Politische K-Pop-Fans, unpolitische Stars
4. Juli 2020K-Pop-Fans scheinen sogar für eingefleischte Kenner dieses koreanischsprachigen Musikstils noch Überraschungen parat zu haben: Erst kürzlich haben sie den US-Präsidenten glauben lassen, seine Kundgebung im Bundesstaat Oklahoma am 20. Juni werde so gut besucht, dass extra noch eine zweite Bühne aufgebaut werden musste. Ihre Taktik bestand darin, die Anwesenheitsliste mit falschen Namen zu fluten. Als Trump seine Rede in einem fast halbleeren Stadion hielt - die Außenbühne war inzwischen schnell wieder abgebaut worden - wurde deutlich, wie sehr K-Pop-Fans via Twitter und der Video-Sharing-App TikTok politisch Einfluss nehmen können.
Weltweit berichteten die Medien nach der gewaltsamen Tötung des unbewaffneten Afroamerikaners George Floyd durch die Polizei über den sogenannten K-Pop-Vigilantismus. Die Fans, die sich hinter koreanischen Pop-Superstars wie der Boyband BTS, auch bekannt als die Bangtan Boys, zusammenschlossen, spendeten Anfang Juni nicht nur Millionen Euro an Black Lives Matter (BLM), sondern haben seitdem auch Polizei-Apps, die sich mit Fancams gegen BLM-Demonstranten richteten, oder rassistische Hashtags wie #WhiteLivesMatter gekapert. Bislang beschränkte sich die mediale Berichterstattung auf die harten Wettbewerbsbedingungen innerhalb der K-Pop-Szene. Anlass waren die Selbstmorde einiger ihrer Stars Ende 2019. Ein Grund dafür war auch das Online-Mobbing durch einige Fans.
Multikulturell und multiethnisch
Im augenblicklichen Hype um den K-Pop-Aktivismus berichten einige allgemein von Anhängern, die - zumindest in Südkorea - dazu neigen, sich von der Politik fernzuhalten. Sie werden "Stans" genannt, ein aus "Stalker" und "Fan" zusammengesetzter Begriff.
Laut Hye Jin Lee, Kommunikationsforscherin der University of Southern California, stammen die jüngsten politischen Interventionen weitgehend von K-Pop-Fans aus den USA. Dass sie für Black Lives Matter und gegen den weißen Nationalismus gekämpft haben, überrasche sie nicht, sagt Lee. "Es gibt eine große Überschneidung zwischen den demografischen Merkmalen der BLM-Bewegung und dem amerikanischen K-Pop-Fantum", sagt sie im Interview mit der DW. "Beide sind multiethnisch, multikulturell und generationenübergreifend", erklärt sie. Und beide seien vor allem von jungen Leuten getragen.
Amerikanische K-Pop-Fans identifizieren sich mit einer Pop-Kultur, die sich weitestgehend vom dominierten Mainstream der Weißen unterscheidet. "Sie sind offener für kulturelle Unterschiede und haben progressive Werte", sagt Lee.
In dem Bemühen, eine asiatische Pop-Subkultur zu "schützen und zu fördern", die aufgrund "imperialistischer, rassistischer und sexistischer Ideologien" marginalisiert bleibe, habe das K-Pop-Fanwesen bereits eine längere Geschichte des politischen Aktivismus im Netz, erklärt Lee. Dieses Engagement reiche von Petitionen und der Organisation von Wohltätigkeitsveranstaltungen über die Bekämpfung von Journalisten, die K-Pop-Stars falsch darstellten, bis hin zum Kauf von Werbeflächen in den Medien, um ihre Idole zu unterstützen.
Anhaltender Kampf von Black Lives Matter und anderer Bewegungen
Anzunehmen, dass diese Fans von Bands wie BTS motiviert wurden, sei ein Irrtum, sagt Lee. BTS hatte eine Million Dollar an BLM gespendet, bevor ihr Fan "Army" den Betrag über ihre #MatchAMillion-Kampagne mehr als ausgeglichen hatte.
"Die gegenwärtige politische Mobilisierung der K-Pop-Fans kann als eine Erweiterung ihres Kampfes gegen Orientalismus, Rassismus, Sexismus und Homophobie gesehen werden", so die Kommunikationsforscherin. "Um K-Pop in den USA akzeptabel und populär zu machen."
BTS ist der größte Act im K-Pop, der die Charts in den USA und Europa anführt. Die Band gilt als tweet-würdiger als Donald Trump - die DW berichtete. Während sich BTS zwar zu einigen sozialen Themen wie psychischer Gesundheit und wirtschaftlicher Ungleichheit äußerte, hätten sie ihre Plattformen aber "nicht dazu benutzt, ihre Fans zu drängen, politisch aktiv zu werden oder gegen die Vorherrschaft der Weißen zu kämpfen", sagt Lee. Sie glaubt, dass die Erklärung von BTS zur Unterstützung von BLM "überhaupt nicht politisch" sei.
Darüber hinaus haben die Band und ihre "Army" seit 2017 philanthropische Kampagnen gefördert, darunter UNICEFs #ENDviolence , und sie unterstützen syrische Flüchtlinge.
Es gibt gute Gründe für die politische Zurückhaltung des K-Pop. "Wenn K-Pop zu politisch aufgeladen wird, werden sich viele Fans abwenden oder bekommen weniger Unterstützung in ihrem Fan-Dasein seitens der Eltern", sagt Roald Maliangkay, außerordentlicher Professor am "College of Asia and the Pacific" der Australian National University in Canberra.
Wirtschaft vor Politik
Was er ein "glattes, unternehmerisches" und "hochindustrialisiertes" K-Pop-Business nennt, agiert letztlich im Sinne der Gewinnmaximierung. "K-Pop-Künstler kontrollieren natürlich nicht, wie ihre Arbeit politisch interpretiert wird, aber je stärker das der Fall ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass Ticket-Preise sinken", sagt Maliangkay der DW. "Weil K-Pop stark von Live-Auftritten und gewinnorientiertem Sponsoring abhängig ist, müssen die Künstler und deren Agenten konservativ agieren."
Tatsächlich haben laut einem Reuters-Bericht BTS-Fans in Südkorea Kollegen davor gewarnt, sich zu sehr in die US-Politik einzumischen. Der augenblickliche K-Pop-Aktivismus weist auf ein einzigartiges Phänomen hin, gelenkt von einer großen und mächtigen Fan-Basis, die unterschiedlich motiviert ist: eine Antwort auf Rassismus, aber einfach auch die "Freude über eine Zahl Gleichgesinnter und deren Vermögen, als Einheit aufzutreten", sagt Maliangkay.
Doch ohne die ausgesprochene Unterstützung ihrer Idole, wird diese Fan-geleitete Bewegung ihren Antrieb verlieren. "Sie werden vermeiden, ihre Arbeit zu sehr zu politisieren", sagt Maliangkay über die Stars. "Und ich nehme an, dass ihre Agenturen und viele ihrer Fans das ohnehin nicht von ihnen wollten."
In den USA zumindest ist eine andere Art der "K-Pop-Stans" in Erscheinung getreten. Angespornt werden sie von ihrem eigenen anhaltenden Kampf gegen Orientalismus und weiße Vorherrschaft. Das könnte Trump ein Dorn im Auge sein, während seiner Vorbereitungen auf das Rennen um die Präsidentschaftswahl im November.