Trump hat US-Nutzen im Auge
28. Dezember 2016DW: Was bedeutet die Nominierung von Peter Navarro zum Chef des neu geschaffenen Nationalen Handels-Rats im Weißen Haus?
Thomas Jäger: Die Nominierung zeigt genau die Richtung an, die wir bisher vermutet haben und für die es jetzt einen Beleg nach dem anderen gibt: Dass nämlich Donald Trump - anders als es die Bundeskanzlerin als Politikstil verfolgt - sich nicht an Verhältnisse anpassen will, sondern dass Trump die Verhältnisse gestalten will.
Die USA sind der wichtigste Handelspartner Chinas: Wie weit kann Peking gehen, um nicht die USA als wichtigsten Markt aufs Spiel zu setzen?
Das ist die Frage, die die nächsten Wochen und Monate bestimmen wird. Die neue amerikanische Regierung signalisiert nun recht deutlich, dass sie hier einen anderen Weg einschlagen will, als es davor die Regierungen gemacht haben, die eine sehr vorsichtige China-Politik gemacht haben und - so die Sicht des neuen Präsidenten - es China erlaubt haben, beim Handel und bei der territorialen Ausweitung im Südchinesischen Meer immer stärker zu werden.
Falls es dazu kommen würde: Wer hätte mehr zu verlieren in einem Handelskrieg USA gegen China?
Das ist eine hochkomplizierte Frage, weil es nicht nur um die USA und China und deren Beziehungen zueinander geht und weil man immer gesagt hat, dass es eine gegenseitige ökonomische Abschreckung gibt: China muss auf der einen Seite den US-Markt bedienen und die USA wissen auf der anderen Seite, dass China eine ganze Menge von US-Schuldverschreibungen hält, so dass beide irgendwie die Beine stillhalten.
Aber die Zeiten des Stillhaltens gegenüber China scheinen vorbei zu sein und es sieht so aus, als ob China stärker unter Druck gerät. Die USA sind bereit, ihre Russland-Politik völlig neu zu gestalten und Russland als Verbündeten gegen China zu gewinnen. Auf die Art und Weise werden die USA die Anrainerstaaten Chinas im pazifischen Raum weiterhin als Verbündete behalten können. Das ist eine enorme ökonomische und politische Einhegung Chinas, die die Vereinigten Staaten schlicht in eine vorteilhafte Position versetzen.
Heißt das, die Annäherung an Russland und eine aggressivere Handelspolitik gegenüber China fügen sich zusammen zu einer völlig neuen Außenpolitik der USA?
Ja. Es sieht so aus, als ob Donald Trump die Verhältnisse neu ordnet. Und dass er hier auf eine Denkweise zurückgreift, die Henry Kissinger in die amerikanische Außenpolitik gebracht hat. Dass man nämlich bestimmte ideologische Rücksichten schlicht fallen lassen muss. Das war unter Präsident Nixon und Außenminister Kissinger die große Herausforderung, mit einem kommunistischen Staat , was die Volksrepublik China ja damals war, sich gegen die Sowjetunion zu verbünden. Man hat damals gesagt: Die Ideologie ist nicht so wichtig. Es geht darum, die Machtbeziehung zu stabilisieren.
Das ist etwas, was sich aus meiner Sicht abzeichnet und für die Europäer ein ganz großes Problem darstellt. Dass nämlich die neue amerikanische Regierung sagen könnte: Die ideologischen - das heißt hier konkret die menschenrechtlichen - Bedenken gegenüber Russland stellen wir völlig zurück. Das ist für uns nicht so wichtig. Die Machtbeziehung ist das Entscheidende. Und das würde die internationale Ordnung von einem Tag auf den anderen neu gestalten.
Trumps wirtschaftspolitischer Wahlkampfberater Peter Navarro von der University of California in Irvine wird künftig den neu geschaffenen Nationalen Handels-Rat im Weißen Haus leiten. Der Mann ist als ausgesprochener China-Kritiker und Buchautor von Werken wie "Death by China" oder "The Coming China Wars" bekannt. Bedeutet das, Trump meint es wirklich ernst mit einer Politik der harten Hand gegenüber China?
Die Nominierung Navarros bedeutet, dass Trump sich anders als seine Vorgänger kein Team von Rivalen holt. Er wählt nicht Fachleute mit unterschiedlichen Ansätzen als Ratgeber aus, um unterschiedlichen Rat zu bekommen. Nein, er wird über eine homogene Truppe verfügen. Und die sieht China als Problem an und Russland als potenziellen Verbündeten. Deswegen zeichnet sich ab, dass hier eine ziemlich kohärente Politik angelegt ist und Trump den Anspruch hat, die amerikanischen Beziehungen mit diesen Großmächten neu zu ordnen, um daraus ökonomische Vorteile für die USA zu schlagen. Ob das gelingt ist eine andere Frage. Im Moment geht es ihm darum, direkte Vorteile für die amerikanische Wirtschaft durch eine Revision der Außenbeziehungen zu erreichen.
Heißt das, die USA werden unter Trump aus einer Position der gefühlten Stärke gegenüber China den Druck erhöhen, weil es durch die Abkühlung seiner Wirtschaft, die hohe Verschuldung von Staatsbetrieben und Provinzen, durch Kapitalflucht und Reformstau geschwächt ist?
Wenn es gelingt, die Beziehungen zu Russland neu zu gestalten, wird China unter Druck geraten. Und dann wird China für bestimmte Beziehungen "verbesserte Konditionen" anbieten, etwa im südchinesischen Meer Ansprüche aufgeben. Oder eventuell auch handelspolitische Zugeständnisse machen. Und wenn man berücksichtigt, dass in der politischen Klasse der USA noch frisch im Gedächtnis ist, dass man auf diese Weise die Sowjetunion "besiegt" hat, dann ist es gut möglich, dass hier der Anspruch besteht, das auch gegenüber China zu leisten.
Also ein kompletter Paradigmen-Wechsel?
Das zeigt sich. Es ist darauf angelegt. Möglicherweise kommt es nicht ganz dazu. Das hängt am Ende auch davon ab, welche Interessen in Moskau und Peking ausschlaggebend sind. Aber das ist eine Option, über die diese künftige US-Regierung momentan nachdenkt.
Blicken wir einmal auf die Millionen von verlorenen Industrie-Arbeitsplätzen in den USA. Die meisten Experten rechnen nicht damit, dass sie wieder zurück kommen. Was sagen Sie dazu?
Das ist für mich schwierig zu beantworten, weil dahinter die Frage steht: Inwieweit lässt sich der technologische Fortschritt 'einlesen' in neue, hochbezahlte Arbeitsplätze. Es geht doch nicht um die Arbeiten, die in den Vereinigten Staaten nicht mehr zu Preisen geleistet werden können, zu denen man die Produkte verkaufen kann. Diese Arbeitsplätze sind weg.
Es steht jetzt das an, was wir als Industrie 4.0 bezeichnen. Und da stellt sich die Frage: Wo entstehen diese Arbeitsplätze? Ich denke, es war ein rhetorischer Griff des Wahlkämpfers Trump, zu sagen: Ich bringe Euch die Arbeitsplätze wieder, die Ihr verloren habt. Er weiß genau, dass diese Art von Arbeitsplatz natürlich nicht wieder kommt.
Es geht um die neuen Arbeitsplätze. Und da soll verhindert werden, dass die außerhalb der USA entstehen. Ob das gelingen wird, ist momentan die große Frage, die keiner beantworten kann. Und es ist die entscheidende Frage, die über Erfolg oder Misserfolg der Administration Trump entscheidet.
Trump ist massiv unterschätzt worden, von den Eliten und von der veröffentlichten Meinung in den USA - aber auch in Europa. Ist es möglich, dass er wirklich über einen kompletten Plan aus einem Guss verfügt? Oder hat sich das praktisch als Lernprozess Tag für Tag bei ihm entwickelt? Denn die geostrategische Karte einer Zusammenarbeit mit Russland passt schließlich mit der Karte einer gegen China gerichteten Handelspolitik durchaus zusammen…
Das passt zusammen. Ich bin mir sicher, dass er in dem Moment - wie er immer so schön sagt - "mit der Rolltreppe herunterkam und den Wahlkampf begonnen" hat, den Plan nicht im Kopf hatte. Aber er hat sich entwickelt. Es haben nämlich in den letzten Wochen und Monaten zahlreiche Politiker und Beratungsfirmen versucht, Einfluss auf ihn zu nehmen. Und sie haben auch Einfluss gewinnen können. Sie haben ihn in eine neue Welt einführen können, die er so nicht kannte. Und man kann sicher sein, dass er in der Lage ist, diesen Rat aufzugreifen und umzusetzen.
Es wird unter Trump Tag für Tag vor allem um Nutzen gehen, darum, was für einen Nutzen seine Politik hat. Das sieht momentan nach einer kohärenten Politik aus, die es meiner Einschätzung nach mittlerweile auch geworden ist. Und im Zuge der Umsetzung kann ich mir vorstellen, dass sehr schnell nachjustiert wird, wenn der Erfolg nicht eintritt.
Das ist ein völlig anderes Denken, das Trump im Vergleich zu Obama hat. Obama hat sich immer dadurch ausgezeichnet, dass er die Dinge wirklich durchdacht , eine Strategie entwickelt und sich dann überlegt hat: Ich werfe den Stein ins Wasser und warte vier Jahre.
Ökonomische Akteure und Trump als Unternehmer, die denken ganz anders. Die denken in Quartalsberichten und ich bin sicher, dass die amerikanische Außenwirtschaftspolitik in Zukunft auch in Quartalsberichten evaluiert wird.
Thomas Jäger ist seit 1999 Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Seine Forschungsschwerpunkte sind internationale Beziehungen sowie die Außenpolitik Deutschlands und der USA.
Das Interview führte Thomas Kohlmann