Sieben Jahre auf 20 Quadratmetern
11. April 2019Am 19. Juni 2012 begann für Julian Assange der Zustand, den er später einmal selbst als "Festnahme ohne Anklage" bezeichnete. An diesem Tag vor beinahe sieben Jahren floh der Wikileaks-Gründer in die ecuadorianische Botschaft in London und beantragte politisches Asyl. Kurz zuvor war der Einspruch gegen seine Auslieferung an Schweden gescheitert.
Dort war im Herbst 2010 Haftbefehl gegen den gebürtigen Australier erlassen worden. Der Vorwurf: Assange soll in Schweden eine Frau vergewaltigt und weitere Frauen sexuell genötigt haben. Der Wikileaks-Gründer bestreitet das bis heute und kritisiert die Vorwürfe als politisch motiviert. Einmal in Schweden, so fürchtete er, könne er wegen eines Auslieferungsabkommens an die USA überstellt werden.
Spionage unter Freunden
Washington betrachtet Assange als Staatsfeind, seit dieser auf der Plattform Wikileaks im April 2010 das Video "Collateral Murder" veröffentlichte. Es zeigt, wie beim Angriff eines US-Hubschraubers in Bagdad elf Menschen getötet werden, darunter zwei Journalisten.
Weitere Veröffentlichungen folgten. So verbreitete die Internetplattform mehr als 250.000 vertrauliche Dokumente von US-Botschaften in aller Welt und machte publik, dass der US-Geheimdienst NSA auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ausspionierte.
Zwar liegt in den USA bis heute - zumindest offiziell - keine Anklage gegen Assange vor, doch dass Washington mit Whistleblowern nicht zimperlich umgeht, zeigte die Verhaftung von Chelsea Manning - einer der wichtigsten Quellen für Wikileaks. Sie wurde zu 35 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, bevor sie nach einer Begnadigung durch US-Präsident Barack Obama im Mai 2017 nach fast sieben Jahren Militärhaft freikam.
Essen aus dem Pub
Gute Gründe also für den Wikileaks-Gründer, Asyl in Ecuadors Botschaft zu beantragen. Seitdem lebte er, zusammen mit einer Katze, in einem knapp 20 Quadratmeter großen, umgebauten Botschaftsbüro, dessen wohl wichtigstes Einrichtungsstück Medienberichten zufolge eine Tageslichtlampe war. Einen Garten besitzt die Botschaft nicht. Den Kontakt zur Außenwelt hielt der 47-Jährige per Telefon und Computer, eine Dusche sei notdürftig in die Botschaftsräumlichkeiten eingebaut worden, Essen habe sich Assange aus einem Pub liefern lassen, heißt es.
Die Botschaft freiwillig verlassen konnte er nicht. Und dies, obwohl die schwedische Justiz den Haftbefehl gegen ihn bereits Ende Mai 2017 fallen ließ. Doch kurz nach der schwedischen Entscheidung teilte die britische Polizei mit, man werde Assange festsetzen, sollte er das ecuadorianische Hoheitsgebiet verlassen. Der Australier habe gegen Bewährungsauflagen verstoßen, so die Begründung.
"Jahre ohne Sonnenschein"
Und so jubelte Assange nach der Aufhebung des schwedischen Haftbefehls zwar - aber nur aus gebührendem Sicherheitsabstand. Per Twitter nannte er die damalige Entscheidung einen wichtigen Sieg "für mich und das UN-Menschenrechtssystem". Gleichzeitig beklagte er damals die "fast fünf Jahre hier in der Botschaft ohne Sonnenlicht". Und vom Balkon der Botschaft aus rief Assange seinen Anhängern zu, der richtige Krieg fange nun erst an.
Diesen Krieg führte der Wikileaks-Gründer jedoch weiter hinter den Gardinen seines selbst gewählten Exils. Und dort sei es ihm mit der Zeit immer schlechter gegangen. Schon im Februar 2016 sagte seine Mutter dem australischen Rundfunksender ABC, Assange habe Herzprobleme, eine chronische Lungenentzündung und schwere Schulterschmerzen.
Unverhältnismäßig hohes Strafmaß?
Nachdem Ecuador ihm das diplomatische Asyl entzogen hatte, nahmen die britischen Behörden Assange nun fest, weil er gegen Bewährungsauflagen verstoßen habe. Rechtswissenschaftler halten dies für fragwürdig. Die Schwere eines solchen Vergehens sei am unteren Rand der Strafbarkeit anzusiedeln, erklärt Nikolaos Gazeas, Experte für internationales Strafrecht, im Gespräch mit der DW. Ein Haftbefehl sei angesichts der Extremsituation, in der Assange seit Jahren lebe, unverhältnismäßig.
Geht es also in Wahrheit doch darum, Assange in die USA auszuliefern? Die US-Justizbehörden streiten seit mehr als zwei Jahren ab, dass sie gegen Assange ermitteln und bereits eine Anklage gegen ihn vorbereitet haben. Im November 2018 kam jedoch durch eine Panne ans Licht, dass Anklagepunkte gegen Assange offenbar bereits ausgearbeitet worden sind. Demzufolge werden Assange Verschwörung, Diebstahl von Regierungseigentum und ein Verstoß gegen das Spionagegesetz vorgeworfen.
Ein Held auf Abwegen
Es sieht also nicht gut aus für den Wikileaks-Gründer. Auch seine Reputation als Kämpfer für die Meinungsfreiheit hat in den vergangenen Jahren gelitten. So sieht sich Wikileaks dem Verdacht ausgesetzt, mit Russland zusammenzuarbeiten. Einen Sturm der Entrüstung hatte die Organisation 2016 ausgelöst, als sie E-Mails veröffentlichte, die zeigten, dass führende Vertreter des Parteivorstandes der US-Demokraten im Vorwahlkampf für Hillary Clinton voreingenommen waren und sich gegen eine Kandidatur des linksgerichteten Bernie Sanders aussprachen.
Auch steht Assange im Verdacht, er habe in den französischen Präsidentschaftswahlkampf eingreifen wollen. So kündigte Assange im Februar 2017 in der russischen Zeitung "Iswestija" an, kompromittierende Informationen über den damaligen Kandidaten und heutigen Präsidenten Emmanuel Macron veröffentlichen zu wollen. Die groß angekündigten Enthüllungen kamen letztlich doch nicht, aber regierungsnahe russische Medien wie Sputnik-News und Russia Today verbreiteten Assanges Ankündigung, als habe es tatsächlich einen Skandal gegeben.
Der Rückhalt aus Ecuador schwand spätestens seit der Wahl Lenín Morenos zum neuen ecuadorianischen Präsidenten im April 2017. Moreno selbst bezeichnete den Wikileaks-Gründer als "Hacker". Dies sei etwas, das er und sein Land ablehnten. Bereits während des Präsidentschaftswahlkampfs hatte Moreno Assange vor einer Einmischung in die Politik des südamerikanischen Landes gewarnt. Im Oktober 2017 entzog er Assange der Zugang zu Internet und Telefon.
Als vor einigen Wochen Fotos im Internet erschienen, die Morenos ausschweifenden und luxuriösen Lebensstil belegen sollten, machte dieser umgehend die Plattform Wikileaks dafür verantwortlich. Auch warf er Assange Asylmissbrauch vor. Obwohl dieser die Vorwürfe bestritt, entzog Ecuador ihm das diplomatische Asyl und überstellte ihn an die britische Polizei.