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Journalistenmord erschüttert die Ukraine

Roman Goncharenko20. Juli 2016

Es ist einer der brisantesten Morde der letzten Jahre: Der in Kiew lebende russische Starjournalist und Kreml-Kritiker Pawel Scheremet starb durch eine Autobombe. Noch ist unklar, ob der Anschlag ihm galt.

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Das Auto nach der Explosion, in der der Journalist Pawel Scheremet getötet wurde (Foto: AP)
Bild: picture-alliance/AP Photo/S. Chuzavkov

Es geschah an einer Straßenkreuzung im Herzen von Kiew, nicht weit von der deutschen Botschaft, mitten im Berufsverkehr. Pawel Scheremet war am Mittwochmorgen gerade unterwegs zur Arbeit, als sein Auto um etwa 7:45 Uhr Lokalzeit explodierte. Ein Passant versuchte, den 44-Jährigen zu retten und zog ihn aus dem Fahrzeug. Doch Scheremet starb an seinen schweren Verletzungen - noch an der Unfallstelle.

Noch nie zuvor wurde in der Ukraine ein Journalist durch eine Autobombe getötet. Nicht nur Kollegen, auch viele Politiker und andere Bürger sind empört, schockiert und ratlos. Auch aus dem Ausland gab es besorgte Reaktionen. Die für Medienfreiheit zuständige Vertreterin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Dunja Mijatović, rief in einer Stellungnahme zu einer schnellen Aufklärung dieses Mordes auf. Ähnlich äußerte sich Christoph Dreyer von Reporter ohne Grenzen. "Entscheidend ist, dass jetzt die ukrainischen Behörden sehr schnell, gründlich und unabhängig ermitteln", sagte Dreyer der DW. "Das war in der Vergangenheit leider nicht immer der Fall."

Der russische Staatsbürger Scheremet lebte erst seit einigen Jahren in der Ukraine, sein Name ist aber einem breiten Publikum bekannt. Er schrieb Blogs für die beliebte Onlinezeitung "Ukrainska Prawda", moderierte eine Radiosendung und war ein gern gesehener Gast in politischen Talkshows. Sein Auftreten war besonnen, er beschäftigte sich nicht mit Skandalen, sondern war zuletzt auch Manager und Journalistentrainer. Seine Kollegen rätseln darüber, warum ausgerechnet er zum Opfer eines so brutalen Anschlags wurde. Möglicherweise liegt die Antwort in seiner Vergangenheit.

Ein Kritiker Lukaschenkos

Der 1971 im weißrussischen Minsk geborene Scheremet begann dort seine Karriere als Chefredakteur einer Wirtschaftszeitung. In den 1990er Jahren machte er sich als Korrespondent des staatlichen russischen Senders ORT einen Namen. 1997 wurde Scheremet bei Dreharbeiten an der weißrussisch-litauischen Grenze von weißrussischen Behörden festgenommen und später wegen illegalen Grenzübertritts zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Er verbrachte rund drei Monate in Untersuchungshaft.

Scheremet gilt als Kritiker des autoritären weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko. Er gründete und betrieb das regierungskritische Internetportal "Belorusskij Partisan". Der weißrussische Oppositionspolitiker Pawel Snawez schrieb am Mittwoch in seinem Blog auf diesem Portal, dass möglicherweise weißrussische Geheimdienste für Scheremets Mord verantwortlich seien. Der Hintergrund sei die frühere Kritik des Journalisten an Lukaschenko.

Der ermordete russische Journalist Pawel Scheremet (Foto: dpa)
Pawel Scheremet bezeichnete die Annexion der Krim durch Russland als "blutiges Abenteuer"Bild: picture-alliance/dpa/A. Filippov

Im russischen Fernsehen unerwünscht - wegen Kreml-Kritik

In Weißrussland konnte Scheremet nach seiner Verurteilung nicht mehr arbeiten. Er engagierte sich beim russischen Fernsehen, darunter beim einflussreichen staatlichen Ersten Kanal, wo er Chefredakteur und Starmoderator war. Er verließ den Sender 2008. Scheremet erklärte diesen Schritt mit dem Druck, der auf ihn ausgeübt wurde: Seine Kreml-Kritik und die Warnungen, Russland gehe den weißrussischen Weg in Richtung Autoritarismus, seien der Hintergrund gewesen.

2013 war Scheremet Moderator einer politischen Talkshow beim neu gegründeten russischen Sender OTR, der sich als nicht staatsnaher öffentlich-rechtlicher Kanal positioniert. Doch bereits 2014, als Scheremet die Krim-Annexion kritisierte, wurde der Sender mit Beschwerden bombardiert. "Ich halte die Krim-Annexion und die Unterstützung der Separatisten im Osten der Ukraine für ein blutiges Abenteuer und einen fatalen Fehler russischer Politik", schrieb Scheremet bei Facebook und kündigte seinen Abschied vom Sender an.

War eine andere Journalistin das Ziel?

Auch nach dem endgültigen Umzug nach Kiew hielt sich Scheremet nicht mit seiner Kritik an Russland zurück. "Putins Ziel ist es, die ganze Ukraine zu erobern", sagte er in vielen ukrainischen Talkshows. In seinem Blog bei "Ukrainska Prawda" warnte der Journalist vor einem offenen großen Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Möglicherweise könnten ihm solche Äußerungen zum Verhängnis geworden sein, mutmaßen Beobachter in Kiew. Scheremet war auch mit dem 2015 ermordeten russischen Oppositionspolitiker Boris Nemzow eng befreundet.

Die Polizei schließt jedoch nicht aus, dass Scheremet zufällig getötet wurde und der Anschlag in Wirklichkeit seiner Lebensgefährtin Olena Prytula galt. Sie war Mitbegründerin und bis vor kurzem Chefredakteurin bei "Ukrainiska Prawda". Scheremet fuhr ihr Auto, als es explodierte.

Für Prytula weckt der Tod von Scheremet Erinnerungen an einen anderen brisanten Journalistenmord. Im September 2000 wurde in Kiew der regierungskritische Journalist Georgij Gongadse von Polizisten entführt und ermordet. Er hat zusammen mit Prytula "Ukrainiska Prawda" gegründet. Nach der Ermordung von Scheremet bot die Regierung Prytula Polizeischutz an.

Übergriffe auf Journalisten waren im ersten Jahrzehnt der ukrainischen Unabhängigkeit keine Seltenheit. Einige wurden entführt und eingeschüchtert, einige sogar getötet. Danach war es lange Zeit relativ ruhig. Seit der Krim-Annexion und dem Kriegsausbruch in der Ostukraine sind Journalisten erneut in Gefahr. Zuletzt wurde im April 2015 der pro-russische Publizist Oles Busina in Kiew erschossen.