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Juli Zeh: Adler und Engel

Thomas Böhm1. September 2006

Die Geschichte von Max, dem Karrierejuristen, und Jessie, der Tochter eines Drogenhändlers. Ihre Geschichte ist Teil des Dramas auf dem Balkan.

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Man sollte Bücher an ihrem interessantesten Gedanken messen. In Juli Zehs Debütroman "Adler und Engel" führte der interessanteste Gedanke zu einer Figur namens Herbert, der Drogen aus dem Balkan einschmuggelt. Herbert arbeitet aber auch mit der UNO zusammen, um zum Beispiel auf dem Balkan das Völkerrecht durchzusetzen. Herbert ist also ein Verbrecher, der auch dem Wohle der Menschheit dient, oder, wie es im Text heißt: "Ein moralisch autarker Mann."

Buchcover: Juli Zeh - Adler und Engel

Überfliegerin?

Nun sind "moralisch autarke Männer" von Brutus bis Napoleon, von Schopenhauer bis Helmut Kohl weder in der Welt- noch in der Literaturgeschichte eine Seltenheit. Man könnte sich sogar fragen, ob nicht moralische Autarkie, Distanziertheit gegenüber allen Beteiligten und Positionen ein Kennzeichen avancierter Literatur genau wie internationaler Politik ist. Ein durchaus interessanter Gedanke, der sich mit dem Balkanbezug sogar in einem aktuellen Gewand zeigt.

Doch Juli Zehs 444seitiger Roman "Adler und Engel", der sich mit ihm auseinandersetzt, ist so gänzlich belanglos, uninspiriert, langweilig, dass man kaum glauben mag, dass die 27 jährige Autorin, die im Vorfeld der Veröffentlichung bereits als literarische Überfliegerin gehandelt wurde, tatsächlich Europarecht und Völkerrecht studiert und obendrein noch das Deutsche Literaturinstitut in Leipzig absolviert hat.

Juli Zeh
Juli ZehBild: dpa

Weltrekord für literarischen Drogenkonsum

Die Handlung des Romans wirkt von Anfang an hölzern, konstruiert: Jessie hat sich durch einen Schuss ins Ohr getötet, während sie mit ihrem Lebenspartner Max telefonierte. Max, der daraufhin nicht mehr leben will und deshalb auf jeder dritten Seite Kokain konsumiert, als solle hier der Weltrekord für literarischen Drogenkonsum gebrochen werden, wendet sich mit seiner Geschichte an die Talkshowmoderatorin Clara, die zweimal in der Woche nachts im Radio die vampige Therapeutin mimt und nebenbei ihre Diplomarbeit in Psychologie schreibt: eine Fallstudie, deren Gegenstand Max werden soll.

Und so erzählt der Erzählermax der Zuhörerclara seine Jessiegeschichte. Jessie war - der Romantitel deutet es schon an -, ein engelsgleiches Wesen, nicht ganz von dieser Welt, kam mit dem Alltag nicht zurecht, lebte in einer Märchenphantasie. Weil sie einen so unschuldigen Eindruck machte, war sie der geborene Drogenkurier für ihren Vater Herbert, der sie schon im Internat Koks an die Mitschüler verkaufen ließ. Im Internat lernte sie auch Max kennen, der bald dauf als Drogenkurier eingesetzt wurde und dem Herbert zum Dank später eine Karriere als Jurist für Völkerrecht ebnete, wobei Herbert Max ohne dessen Wissen weiterhin benutzte, um seine Drogengeschäfte zu organisieren.

Nichtssagende Autorin

Aus diesen Krimi-Elementen kann der Roman jedoch keinerlei Spannung beziehen, weil sie vom enervierend-lamentierenden Ton des Erzählers Max neutralisiert werden, der immerzu schon tot sein will. Spätestens ab der Mitte des Buches wünscht sich der Leser, die Autorin hätte ein Einsehen mit ihrer Figur gehabt, und der arme Max müsste nicht weitere 200 Seiten lang seine schlichte Geschichte bedeutungsschwer und langatmig in Rückblicken erzählen, oder dürfte wenigstens eine Sprache sprechen, die ein bisschen mehr nach Koksüberdosis und ein bisschen weniger nach Soap-Opera-Dialogen klänge.

Viel Spaß hätte man mit "Adler und Engel" vielleicht haben können, wenn der interessante Herbert einmal richtig in seiner moralischen Autarkie auf den Plan getreten wäre, aber er bleibt bis zum Ende nur Staffage, mausgraue Eminenz. Ein Alibi, um zu behaupten, in Juli Zehs Roman ginge es um Liebe und Politik, um ein individuelles Schicksal, das in die Mühlen der aktuellen Weltgeschichte gerät. "Man liest Adler und Engel," heißt es im Klappentext, "als hörte man zu, wie die Gegenwart spricht." Der Gegenwart wirklich zuzuhören, heißt unzählige Stimmen wahrzunehmen. Juli Zehs Stimme, wie sie aus ihrem ersten Roman spricht, kann man getrost überhören. Sie sagt nichts.


Juli Zeh
Adler und Engel
btb, 2006
ISBN 3-442-73555-6
EUR 10,00