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Kalter Kaffee neu aufgewärmt?

2. Juli 2003

Eine um mehrere Staaten ergänzte Auswertung der PISA-Studie hat erneut die Schwächen des deutschen Schulsystems offen gelegt. In Sachen Leistung findet sich die Bundesrepublik nach wie vor im unteren Mittelfeld wieder.

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Deutsche Schüler sind in Sachen Lesekompetenz weiter abgerutschtBild: AP
Karin Wolff
Karin WolffBild: AP

Die PISA-Schulstudie und das miserable Abschneiden der deutschen Schüler liegt den Länder-Kultusministern immer noch schwer im Magen. Mit dem Satz "kalter Kaffee neu aufgewärmt" versuchte ihre Präsidentin, Hessens Schulministerin Karin Wolff (CDU), die um zehn weitere Staaten ergänzte neue PISA-Auswertung am Dienstag (1. Juli 2003) vom Tisch zu wischen. Erstmals stellten die Länder-Kultusminister dabei auch indirekt die "methodische Sauberkeit" der international anerkannten OECD-Autoren in Frage, die die weltweit beachtete und bislang größte Schulleistungsstudie organisiert haben.

Bundesrepublik wiederum nur im unteren Mittelfeld

Dabei hatten die Schulforscher der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der UN-Bildungsorganisation (UNESCO) bei der Präsentation ihrer neuen Auswertung in London überhaupt keinen Hehl daraus gemacht, dass die deutschen Daten wie die von 30 anderen Industrienationen aus dem Jahr 2000 stammten. Die Werte der jetzt zusätzlich in die internationale Schul-Leistungsrangliste aufgenommenen zehn weiteren Staaten, darunter ehemalige Ostblock-Länder oder ärmere Staaten Lateinamerikas, wurden dagegen erst 2002 erhoben.

Andreas Schleicher
Andreas SchleicherBild: AP

Für die Schulforschung ist es eher nebensächlich, ob die Bundesrepublik beispielsweise beim Lese-Leistungsranking jetzt den 21. Platz belegt - oder nunmehr auf den 22. Platz noch weiter abgerutscht ist. Viel schwerwiegender ist für die deutschen Schulen vielmehr ihr erneut miserables Zeugnis in Sachen sozialer Förderung. Nur in Polen, Israel und Bulgarien haben laut PISA Migrantenkinder und Schüler aus ärmeren Familien noch schlechtere Bildungschancen als in Deutschland. Für den internationalen Systemvergleich ist es dabei unerheblich, ob diese Grunddaten aus dem Jahr 2000 oder 2002 stammen. Der OECD-PISA-Experte Andreas Schleicher sagte, in Deutschland sei wie in kaum einem anderen Land der Welt schulischer Erfolg von der sozialen Stellung des Elternhaus abhängig. Dagegen gelinge es den Schulen anderer Länder viel besser, herkunftsbedingte Nachteile auszugleichen.

Der PISA-Schock lässt wieder grüßen

Die erste PISA-Veröffentlichung im Dezember 2001 hatte in Deutschland einen Schock ausgelöst. Die Schulminister haben seitdem verschiedene Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung des Unterrichts eingeleitet, die bei Experten bislang mehr oder weniger Begeisterung auslösten. Doch die in den meisten Bundesländern übliche Gliederung des deutschen Schulsystems in Hauptschul-, Realschul- und gymnasiale Bildungsgänge wurde von der Kultusministerkonferenz nicht in Frage gestellt. Dies gilt auch für die SPD-Schulminister, die der langen Auseinandersetzungen der 1970er und 1980er Jahre um die Gesamtschule überdrüssig sind.

Dabei machen viele Schulforscher gerade die frühe Selektion der deutschen Schüler auf die verschiedene Schulformen dafür verantwortlich, dass in kaum einem anderen Industrieland der Bildungserfolg so sehr von der sozialen Herkunft abhängig ist wie in Deutschland. Im weltweiten Vergleich kennen nur noch Deutschland und Österreich eine Aufteilung der - in der Regel - zehnjährigen Kinder nach der vierten Grundschulklasse. Das österreichische Schulsystem gilt dabei noch in sich als durchlässiger. In allen anderen PISA-Siegerländern gehen dagegen die Schüler mindestens acht, oft auch neun Jahre gemeinsam in eine Schule. Bundesbildungsministerin Edelgard Buhlman (SPD) sagte, die neue Auswertung zeige, wie dringend in Deutschland eine Bildungsreform sei. Begabung und Fähigkeiten von Schülern dürften nicht länger verschenkt werden und soziale Herkunft nicht länger über die Bildungschancen entscheiden.

Musterbeispiel Hongkong

Überrascht waren die Schulforscher über das gute Abschneiden des neuen PISA-Teilnehmerlandes Hongkong. Auf Anhieb stieg Hongkong bei Mathematik und Naturwissenschaften in die internationale Spitzengruppe auf. Das zweisprachige Hongkong sei zudem vorbildhaft bei der Förderung von Migrantenkindern, sagte Schleicher. Schulischer Aufstieg erfolge nach Leistung und nicht nach sozialer Herkunft. Trotz schlechterer wirtschaftlicher Startbedingungen und mit einem 45-prozentigen Anteil von Migrantenschülern – im Vergleich zu 16 Prozent in Deutschland - läge Hongkong in allen Disziplinen weit vorne. "Das Beispiel Hongkong zeigt, dass es zentral darauf ankommt, die individuelle Förderung nach klaren Leitsätzen in das Gesamtbildungssystem zu integrieren", sagte Schleicher. (fro)