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Reise

Wird jüdische Vergangenheit Weltkulturerbe?

Elisabeth Yorck von Wartenburg
23. Januar 2020

Speyer, Worms und Mainz gelten als die Wiege des europäischen Judentums, sie wurden auch "Jerusalem am Rhein" genannt. Die drei Städte bewerben sich bei der UNESCO um den Titel Weltkulturerbe.

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Jüdischer Friedhof Heiliger Sand in Worms 016
Bild: DW/Maksim Nelioubin

Mehr als 900 Jahre prägte das jüdische Leben Speyer, Worms und Mainz. Die drei Städte am Rhein galten als wichtige Zentren jüdischer Gelehrsamkeit und als Wiege des europäische Judentums. Bekannt waren sie als "SchUM-Städte". Denn Speyer heißt auf Hebräisch Schpira, Worms Warmaisa und Mainz Magenza. Dabei steht Sch für Schpira, U für Warmaisa, (W wird wie U ausgesprochen) und M für Magenza. Der Begriff "SchUM" ist wie ein Logo, eine Wortmarke, die Juden weltweit kennen. 

Pressebilder SchUM-Städte e.V. | Worms Synagoge
Die Synagoge in WormsBild: SchUM-Städte e.V.

Unter dem Motto "SchUM-Städte am Rhein - Jüdisches Erbe für die Welt" haben sich Speyer, Worms und Mainz gemeinsam mit dem SchUM-Städte-Verein, der Jüdischen Gemeinde und dem Land Rheinland-Pfalz bei der UNESCO um die Anerkennung ihres jüdischen Erbes als Weltkulturerbe beworben. Der Antrag wurde im Januar 2020 eingereicht, mit einer Entscheidung ist frühestens im Juli 2021 zu rechnen.

Ein Blick in die jüdische Vergangenheit von Speyer, Worms und Mainz

Die SchUM-Geschichte beginnt in Mainz, einer der ältesten Städte Deutschlands, in der bereits die Römer lebten. Unter ihnen vermutlich auch Juden. Später, im 10. Jahrhundert, kommt der Gelehrte Moses Kalonymus, ein Händler und Gelehrter in die Stadt. Mit ihm beginnt eine geistige Blütezeit. Viele berühmte Rabbiner gehen aus seiner Familie hervor. 

Besonders bekannt ist aber Gerschom ben Jehuda, 960 in Metz geboren. Er lehrt in Mainz und zieht Studenten aus ganz Europa an. In seiner Amtszeit werden moderne Gesetze wie die verbindliche Einehe der Juden und das Briefgeheimnis beschlossen. Außerdem ein sehr modernes Scheidungsrecht. 

Nach Mainz wird Worms zum Gelehrtenzentrum am Rhein. Hier studiert der große Gelehrte Raschi im 11. Jahrhundert. In der Domstadt Speyer wiederum siedelt Bischof Rüdiger um 1048 Juden an, um, wie er sagt: "Das Ansehen dieses Ortes zu vertausendfachen". Speyer wird neben Mainz und Worms das dritte wichtige Zentrum jüdischer Kultur.

Die Juden können aber auch am Rhein nicht dauerhaft in Frieden leben. Es gibt immer wieder Pogrome. Völlig ausgelöscht werden die Gemeinden in der Zeit des Nationalsozialismus.

Auf den Spuren der SchUM-Geschichte

Bis heute sind Spuren der großen Vergangenheit geblieben. So zum Beispiel der Judenhof in der Altstadt von Speyer. Hier sind die Ruinenreste der Männer- und Frauensynagoge zu sehen. Daneben ein Ritualbad (Mikwe) aus dem 12. Jahrhundert. 

Judenhof und Mikwe in Speyer 006
Die Mikwe in Speyer ist die älteste Anlage ihrer Art in MitteleuropaBild: DW/Maksim Nelioubin

In Worms wurde die Synagoge im Laufe der Jahrhunderte mehrfach zerstört, aber die ortsansässigen Juden bauten das Gebäude immer wieder auf. "Es ist ein Ort mit sehr vielen Zeitschichten", so Susanne Urban vom Verein SchUM-Städte, der sich um den Erhalt und die Vermittlung der jüdischen Geschichte von Speyer, Worms und Mainz kümmert. Ihr Büro befindet sich gleich neben der Synagoge. "Die Juden in Worms sagten immer wieder: Wir bauen das auf, wir gehören hierher und möchten bleiben! Das zeugt von unglaublicher Widerstandskraft und dem Wunsch anerkannt zu sein."

Susanne Urban vom SchUM-Städte e.V.
Susanne Urban vom SchUM-Städte Verein in WormsBild: SchUM-Städte e.V.

Wie in Speyer gibt es auch in Worms eine Mikwe. Sie wird derzeit restauriert. "Diese Gemeinde-Ensembles aus  Synagoge, Frauensynagoge und Ritualbad sowie Lehrhaus und Gemeindehaus sind einzigartig auf der Welt. Es gibt sie in dieser Form nur hier am Rhein. Und dann kommen noch die großen Friedhöfe dazu", erklärt Susanne Urban.

Der Friedhof "Heiliger Sand" in Worms ist fast 1000 Jahre alt und hat alle Pogrome und Kriege überstanden. "Der Heilige Sand ist ein ganz wichtiger Ort für Juden, um ihre Familiengeschichte zu rekonstruieren und die Gräber von Gelehrten aufzusuchen", sagt Susanne Urban. "Es gibt hier 2500 sichtbare Grabsteine aus vielen Jahrhunderten - ein Meer aus Steinen." Etwa 86.000 Besucher besuchen jedes Jahr die jüdischen Stätten von Worms. 

Judensand - Alter Jüdischer Friedhof Mainz
Der "Judensand" in Mainz mit 196 GrabsteinenBild: picture-alliance/dpa/F. von Erichsen

In Mainz ist heute nicht mehr so viel zu sehen. Auch hier gibt es einen jüdischen Friedhof, aber von der alten Synagoge sind nur wenige Säulenreste erhalten geblieben. 2010 wurde eine architektonisch außergewöhnliche neue Synagoge gebaut. 

Jüdisches Leben heute

Die Neue Synagoge ist zwar nicht Teil der UNESCO-Bewerbung, aber sie trägt entscheidend dazu bei, dass heute wieder jüdisches Leben in Speyer, Worms und Mainz stattfinden kann. "Durch die Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion ist die Gemeinde sehr angewachsen, ohne diesen Zuzug wäre jüdisches Leben in Rheinland-Pfalz sicher ausgestorben", sagt der jüdische Fernsehjournalist und ehrenamtliche Synagogenführer Andreas Berg. "Heute leben in Worms und Mainz etwa 1400 Juden, aber das ist natürlich eine verschwindend kleine Zahl im Vergleich zu früher."

Deutschland Neue Synagoge Mainz, Rheinland-Pfalz
Die Neue Synagoge in Mainz: ein spektakulärer Bau des Architekten Manuel HerzBild: picture-alliance/imageBroker/B. Schmerl

Dass es heute wieder jüdisches Leben in den SchUM-Städten gibt, sei sehr wichtig für den Welterbeantrag, so Andreas Berg. "Wir hoffen natürlich, dass unsere jüdische Vergangenheit durch die Bewerbung bei der UNESCO mehr Beachtung findet. Und dass klar wird, dass das Judentum mehr als Shoa und Holocaust ist. Es hat eine in Europa sehr verwurzelte und blühende Tradition." 

Rund 100.000 Juden leben heute wieder in Deutschland. Die Shoa ist Vergangenheit, aber Anfeindungen sind auch heute noch Thema. "Die Gefahren sind größer geworden", meint Andreas Berg. "Viele Rabbiner und auch der Zentralrat raten dazu, in der Öffentlichkeit keine Kippa zu tragen, weil viele Juden schon schlechte Erfahrungen mit Antisemitismus gemacht haben." So ist die Anwesenheit von Polizisten vor Synagogen Alltag geworden. Andreas Berg hofft, dass die Sicherheitsvorkehrungen irgendwann nicht mehr notwendig sein werden. "Ich würde mir wünschen, dass jüdisches Leben selbstverständlich wird. Und für die SchUM-Städte wünsche ich mir, dass man sieht: Wir können auf dieses Stück deutsch-jüdische Geschichte stolz sein!"

Jerusalem am Rhein

Elisabeth Yorck
Elisabeth Yorck von Wartenburg Autorin, Redakteurin, Planerin, Social Media Managerin