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Kalkulierte Staatsabstinenz im Lager Idomeni

Panagiotis Kouparanis (z.Zt. Idomeni)17. März 2016

Die griechische Regierung überlässt die Menschen im Flüchtlingslager von Idomeni weitgehend sich selbst - wohl auch aus politischem Kalkül. NGOs und Freiwillige organisieren die Hilfe für die mehr als 10.000 Flüchtlinge.

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Griechenland Neuankommende Flüchtlinge in Idomeni
Bild: DW/P. Kouparanis

Bereits 2014 begannen Menschen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan, Marokko, Pakistan die griechisch-mazedonische Grenze bei Idomeni zu überqueren. Um den Strom der Flüchtlinge einzudämmen, beschloss ein Jahr später die mazedonische Regierung die Grenze zu Griechenland stärker abzuschirmen.

Als im Jahr 2014 mehr und mehr Menschen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan, Marokko und Pakistan begannen, die griechisch-mazedonische Grenze bei Idomeni zu überqueren, lebten in dem Dorf 130 Menschen - heute ist die Grenze geschlossen und Idomeni das größte Flüchtlingslager Europas. Das Schicksal der Menschen dort scheint den griechischen Staat nicht zu interessieren. Die "diskrete" Präsenz von rund 70 Polizisten und zwei geparkte Vans des Gesundheitsministeriums im Camp ändern nichts an diesem Eindruck.

Die Tugend der Staatsabstinenz

Die Regierung ficht das nicht an. Ja mehr noch - sie macht aus der Not der Flüchtlinge eine Tugend. Kulturminister Aristidis Mpaltas glaubt, die Bilder aus Idomeni, die in der ganzen Welt Entsetzen provozieren, würden Griechenland "ehren". Sie zeigten nämlich, dass die Flüchtlinge nicht unter Druck gesetzt würden. Überdies seien sie eine Schande für die Länder, die ihre Grenzen geschlossen haben. Migrationsminister Giannis Mouzelas wiederum heißt die Staatssferne in Idomeni eine "politische Entscheidung". Dadurch werde Europa ständig an die Flüchtlingsfrage erinnert.

Wäscheleine vor Zelten im Flüchtlingslager Idomeni an der griechische-mazedonischen Grenze (Foto: DW, Hang-Shuen Lee)
Mehr als 10.000 Flüchtlinge leben inzwischen im Camp IdomeniBild: DW/H.-S. Lee

Daneben soll der unwirtliche Ort die Flüchtlinge wohl auch dazu bewegen, Idomeni zu verlassen und sich in die neu errichteten Aufnahmelager zu begeben. Angeblich wirkt das Elendszenario schon. Am 13. März bezifferte das Innenministerium die Zahl der Menschen im Camp von Idomeni auf rund 12.000, drei Tage später, am 16. März, sollen es nur noch 10.500 gewesen sein. Wie diese Zahlen angesichts der Abstinenz staatlicher Stellen zustande kommen, ist unklar. Vor Ort bekommt man einen anderen Eindruck: Am Mittwoch war der Zuzug von immer neuen Menschen im Camp zu beobachten. Busse, die Flüchtlinge wegfuhren, dagegen nicht.

Nichtstaatliche Helfer springen ein

Hilfe leisten in Idomeni fast ausnahmslos Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Zu ihnen gehört neben UNICEF oder "Save the Children International" auch die griechische Flüchtlingshilfsorganisation "Praksis". Seit August 2015 leitet die Arbeit in Idomeni Katerina Goula. Im Auftrag von anderen Organisationen übernehme "Praksis" die Verteilung von Lebensmitteln, erläutert sie. Augenblicklich seien es täglich 20.000 Sandwiches, die von "Samaritan's Pursue" gespendet werden. Dieser evangelikale Wohltätigkeitsverein ist bekannt für seine Missionsaktivitäten unter Nicht-Christen. In Idomeni verzichtet er auf solche Aktivitäten, dagegen verteilen die Zeugen Jehovas Flugblätter auf Arabisch und rufen die muslimischen Flüchtlinge auf, bei ihnen mitzumachen.

Freiwillige Helfer verteilen im Flüchtlingslager Idomeni an der griechische-mazedonischen Grenze Brot (Foto: DW/Panagiotis Kouparanis)
Freiwillige Helfer verteilen BrotBild: DW/P. Kouparanis

An den irdischen Bedürfnissen ist dagegen die Arbeit der ökologischen Initiative "Oikopolis" aus Thessaloniki orientiert. Sprecherin Dimitra beziffert die Zahl der Freiwilligen in Idomeni auf 20 bis 25 Personen. Sie verteilen Lebensmittel, Pampers, Milch und vieles andere mehr an die Flüchtlinge. Die Spendenaufrufe von "Oikopolis" auf Facebook fänden ein großes Echo, berichtet Dimitra. Drei Container auf dem Campgelände und die Lager in Thessaloniki seien propenvoll.

Sichtlich stolz ist sie auf die Küche vor Ort, in der für 4000 Menschen gekocht wird. Vermutlich weltweit einmalig ist, dass in dieser Küche, Chefköche am Herd stehen. Mitte Dezember hat der "Chefclub" Nordgriechenlands entschieden, sich an der Hilfsaktion von "Oikopolis" zu beteiligen. Seitdem stehen täglich zwei Chefköche im Camp am Herd.

Die Chefköche Mpampis Kalogeridis und Maria Gougoudi kochen im Laher Idomeni für die Flüchtlinge (Foto: DW/Panagiotis Kouparanis)
Eine Mahlzeit für 4000 Menschen - Mpampis Kalogeridis und Maria Gougoudi kochen für die FlüchtlingeBild: DW/P. Kouparanis

Gekocht wird nicht nach Plan, sondern mit dem was auf Lager ist, sagt Mpampis Kalogeridis. Er ist Chefkoch in einem Hotel auf der Insel Thassos, das über den Winter geschlossen hat. Obwohl die Küche in einem Container untergebracht ist und alles sehr eng ist, mache ihm die Arbeit im Flüchtlingscamp Spaß. Die größte Zufriedenheit verspüre er, wenn alle versorgt seien und keiner mehr anstehe.

Verantwortungslose Helfer?

Neben den Nichtregierungsorganisationen sind Hunderte freiwillige Helfern nach Idomeni gereist. Ihre Motive sind unterschiedlich. Die allermeisten wollen konkrete Hilfe leisten. Zu ihnen gehören ihrem Selbstverständnis nach der Student Artur, der Teilzeitbeschäftigte Charly, der Jurist Fabian und der Freiberufler Niklas, die den Verein "Singnal of Soldarity" gegründet haben. Sie leisten Flüchtlingshilfe - ob in ihrer Heimatstadt Bremen oder dort wo gerade Not am Mann ist. Auf Lesbos und Calais haben sie Kleidung sortiert und ausgegeben, Essen verteilt oder auch Zelte aufgebaut. Ähnliches machen sie gerade eine Woche lang in Idomeni. Wo Hilfe gebraucht wird, erfahren sie entweder über die schwedische Hilfsorganisation "Lighthouse Relief" oder via Facebook.

Auf diese Weise seien sie am frühen Montagnachmittag darüber informiert worden, dass Flüchtlinge dabei sind die mazedonische Grenze überqueren und Gefahr liefen zu ertrinken. Wie andere Freiwillige auch seien sie umgehend zur angegebenen Stelle gefahren. Dort standen sie vor der Frage, entweder den Flüchtlingen, darunter Frauen, Kinder, Versehrte und Greise, zu helfen über das Wasser zu gelangen oder passiv zu bleiben und nur zuzuschauen. Da die Menschen entschlossen waren, auf jeden Fall über den Fluss zu gehen, entschieden sie sich fürs Helfen.

Artur, Niklas, Fabian und Charly (v.l.) vom Bremer Verein "Signal of Solidarity" (Foto: DW/Panagiotis Kouparanis)
Artur, Niklas, Fabian und Charly (v.l.) vom Bremer Verein "Signal of Solidarity"Bild: DW/P. Kouparanis

An Spekulationen, dass hinter dem Marsch der Flüchtlinge eine Gruppe politisch motivierter Freiwilliger stecke, möchten sich Artur, Charly, Fabian und Niklas nicht beteiligen. Sie können das aber auch nicht ausschließen. Sollte es tatsächlich so gewesen sein, dann sei es unverantwortlich gewesen, mit falschen Behauptungen das Leben von Flüchtlingen aufs Spiel zu setzen, betonen die vier. Nichts anderes bewirke die Aussage, dass man von Mazedonien nach Deutschland weiter reisen könne oder dass Migranten in die Türkei abgeschoben würden, wenn sie in Griechenland blieben. So hieß es in dem ominösen Flugblatt, dass einen Tag vor dem Exodus im Camp verteilt wurde.