach über dem Kopf gegeben und ein Zuhause mitten im harten Leben.

 

Andreas Hüser, geboren 1959 in Castrop-Rauxel, ist Diplomtheologe und Journalist. Nach der Schule in Dortmund sowie dem Studium der Philosophie und Theologie in Münster und Freiburg wechselte er zum Journalismus und war seit 1988 als Mitarbeiter und Redakteur bei mehreren Tageszeitungen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt tätig. Danach heuerte er beim 1995 gegründeten Erzbistum Hamburg an und ist seit 2005 Redaktionsleiter der Wochenzeitung des Erzbistums Hamburg. Andreas Hüser lebt heute in Schleswig-Holstein, ist Familienvater mit vier Kindern, vermisst im Norden die Berge und das Bergsteigen. Andere Vorlieben wie Ausdauersport, Musik und Zeitung-Machen musste er dagegen bisher nicht aufgeben.