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Kühler Luftzug nach Merkels CSU-Auftritt

Bernd Gräßler, z.Zt. München20. November 2015

Auf dem CSU-Parteitag in München kommt es zur offenen Konfrontation zwischen Gastgeber Seehofer und der Kanzlerin über die Flüchtlingspolitik. Dabei hatte alles recht harmlos begonnen. Aus München Bernd Gräßler.

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Angela Merkel und Horst Seehofer CSU Parteitag
Bild: Getty Images/AFP/C. Stache

Die Sicherheitsmaßnahmen sind wie überall in diesen Tagen auch beim CSU-Parteitag besonders streng. Alle Taschen werden kontrolliert und bekommen dann eine gelbe Banderole um den Henkel geheftet. Kameras und Notebooks sind zur Kontrolle einzuschalten und werden, wenn sie nicht explodieren, mit einem pinkfarbenen Bändchen versehen. Fast 1000 Delegierte sind zusammengekommen, um die weitere Parteilinie in der Flüchtlingspolitik zu bestimmen und vor allem: Um die Rede von Angela Merkel zu hören.

Für die Bundeskanzlerin beginnt es viel besser, als es endet. Als sie an der Seite von CSU-Chef Horst Seehofer durch den riesigen Saal zum Rednerpult schreitet, begleitet sie ein Teil der Versammelten stehend mit rhythmischen Klatschen, ein anderer Teil bleibt sitzen. Nur wenige Protestplakate von jungen CSUlern mit der längst erledigten Forderung nach "Transitzonen" und ein einsames "Merkel raus"-Plakat sind zu sehen. Die von der Regie eingespielte laute Musik erinnert an einen Triumphmarsch und übertönt einzelne Pfiffe. Als die CDU-Vorsitzende eine gute Dreiviertelstunde später den Saal durch einen Seiteneingang wieder verlässt, ist der Beifall nur noch spärlich. Und - es mag Zufall sein - durch die riesige Halle auf dem Münchner Messegelände weht ein kühler Luftzug.

Das erhoffte Signal bleibt aus

Schuld daran ist Horst Seehofer, der gastfreundliche aber in der Sache weiterhin unerbittliche Bayer. Der CSU-Vorsitzende, der am Sonnabend von seiner Partei wiedergewählt werden will, macht der Kanzlerin auf offener Bühne klar, wo sie die Erwartungen nicht erfüllt hat: "Wir sind der festen Überzeugung, dass eine Integration der Flüchtlinge mit Zustimmung der Bevölkerung nicht zu haben ist, wenn wir nicht zu einer Obergrenze kommen", sagt Seehofer. Die Delegierten bekräftigen die Worte des Parteichefs mit langanhaltendem Beifall.

Schon vor dem Auftritt der Kanzlerin hatten sie einem Leitantrag ihrer Parteiführung zugestimmt, in dem eben diese Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen und eine strengere Kontrolle der deutschen Grenze verlangt wird. Was die Delegierten aber am meisten wünschen, ist ein unüberhörbares Signal Merkels nach Draußen, dass Deutschland es nicht verkraftet, wenn weiterhin täglich mehr als 6000 Flüchtlinge über die österreichische Grenze nach Bayern kommen. Stattdessen vertröstet die Chefin der CDU in ihrer Rede auf ein Vorgehen auf mehreren Ebenen. Nötig sei es, die nationalen Grenzen zu schützen, europäische Lösungen zu finden und Fluchtursachen zu bekämpfen, statt eine nationale Obergrenze festzulegen.

"Wir sehen uns zu diesem Thema wieder"

Viele im Saal hatten mehr erwartet. Wie Christian Elbau aus dem ostbayrischen Cham, der Merkels Mantra "Wir schaffen das!" in der Flüchtlingspolitik bezweifelt: "Es sieht nämlich so aus, als ob wir es nicht schaffen." Anne Zeisner aus Rhön-Grabfeld hatte gehofft, dass Angela Merkel ihren "Alleingang" beenden und mehr auf die CSU hören würde: "Dann könnten wir es vielleicht schaffen."

Peter Rögner aus Nürnberg dagegen hatte von Angela Merkel von vornherein "Schmeicheleinheiten" für die riesige Kraftanstrengung Bayerns bei der Aufnahme und Unterbringung der vielen Flüchtlinge erwartet. "Wir in der Nürnberger Südstadt haben die Belastungsgrenze längst erreicht", sagt Rögner, der Ehrenvorsitzender eines Ortsverbandes in Nürnberg ist. Die vielbeschworene nationale Obergrenze erscheint vielen CSUlern aus den Kreisverbänden und Kommunen Bayerns als Rettungsanker in einem anhaltenden Strom von Asylsuchenden.

"Wir sehen uns zu diesem Thema wieder", gibt der bayrische Ministerpräsident der Gastrednerin aus Berlin mit auf den Weg. Und er schließt eine Mahnung an, die wie eine Belehrung klingt. Bisher habe es die Union aus CDU und CSU immer geschafft, internationale Herausforderungen und nationale Interessen in Übereinstimmung zu bringen. Er trage aber die Hoffnung und ein bisschen auch die Gewissheit im Herzen, dass man sich auch diesmal verständigen könne.

Angela Merkel und Horst Seehofer
Der Empfang war noch freundlich ...Bild: Reuters/M. Rehle

Seehofer: "Sie wollte das so"

Seehofers fast viertelstündige Replik muss die Kanzlerin stehend neben ihm auf der Bühne ertragen, bevor sie einen großen Blumenstrauß zur Verabschiedung erhält und sich auf den Rückflug nach Berlin macht. Die Zeichen stehen wieder auf Konfrontation. "Sie wollte das so", sagt Seehofer später im kleinen Kreis.

Bis zu Seehofers mit sanfter Stimme vorgetragener Kampfansage hatte es überraschend harmonisch ausgesehen. Man feiert Angela Merkel für ihr anstehendes zehnjähriges Amtsjubiläum und die CDU-Chefin revanchiert sich mit Komplimenten zum 70-jährigen Bestehen der Schwesterpartei, das die Delegierten am gleichen Abend mit einer Feierstunde begehen. Merkel hält eine pathetische Rede, in der sie die Einheit der beiden Schwesterparteien ebenso beschwört wie das europäische Vermächtnis Helmut Kohls, die erfolgreiche deutsche Einheit und sogar den ausgeglichenen Bundeshaushalt. Sie zählt die Maßnahmen auf, mit denen die Bundesregierung versucht, den Flüchtlingsstrom besser zu steuern. Den stärksten Applaus in ihrer Rede bekommt sie, als sie über beschleunigte Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern spricht - das könne man auch "mit freundlichem Gesicht" tun - und dass "die Flüchtlinge unsere Werte annehmen müssen".

"Vernunftkultur statt Willkommenskultur"

In der Aussprache der Delegierten, die die Kanzlerin nicht verfolgt, kommen scharfe Töne von Markus Söder, dem bayrischen Finanzminister. Er spricht von einer Million Flüchtlinge und lobt den Widerstand seiner Partei gegen den ungebremsten Flüchtlingsstrom: "Gäbe es die CSU nicht, wären wir immer noch mitten in der Willkommenskultur, wir brauchen aber eine Vernunftkultur." Söder adressiert seine Attacke an die Grünen, aber jeder versteht, dass er auch die Kanzlerin meint.

Ein Delegierter tritt ans Mikrofon und ruft: "Wir sind keine Steigbügelhalter der Kanzlerin." "Mia san mia" ("Wir sind wir"; Anm. d. Red.), heißt es im selbstbewussten Bayern und dementsprechend auf dem Parteitag. "Wer zu uns kommt, hat sich uns anzupassen." Die deutsche und bayrische Leitkultur wird beschworen. Dazu passend beschließt der Parteitag, dass die Vollverschleierung von Frauen in Deutschland verboten werden soll. Es ist ein Antrag der Jungen Union in der CSU. Ein anderer Delegierter beschwert sich am Rednerpult, das er beim Einlass so streng kontrolliert worden sei - wo doch tausende Flüchtlinge ohne jegliche Registrierung ins Land kämen.