Kais Saied ist Tunesiens neuer Präsident
13. Oktober 2019Tunesiens junge Demokratie steht vor einem Umbruch. Innerhalb weniger Wochen wurden Parlament und Staatsoberhaupt neu gewählt, die herrschende politische Klasse abgestraft. Schon vor der entscheidenden Stichwahl stand fest: Der nächste Präsident ist ein politischer Außenseiter. Die Entscheidung fiel zu Gunsten des konservativen Juraprofessors Kais Saied (Artikelbild).
Saied gewann die Stichwahl um das Präsidentenamt laut Umfragen deutlich: Das Meinungsforschungsinstitut Emrhod sah den 61-Jährigen bei 72,5 Prozent, das Institut Sigma sogar bei 76,9 Prozent. Saïed deklassierte damit seinen Konkurrenten, den umstrittenen Medienunternehmer Nabil Karoui. Ein amtliches Endergebnis wird innerhalb der kommenden zwei Tage erwartet.
Jugend stimmt für Saied
Tausende Tunesier gingen auf die Straßen, um Saieds Wahlsieg zu feiern. In der Hauptstadt Tunis wurden Feuerwerkskörper gezündet und es gab Hupkonzerte. Auch an anderen Orten des nordafrikanischen Landes gab es spontane Autokorsos. Saied dankte in einer kurzen Ansprache der Jugend, die "ein neues Kapitel der Geschichte" aufgeschlagen habe - laut Umfragen stimmten rund 90 Prozent der 18- bis 25-Jährigen für den Juraprofessor. Er werde den Geist des Arabischen Frühlings von 2011 fortführen, versprach Saied. "Unser Projekt gründet auf der Freiheit. Die Zeit der Unterwerfung ist vorbei."
Saieds Rivale Karoui beklagte, dass er durch seine wochenlange Inhaftierung wegen des Vorwurfs der Geldwäsche und Steuerhinterziehung benachteiligt worden sei. Es sei ihm nicht möglich gewesen, sich entsprechend zu präsentieren. Der 56-Jährige war im August in Untersuchungshaft genommen worden und erst vor wenigen Tagen wieder freigekommen. Er sieht die Ermittlungen gegen sich als politisch motiviert an.
Saied will Verfassung und Wahlsystem reformieren
Der parteilose Saied ist ein bekannter Verfassungsexperte, hat aber keinerlei Regierungserfahrung. Den Tunesiern verspricht er neben der Bekämpfung der Korruption eine rigorose Überarbeitung der Verfassung und des Wahlsystems. Er setzt sich für ein dezentralisiertes Regierungsmodell mit mehr Demokratie auf lokaler Ebene ein. Saied ist zudem für seine erzkonservativen Ansichten in gesellschaftlichen Fragen bekannt, etwa im Umgang mit Homosexualität, die in Tunesien mit Haftstrafen geahndet werden kann.
Unterstützung erhielt er zuletzt von der gemäßigt islamistischen Ennahdha-Partei. Diese hatte vor einer Woche die tunesische Parlamentswahl gewonnen. Nach vorläufigen Ergebnissen kam sie auf 23,9 Prozent der abgegebenen Stimmen und ist damit auf ein Bündnis mit anderen Parteien angewiesen, um das Land regieren zu können. Auf dem zweiten Platz landete Karouis neugegründete Partei "Kalb Tounes" (Herz Tunesiens) mit 17,5 Prozent. Dem Land steht wohl eine schwierige Regierungsbildung bevor.
Tunesien hatte nach dem sogenannten Arabischen Frühling 2011 als einziges Land, in dem es Proteste gegeben hatte, tiefgreifende demokratische Reformen eingeleitet. Das Land kämpft aber mit großen wirtschaftlichen Problemen und hoher Arbeitslosigkeit. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist groß. Bei der ersten Runde der Wahl gaben nur 45 Prozent der registrierten Wähler ihre Stimme ab.
ie/ww (dpa, rtr, afp)