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Politik

Julian Assange: Gefeiert und verteufelt

3. Januar 2021

Julian Assange soll nicht an die USA ausgeliefert werden. Das entschied ein Londoner Gericht. Doch die Solidarität mit dem Wikileaks-Gründer ist begrenzt. Der gefeierte Enthüller hat sich etliche Sympathien verspielt.

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In London hält ein Demonstration ein Photo von Julian Assange
Bild: Getty Images/H. Adams

An Julian Assange scheiden sich die Geister. Der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks gilt vielen als Aufdecker von Kriegsverbrechen und Korruption, als Vater des modernen Investigativjournalismus, der mit großen Mengen geleakter Daten operiert. Anderen wiederum gilt er wahlweise als Verräter, Staatsfeind, Erfüllungsgehilfe des russischen Präsidenten Wladimir Putins oder gar verantwortlich für die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA. Oder alles zusammen.

Sein in Unfrieden geschiedener Ex-Mitarbeiter Daniel Domscheit-Berg charakterisierte Assange einmal als "so genial, so paranoid, so machtversessen" und warf ihm vor, mit "seiner Egotour" das Projekt Wikileaks "zu eng an sich und seine streitbare Persönlichkeit" gebunden zu haben.

An der Genialität ist einiges dran, genau wie an dem ausgeprägten Ego. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" zitiert Assange mit den Worten: "Wenn du viel schlauer bist, als die Leute um dich herum, entwickelst du ein enormes Ego - und du bekommst das Gefühl, dass sich jedes Problem mit etwas Nachdenken lösen lässt."

Assanges angebliche Paranoia wiederum hat sich als wohlbegründet erwiesen. Seit 2010 steht Assange auf einer "Manhunting"-Liste der US-Geheimdienste, wie das Onlinemedium "Intercept" berichtet, unter Berufung auf von Edward Snowden geleakte Geheimdokumente. Umfangreiche Geheimdienstoperationen sind darin dokumentiert. Ihr Ziel: Wikileaks auszuforschen, zu stoppen oder wenigstens zu schaden.

Durch eine Lupe ist am 30.11.2010 das Symbol der Internet-Enthüllungsplatform Wilileaks zu erkennen. Im Hintergrund ist ein Hinweis auf die Wikileaks-Veröffentlichung von US-Botschaftsdepeschen zu sehen.
Mit der Enthüllung von Kriegsverbrechen und US-Geheimnissen hat sich Assange mächtige Feinde gemachtBild: picture-alliance/dpa

Vergewaltigungsvorwurf

Als Assange gerade auf dem Höhepunkt seines Ruhms steht, wird sein Ruf ein erstes Mal massiv beschädigt. Es ist der Sommer 2010, die Veröffentlichung des "Collateral Murder"-Videos hat Wikileaks weltweit bekannt gemacht. Mit den "Afghanischen Kriegstagebüchern" wurde Assange endgültig zu einer anerkannten Größe im Journalismus. Da berichtet am 21. August 2010 das schwedische Boulevardblatt "Expressen" über Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange. Sie werden die Grundlage einer jahrelangen Hatz auf Assange - obwohl es nie zu einer offiziellen Anklageerhebung kommt.

Grundlage war der gemeinsame Besuch zweier Frauen auf einer Polizeistation in Stockholm. Mit beiden hatte der wohl eher promiskuitiv angelegte Assange während eines Aufenthalts in Stockholm im August 2010 Sex. Den Frauen ging es allerdings lediglich um die Frage, ob man Julian Assange zu einem Aids-Test verpflichten könne, weil er auch ungeschützten Verkehr mit ihnen hatte. Keine hat von Gewalt oder nur der Androhung von Gewalt berichtet.

Günter Wallraff, ein Begründer des deutschen Investigativjournalismus, spricht gegenüber der Deutschen Welle von einer "Rufmordkampagne" gegen Julian Assange. "Man hat ihm das Schlimmste vorgeworfen, was man jemandem in einer aufgeklärten Gesellschaft vorwerfen kann: ein Vergewaltiger zu sein." Die Vorwürfe gegen Assange seien konstruiert gewesen, um den Aufklärer zur Unperson zu machen, sagt Wallraff weiter und beruft sich dabei auf Recherchen des UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer.

Melzer: Assange zeigt Symptome "psychischer Folter"

Melzer, ein nüchterner Schweizer Völkerrechtsprofessor, spricht fließend schwedisch. Er hat Einsicht in eine Fülle von Originaldokumenten nehmen können. In einem Interview mit dem Schweizer Medium "Republik" erhebt Melzer erstmals Anfang 2020 schwere Vorwürfe gegen die schwedischen Behörden und spricht von aus politischen Gründen manipulierten Beweismitteln.

"Das hat gewirkt, jahrelang", sagt Günter Wallraff - und erzählt, wie viel Aufklärungsarbeit er in seinem Freundes- und Bekanntenkreis leisten musste, um Unterstützung für Assange zu organisieren.

Günter Wallraff, Journalist, und Sigmar Gabriel, Bundesminister a. D. stellen einen Appell zur Freilassung von Wikileaks-Gründer Julian Assange vor.
Günter Wallraff (links) und Ex-Außenminister Sigmar Gabriel fordern im Februar die Freilassung AssangesBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Sprachrohr Putins?

Kritik an einer vermeintlichen Nähe zu Moskau kommt erstmals 2012 auf. Julian Assange setzt seine journalistische Arbeit fort, wegen eines inzwischen gestellten schwedischen Auslieferungsbegehrens zunächst im Hausarrest und dann im Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London. Das Produkt: Eine politische Talkshow unter dem Titel "The World Tomorrow", produziert von Assange mit seinem eigenem Unternehmen Quick Roll Productions. Der Kunde: Russlands staatlicher Auslandsrundfunk "Russia Today". Der erste Interviewgast: Hassan Nasrallah, Chef der schiitischen Hisbollah im Libanon, per Videokonferenz. Es ist das erste internationale Interview des umstrittenen Hisbollah-Führers seit sechs Jahren.

Ein Scoop? Die Meinungen sind - wie so oft bei Assange - geteilt. In Deutschland hagelt es Kritik. "Der Spiegel" titelt: "Julian Assange scheitert an Hisbollah-Chef"; die FAZ schreibt vom "Fehlstart einer Informationsrakete". Hauptkritik: Assange sei gegenüber Nasrallah zu unkritisch gewesen. Widerspruch erntete Assange auch in der "New York Times" und im "Guardian", wo ihn Luke Harding als "nützlichen Idioten" russischer Propaganda bezeichnete. Die britische BBC wiederum konzentrierte sich in ihrer Berichterstattung auf Vermittlungsangebote, die Nasrallah für den syrischen Bürgerkrieg gemacht habe.

Sayyed Hassan Nasrallah Hisbollah-Chef
Als Talk-Show-Gast bei Julian Assange: Hisbollah Chef NasrallahBild: picture-alliance/dpa/N. Mounzer

Insgesamt zwölf Folgen seiner Talk-Show produziert Assange, mit so diversen Gesprächspartnern wie dem heutigen pakistanischen Premier Imran Khan, dem slowenischen Philosophen Slavoj Zizek oder dem linken Intellektuellen Noam Chomsky.

Wahlhelfer Trumps?

Mitten im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 veröffentlichte Wikileaks Zehntausende E-Mails der Demokraten, inklusive ihrer Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton. Die haben nicht nur Clinton im Rennen gegen Donald Trump geschadet, sondern auch dem Ansehen Julian Assanges, wie Investigativreporter Wallraff beobachtet hat. Dabei sei hier das Interesse der Öffentlichkeit an den Informationen maßgeblich gewesen: Etwa an der regelwidrigen Einflussnahme der demokratischen Parteiführung zu Gunsten Hillary Clintons und zum Nachteil von Bernie Sanders im Vorwahlkampf. Vorwürfen einer Nähe Assanges zu Russland tritt Wallraff entgegen, indem er auf Wikileaks Veröffentlichung zu Putin oder Menschenrechtsverletzungen in Russland verweist.

Andy Mueller-Maguhn auf dem Podium einer Konferenz für IT-Sicherheit in Bonn am 03.11.2014
Andy Mueller-Maguhn hat Assange monatlich im Botschaftsasyl besuchtBild: Deutsche Telekom AG/Norbert Ittermann

Andy Müller-Maguhn, ehemals Sprecher des Chaos-Computer-Clubs, hat nach eigener Aussage Assange während seines Botschaftsasyls fast monatlich besucht - als Vorsitzender der Wau-Holland-Stiftung, die sich unter anderem Informationsfreiheit auf die Agenda geschrieben hat. Im Zusammenhang mit Assanges Haltung zum US-Wahlkampf und speziell der Person der Kandidatin Hillary Clinton berichtet Müller-Maguhn von "extrem kritischen Auseinandersetzungen darüber, welche Kommentare noch im Geiste von Journalismus und Informationsfreiheit sind und wo es anfängt mit persönlichen Auseinandersetzungen".

Der DW gegenüber zeigt Müller-Maguhn aber auch Verständnis für Assange: "Hillary Clinton hat mehrfach öffentlich gesagt, dass man ihn töten solle mit einer Drohne. Sie war ja Außenministerin, als er 2010 die Botschaftsdepeschen veröffentlicht hat, die afghanischen und irakischen Kriegstagebücher. Er hat quasi um sein Leben gekämpft, damit diese Frau nicht Präsidentin wird. Das kann man ihm nicht verübeln."

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein