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Jüdische Karnevalisten: Feiern im Schatten des Krieges

31. Januar 2024

"Kölsche Kippa Köpp" heißt der einzige jüdische Karnevalsverein der Welt. Der Krieg zwischen Israel und der Hamas belastet seine Mitglieder. Doch gefeiert wird trotzdem.

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Ein Mann mit Narrenkappe am Mikrofon
Aaron Knappstein ist Präsident des jüdischen Karnevalsvereins "Kölsche Kippa Köpp"Bild: Henning Kaiser/dpa/picture-alliance

Bunt kostümierte Menschen bevölkern das traditionsreiche Brauhaus "Stapelhaus" am Kölner Rheinufer. Das Kölsch fließt in Strömen. "Echte Fründe ston zesamme" (Echte Freunde stehen zusammen) schallt es in kölscher Mundart aus den Lautsprechern. Der beliebte Karnevalshit der Kölner Band "Höhner" stammt aus den 1980er-Jahren. Aber aktueller könnte er nicht sein, schon gar nicht hier auf der Karnevalsparty der Kölschen Kippa Köpp. (Auf Hochdeutsch heißt das: Kölner Köpfe, die die jüdische Kopfbetragung Kippa tragen, Anm. d. Red.) 

"Einigen von uns ist mehr, anderen weniger zum Feiern zumute", sagt Kippa-Köpp-Sprecher Lorenz Beckhardt. "Wir haben uns entschlossen, unsere wenigen Veranstaltungen im Karneval nicht abzusagen, weil wir damit dem Terror nicht noch zusätzlich zum Sieg verhelfen wollen."

"Keine Kontrolle über unsere Lebensfreude"

Trotz des Angriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem es mindestens 1139 israelische und ausländische Todesopfer gab und Hunderte Geiseln genommen wurden, will Beckhardt an der Tradition festhalten. "Wir lassen nicht zu", so der Sprecher des jüdischen Karnevalsvereins, "dass der Terror uns auch noch die Kontrolle über unsere Lebensfreude nimmt". Die Hamas wird von Israel, Deutschland, der Europäischen Union, den USA und einigen arabischen Staaten als Terrororganisation eingestuft.

Männer in Karnevalsuniform sitzen in einer jüdischen Synagoge
Synagogenbesuch der Kölschen Kippa KöppBild: Markus Holubek

Es waren aber nicht nur Lebensfreude und Feierlaune, die 2017 zur Gründung der "Kölschen Kippa Köpp" führten. "Wir wollten an die lange Geschichte der jüdischen Karnevalstradition in Köln anknüpfen", sagte Vereinspräsident Aaron Knappstein der DW. Bereits im 19. Jahrhundert gehörte der Karneval für viele Kölner Juden wie selbstverständlich zum Leben. Ihr 1922 gegründeter "Kleiner Kölner Klub" (K.K.K.) war fest im Leben der Stadt verankert, der jüdische Karnevalsverein veranstaltete große Sitzungen und füllte ganze Säle.

Nazis beendeten jüdisches Karnevalsleben 

Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich alles. Der Verein wurde verboten: Es ging nicht mehr um den Karneval, sondern ums Überleben. "Viele Mitglieder, auch Bühnenkünstler mussten vor den Nazis fliehen, andere wurden deportiert und ermordet", erklärt Präsident Knappstein.

Ein kostümierter Karnevalist legt einen Blumenkranz auf einen Grabstein
Blumen der jüdischen Karnevalisten für ein jüdisches Opfer des HolocaustBild: Markus Holubek

Der Anstoß zur Neugründung 2017 aber kam nicht aus der jüdischen Community. Stattdessen war es Christoph Kuckelkorn, der Präsident des Festkomitees, das die Kölner Karnevalsvereine zusammenhält, der öffentlich feststellte: "Ein jüdischer Karnevalsverein ist unser fehlender Mosaikstein!" Inzwischen zählen die "Kölsche Kippa Köpp" mehr als 150 Mitglieder. "Wir feiern Karneval, so wie Juden in Köln immer im Karneval aktiv waren - vor und nach der Shoah", sagt Schriftführer Volker Scholz-Goldenberg und fügt hinzu: "Wir feiern denselben Karneval wie alle anderen auch."

Kostümierte Menschen auf der Bühne und an Tischen davor
Karnevalssitzung der Kölschen Kippa KöppBild: Markus Holubek

Im Stapelhaus, einem Brauhaus in der Kölner Altstadt, jagt derweil ein Gassenhauer den nächsten. Clowns und andere Paradiesvögel verschränken die Arme. Auf Bänken und an Stehtischen wird geschunkelt. Andere tanzen. Viele der Jecken tragen Westen mit Karnevalsorden und spitze Narrenkappen. 

Neonazitreffen macht Juden Angst

Dass der Antisemitismus in Deutschland zunimmt und die Stimmung zu kippen droht, ist aber auch hier zu spüren. Laut dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung wurden seit dem 7. Oktober 2023 rund 2.250 antisemitische Straftaten registriert​​​​​. "Das Besondere in diesem Jahr ist, dass wir mitten in der Session große politische Verwerfungen erleben", sagt Kippa-Köpp-Sprecher Lothar Beckhardt und meint damit nicht nur den Hamas-Angriff vom 7. Oktober.

Er verweist auf die Enthüllungen des Recherchenetzwerks Correctiv über ein Geheimtreffen von Rechtsextremen in Potsdam. Dort wurde über Abschiebungen von Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft aus Deutschland gesprochen. Seitdem demonstrieren Hunderttausende für Demokratie und gegen die rechtspopulistische Partei AfD (Alternative für Deutschland). "Diese starke Bewegung ist für uns Juden enorm wichtig", sagt Beckhardt. Die Geschichte habe gezeigt, dass Juden immer dort am besten leben konnten, wo es eine offene, tolerante und freiheitliche Demokratie gab. "Und deshalb ist es für uns überlebenswichtig, dass das so bleibt."

Eine Band auf der Bühne, davor sitzen kostümierte Menschen an langen Tischen
Musik gehört zu jeder Karnevalssitzung dazu - hier feiern die Kölschen Kippa Köpp Bild: Markus Holubek

Das Fest der Kölschen Kippa Köpp soll keine politische Veranstaltung sein. Und doch liegt der Krieg im Nahen Osten in der Luft. Ein Redner ruft von der Bühne: "Wir lassen uns von denen nicht das Leben kaputt machen!" Trotziger Applaus. Gläser werden angestoßen. Eine Karnevalistin stimmt ein: "Genau, das hat uns noch gefehlt!" Eine andere sagt: "Gerade jetzt muss man feiern, um den - Verzeihung - ganzen Driss (kölsche Mundart für Mist, Anm. d. Red.) zu vergessen!"