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PolitikMosambik

Erlebt Mosambik einen "mosambikanischen Frühling"?

Antonio Cascais
30. März 2023

Der Tod eines populären Rappers ist für viele Jugendliche in Mosambik Anlass, gegen die Missstände im Land zu demonstrieren. Die mosambikanische Staatsmacht und die regierende FRELIMO-Partei reagieren mit Repression.

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Mosambik | Beerdigung Rapper Azagaia
Proteste am Rande der Beerdigung des Rappers Azagaia (am 14. März)Bild: Madalena Sampaio/DW

Der Rapper Azagaia hat leidenschaftliche Fans in Mosambik. Berühmt ist er auch in anderen lusophonen Ländern Afrikas. Einer seiner Hits: "Povo no Poder" ("Volk an die Macht"):

"Die Lebenskosten steigen / Die Einkünfte sinken / Diese Regierung ist nicht mehr zu retten / Sollen sie kommen mit dem Tränengas / Unser Protest ist voller Energie / Sie werden uns nicht aufhalten / Volk an die Macht / Volk an die Macht…", rappt Azagaia in dem Song.

Das Lied, das 2008 während der Proteste gegen steigende Benzin- und Energiepreise rauskam, wurde zu einer Hymne des Jugendprotests gegen Mosambiks Regierung. Nicht nur in diesem Song: Azagaia nahm kein Blatt vor dem Mund. Immer wieder warf er Politikern der ehemals marxistisch-leninistischen Regierungspartei FRELIMO vor, einfache Bürger auszunehmen, um sich selbst ein luxuriöses Leben zu genehmigen.

Am 9. März stab der Rapper im Alter von 38 Jahren an den Folgen eines epileptischen Anfalls. Azagaias Tod fand überall in Mosambik große Anteilnahme. In fast allen größeren Städten fanden Mahnwachen und Trauermärsche zu seinen Ehren statt. Schon zu Lebzeiten wurde Azagaia von der Regierung feindselig behandelt. Seine Lieder wurden in den staatlichen Medien zensiert. Die Staatsanwaltschaft beschuldigte ihn, nach der Veröffentlichung von "Povo no Poder" zur Gewalt aufgerufen zu haben.

Trauermärsche münden in Gewalt

In den Großstädten Maputo, Beira, Quelimane und Nampula meldeten Jugendorganisationen - für das Wochenende nach dem Tod Azagaias - Trauermärsche und Mahnwachen an, die in allen vier Städten von den Behörden schriftlich genehmigt wurden.

Doch die zunächst friedlichen Umzüge eskalierten: In allen vier Metropolen kam es am Samstag, dem 18. März, zur Konfrontation zwischen trauernden Jugendlichen und der Polizei. In der Hauptstadt Maputo riegelten Spezialeinheiten der Polizei bereits am frühen Samstagmorgen die Startpunkte der Trauermärsche ab. Die Jugendlichen riefen "Widerstand" und "Volk an die Macht" sowie Protestslogans gegen Regierung und die Sicherheitskräfte. Die Polizei  antwortete mit Gewalt, feuerte Tränengas auf die Demonstranten, um die Menge auseinanderzutreiben.

Mosambik: Tränengasangriff auf Azagaia-Fans in Maputo (18.03.2023)
Tränengasangriff auf Azagaia-Fans in Maputo (am 18. März)Bild: Da Silva Romeu/DW

Ein paar Tage zuvor war die Situation bereits erstmals eskaliert. Am 14. März, dem Tag von Azagais Beerdigung, gingen die Sicherheitskräfte besonders rigoros gegen Demonstrierende vor, als die Menge versuchte, den Sarg des Rappers an der "Ponta Vermelha" vorbeizutragen, der offiziellen Residenz des Präsidenten. Bei dem Polizeieinsatz dort gab es mehrere Verletzte.

Allein in Maputo wurden mindestens 19 Menschen verletzt, zwei davon schwer. Berichten zufolge verlor ein Demonstrant ein Auge, nachdem ein Tränengaskanister sein Gesicht getroffen hatte. Polizisten hätten auch einen am Boden liegenden unbewaffneten Mann eingeschlagen, bevor sie ihn in ein Polizeiauto zerrten, so Anschuldigung der die Demo-Organisatoren in einem Internetvideo.

Gegenseitige Vorwürfe

Laut Polizei wurden in ganz Mosambik 36 Personen festgenommen, 20 davon in Maputo, weil sie die Gewalt provoziert hätten: "Die Organisatoren der Märsche wollten die Lage absichtlich eskalieren lassen, indem sie den Trauerzug zwangen, eine andere Route als die geplante zu nehmen. Daraufhin musste die Polizei die notwendigen Maßnahmen ergreifen", sagte der stellvertretende Generalkommandant der Polizei der Republik Mosambik (PRM), Fernando Tsucana, einige Tage vor der Presse. Den jungen Organisatoren des Marsches warf der Polizeisprecher vor, eine "obskure politische Agenda" zu verfolgen.

Mosambik: Polizeiaufgebot in Beira aus Anlass eines Azagaia-Trauermarschs (18.03.2023)
Polizeiaufgebot in Beira aus Anlass eines Azagaia-Trauermarschs (am 18. März)Bild: Sebastião Arcénio/DW

Das Organisationskomitee des Marsches auf nationaler Ebene bestreitet dies. Auf einer Pressekonferenz in Maputo sagte ein der Organisatorinnen, dass die Demonstranten keineswegs für die Eskalation der Gewalt verantwortlich seien. "Kein Jugendlicher, kein Bürger hat Gewalt angewandt. Wenn es irgendwelche Videos oder andere Aufzeichnungen gibt, die diesen Vorwurf belegen, dann möge man sie veröffentlichen. Unsere Flagge ist und bleibt die Gewaltlosigkeit", garantierte die Sprecherin des Organisationskomitees des Marsches, Cídia Chitsungo.

Gleichzeitig versprachen mehrere Vertreter der Jugendbewegung, dass sie "zu Ehren Azagaias" weitermarschieren wollen: "Friedliche Demonstrationen werden mit oder ohne polizeiliche Genehmigung stattfinden", kündigte David Fardo, ein anderer Organisator der Trauermärsche, in einem DW-Interview an.

FRELIMO fürchtet Protestwelle im Wahljahr

Im Herbst beginnt in Mosambik eine ganze Serie von  Wahlen. Am Anfang stehen die Kommunalwahlen im Oktober, gefolgt von Parlaments-, Regional- und Präsidentenwahlen im kommenden Jahr. Und ausgerechnet vor diesem Wahlmarathon wächst die Unzufriedenheit mit der Regierungspartei zusehends.

Mosambik: Protestierende mit Povo-no-Poder-Plakaten in Maputo (18.03.2023)
Protestierende mit Povo-no-Poder-Plakaten in Maputo (am 18. März)Bild: Da Silva Romeu/DW

Politische Beobachter sagen voraus, dass die neue Protestbewegung in Mosambik "revolutionäres Potenzial" hat. So mancher spricht von einem "mosambikanischen Frühling" - in Anlehnung an die Jugendproteste in Nordafrika, die im Dezember 2010 begannen. "Die mosambikanische Regierung befürchtet einen Kontrollverlust und tut alles, um die Protestbewegung im Keim zu ersticken", sagte der Politologe Fidel Terenciano der Deutschen Welle.

Es sei unübersehbar, dass die Jugend immer wütender werde. "Die Machthaber wissen, dass die Macht des Volkes früher oder später die Dinge verändern wird. Deshalb reagieren sie mit dieser Brutalität, deshalb lassen sie die Menschen zusammenschlagen und besprühen sie mit Tränengas."

Wie reagiert die Regierungspartei?

Nach den Ausschreitungen trat das Zentralkomitee der Befreiungsfront von Mosambik (FRELIMO) umgehend zusammen, um die "politische, wirtschaftliche und soziale Situation im Land zu analysieren und den nächsten Wahlzyklus" zu erörtern, der am 11. Oktober mit den Kommunalwahlen beginnt.

Filipe Nyusi | Präsident von Mosambik
Staatspräsident und FRELIMO-Chef Filipe Nyusi (Archiv): Sorge um Proteste im WahljahrBild: Phill Magakoe/AFP/Getty Images

In seiner Eröffnungsrede sagte Parteifunktionär Fernando Faustino im FRELIMO-Zentralkomitee, dass die Märsche vom 18. März das Ergebnis einer "politischen Manipulation junger Menschen" durch einige Oppositionsparteien seien. Die Hinterleute der Bewegung würden sich als Angehörige der Zivilgesellschaft tarnen. Ziel sei es, die staatlichen Institutionen zu destabilisieren. Die FRELIMO müsse jetzt angemessen reagieren und der Opposition den Wind aus den Segeln nehmen.

Politologe Terenciano sieht die Regierungspartei allerdings auf verlorenem Posten. Für die Regierungspartei gebe es kaum eine Möglichkeit, den "Marsch der Jugend für die Freiheit" aufzuhalten: "Dieser Marsch für die politische Freiheit ist unumkehrbar. Heute erklären junge Menschen ganz klar, dass sie FRELIMO bei den nächsten Kommunalwahlen entmachten wollen. Und wenn die FRELIMO bei den Kommunalwahlen keinen Erfolg haben, werden sie auch die Parlamentswahlen im Jahr darauf verlieren."

Mosambik hat in den vergangenen Jahren schon so manche Protestwelle erlebt, beispielsweise gegen die Erhöhung der Benzin- oder Brotpreise. Doch die FRELIMO blieb an der Macht. Aber die aktuellen Massendemonstrationen gegen die Regierung gelten bei den politischen Beobachtern dennoch als ungewöhnlich. "Es ist ein völlig neues Phänomen, das man seit der Unabhängigkeit des Landes so noch nicht kannte: Junge Leute verbrennen völlig angstfrei in der Öffentlichkeit FRELIMO-Mitgliedsausweise, FRELIMO-T-Shirts oder andere Partei-Symbole. Das hatte man so vorher noch nicht gesehen", so Politologe Terenciano.