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Jüdisches Museum Berlin öffnet mit neuer Dauerausstellung

Sabine Peschel
19. August 2020

Die Dauerausstellung war bis zu ihrer Schließung 2017 ein Besuchermagnet in Berlin. Nun gibt es eine neue: Es geht um jüdische Identität und Antisemitismus.

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Museumsdirektorin Hetty Berg und Staatsministerin Monika Grütters hängen bei der Eröffnung der neuen Dauerausstellung "Jüdische Geschichte und Gegenwart in Deutschland" im Jüdischen Mudeum Berlin Zettel mit ihren Wünschen in Blattform auf (Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen)
Der Baum als Symbol für vielfältiges jüdisches Leben: Museumsdirektorin Hetty Berg und Kulturstaatsministerin Monika Grütters hängen bei der Eröffnung der neuen Dauerausstellung Zettel mit ihren Wünschen in Blattform aufBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Eines hat sich nicht geändert: Es ist die Architektur des Baus von Daniel Libeskind, die die neue Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin deutlich mitprägt. Seit der Museumseröffnung 2001 erzählen die baulichen Schluchten, Klüfte und Metallwände von den Abgründen und Katastrophen in den Jahrtausenden jüdischen Lebens, von Unbehaustheit und Suche.

Auch die neue Dauerausstellung, die Besucherinnen und Besucher ab Sonntag (23.08.2020) besichtigen können, muss durch die langen, halbdunklen Gänge des Untergeschosses des Libeskind-Baus betreten werden, an deren Kreuzungspunkten Leerräume liegen, "Voids", wie sie Libeskind nannte: Räume ohne Objekte, die durch die Zick-Zack-Architektur des Gebäudes entstehen, Ort für Gedanken und Erinnerungen. Eine steile Treppe führt zu den asymmetrischen Hallen, in denen schließlich die Geschichte der Juden in Deutschland vom Mittelalter bis heute erzählt wird.

Neue Perspektiven, andere Schwerpunkte

Zweieinhalb Jahre lang hat ein 20-köpfiges Team die neue Dauerausstellung erarbeitet. "Die Geschichte der Juden hat sich nicht verändert, aber unsere Perspektive darauf", sagt Hetty Berg, die ihren Posten als neue Direktorin des Jüdischen Museums mitten in der Corona-Schließung antrat. "Die Gesellschaft wandelt sich und mit ihr auch das Publikum des Jüdischen Museums Berlin. Darauf geht die Ausstellung ein. Sie zeigt die Vielfalt des Judentums und ermutigt Besucher, jüdische Kultur in Vergangenheit und Gegenwart aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten."

Berg ist die Nachfolgerin des Judaistik-Professors Peter Schäfer, der 2019 nach heftigen Kontroversen über einen Tweet zur anti-israelischen Initiative "Boycott, Divestment and Sanctions" (BDS) und einer Debatte über das Selbstverständnis des Jüdischen Museums zurückgetreten war.

Zwei Frauen hören Audiobeiträge im Jüdischen Museum Berlin im Epochenraum "Auch Juden werden Deutsche" (Bild: Jüdisches Museum Berlin/Yves Sucksdorff)
"Auch Juden werden Deutsche" ist dieser Raum des Museums benanntBild: Jüdisches Museum Berlin/Yves Sucksdorff

Die letzte Dauerausstellung des Museums zog von der Eröffnung des Jüdischen Museums in Berlin bis Ende 2017 rund 11 Millionen Besucher an. "Wir setzen andere Schwerpunkte als vor zwanzig Jahren", sagt Cilly Kugelmann, die leitende Kuratorin der jetzigen Dauerausstellung. Anders als die frühere erzählt die neue Schau die 1700-jährige Geschichte nicht streng chronologisch. Der Rundgang wechselt zwischen historischen Epochen und Einblicken in Themen jüdischen Lebens: Welche Funktion hat die Tora? Was ist koscher, welche Idee verbirgt sich hinter diesem Konzept? Was bedeutet der Schabbat?

Themenräume für sinnliche Erfahrungen

Themenräume machen jüdische Kultur und Traditionen sinnlich erfahrbar: durch Farben und Klanginstallationen, Kunstwerke wie Anselm Kiefers "Bruch der Gefäße" ("Schewirat ha-Kelim") als Interpretation der mystischen Traditionen des Judentums, der Kabbala. Die meisten der präsentierten Objekte stammen aus dem eigenen Bestand des Museums, darunter so kostbare Gemälde wie Max Liebermanns "Biergarten nahe Wannsee".

Das Thema Antisemitismus, das viele Epochen durchzieht, wird in einem eigenen, Kino-ähnlichen Raum behandelt, in dem Kurzfilme Debattenanstöße geben sollen: Vier antisemitische Fallbeispiele der Gegenwart werden in den Filmen von Historikern und Soziologen aus verschiedenen Perspektiven eingeordnet. "Wir erleben viel Antisemitismus, in Worten und in Taten", erläutert Hetty Berg. Umso mehr sei es Aufgabe des Museums, jüdisches Leben aus jüdischer Perspektive zu erzählen.

Virtuelle Realität im Jüdischen Museum Berlin lässt die 1938 in der Pogromnacht von Nationalsozialisten zerstörte Synagoge in Plauen wiederentstehen (Bild: TU Darmstadt/Architectura Virtualis)
Virtuelle Realität lässt die 1938 in der Pogromnacht von Nationalsozialisten zerstörte Synagoge in Plauen wiederentstehenBild: TU Darmstadt/Architectura Virtualis

Monika Grütters: "Das Museum schärft das Bewusstsein"

"Dieses Museum erzählt jetzt von den 1700 Jahren deutsch-jüdischer Geschichte, auch von der Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland", erläutert die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters anlässlich der Eröffnung. Es schärfe das Bewusstsein für den Reichtum jüdischer Kultur und die Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven.

Doch das Berliner Museum dokumentiere auch die erschütternde Allgegenwart antisemitischer Ausgrenzung und Gewalt heute. "Es erfährt dafür vermutlich noch mehr Aufmerksamkeit als andere jüdische Museen, nicht nur als größtes jüdisches Museum in Europa, sondern auch und vor allem, weil es in Berlin steht. Also in der Stadt, in der die Nationalsozialisten den systematischen Völkermord an den europäischen Juden planten und die barbarische Tötungsmaschinerie in Gang setzten, der 6 Millionen Juden zum Opfer fielen."

Im Zentrum: die Beziehungen zwischen Juden und Nicht-Juden

Die Beziehungen von Juden zu ihrer nichtjüdischen Umwelt stehen im Zentrum der Schau und werden von der Geschichte bis in die Gegenwart nachgezeichnet: von den Anfängen jüdischen Lebens in Aschkenas, der mittelalterlichen rabbinischen Bezeichnung für Deutschland, über die Emanzipationsbewegungen im 19. Jahrhundert, durch die sich die Rolle von Jüdinnen und Juden in der Gesellschaft veränderte, über den Nationalsozialismus bis heute.

Eine Sammlung von Spendendosen, sogenannten Zedaka-Büchsen, illustriert den Abschnitt "Gebot und Gebet" im Jüdischen Museum Berlin  (Bild: Jüdisches Museum Berlin/Roman März)
Eine Sammlung von Spendendosen, sogenannten Zedaka-Büchsen, illustriert den Abschnitt "Gebot und Gebet" im MuseumBild: Jüdisches Museum Berlin/Roman März

Der Zeit nach dem Nationalsozialismus wird auch an anderer Stelle viel Platz eingeräumt - und nicht immer nur mit großem Ernst: In einer "Hall of Fame" des Museums tummelt sich in karikierenden Porträtzeichnungen, was Rang und Namen hat: jüdische SchauspielerInnen, SängerInnen und WissenschaftlerInnen von Albert Einstein, über Claude Lévy-Strauss bis Hannah Arendt und Lilli Palmer.

Die Ausstellung endet mit einer Videoinstallation, einem vielstimmigen Schlusschor, in dem Jüdinnen und Juden auf 21 Monitoren über ihr Jüdischsein in Deutschland sprechen. Verabschiedet werden die BesucherInnen aus dem Rundgang mit einem Zitat des Philosophen Ernst Bloch, in dem das Thema der jüdischen Diaspora noch einmal anklingt: "... so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat."