Kalter Krieg ums Fracking
29. Oktober 2014Den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Fracking und Zahlen über Krebsraten im Ordner, weitere Fakten im Laptop gespeichert: Kathrin Otte eilt mit ihren Unterlagen von einem Termin zum nächsten. Sofern möglich - denn die stellvertretende Vorsitzende des Gemeinnützigen Netzwerks für Umweltkranke (GENUK) muss sich regelmäßig Auszeiten nehmen. Ihr Immunsystem ist seit frühester Jugend geschwächt: Quecksilber-Amalgam-Zahnfüllungen, Pestizide auf dem elterlichen Obsthof und giftige Lösungsmittel und Lacke während der Tischler-Lehre machten aus der intelligenten und ehrgeizigen Frau ein Wrack. Diagnose: toxisch induzierte Multisystem-Erkrankung. In einer Zeit der Erschöpfung und Unsicherheit hat sie sich ihr fundiertes Wissen über Umweltgifte angeeignet. Die beim Fracking eingesetzten Chemikalien zählen dazu.
Skepsis seit Störfällen in den USA
Mehr als 50 Jahre wird "gefrackt", allerdings mit einer Methode aus Sand, Wasser und Hochdruck, in tiefen, undurchlässigen Sandsteinschichten. Neu ist die Diskussion über Fracking in noch undurchlässigeren gasführenden Schiefergesteinschichten.
Eine Regelung dieser Art der Förderung und die Entsorgung von giftigen Schadstoffen war im deutschen Bergrecht bisher nicht vorgesehen. 95 Prozent der Erdgasvorkommen werden in Niedersachsen gefördert, unweit der Region, in der Kathrin Otte lebt. Aber erst durch Berichte über Stör- und Krankheitsfälle aus den USA wurden die Deutschen aufgeschreckt.
Kathrin Otte zieht ein Blatt des niedersächsischen Krebsregisters aus ihrem Stapel hervor. Aus der Statistik geht hervor, dass in Bothel außergewöhnlich viele Männer an verschiedenen Formen von Lymphdrüsenkrebs erkrankten. Bisher konnte niemand die Ursache erklären. Kathrin Otte vermutet, dass die Krebsfälle mit den Erdgasförderanlagen rund um den Ort südöstlich von Bremen in Zusammenhang stehen. Aber auch an den anderen 456 Bohrstellen wird diese Gefahr vermutet.
Mit der Fracking-Methode aus den USA wird ein flüssiges Gemisch aus bis zu 17 Millionen Litern Wasser, Quarzsand und teilweise giftigen Substanzen in das Schiefergestein gepresst. Durch den extrem hohen Druck und das kalte Gemisch, das auf 160 Grad Hitze trifft, wird das Gestein gesprengt. Das eingeschlossene Gas entweicht mit hohem Eigendruck über die Förderrohre an die Erdoberfläche. Die Chemikalien bewirken, dass der Sand gut rutschen kann. Und der Sand verhindert, dass sich die Risse wieder schließen.
Immer wieder wurde Benzol im Boden und im Grundwasser um die Bohrstellen gefunden, das durch undichte Leitungen austreten konnte. Die hochtoxischen Benzoldämpfe können bei längerem Einatmen Krebs erzeugen. Das Landesbergamt fand außerdem erhöhte Quecksilberwerte im Boden.
Bei jeder Bohrung wird mit dem Gas sogenanntes Lagerstättenwasser an die Oberfläche gefördert. Es ist natürlicher Bestandteil der Erdgaslagerstätten. Es reißt giftige Substanzen wie Benzol, Toluol, Xylol, Schwermetalle, radioaktive Stoffe wie Radon 226 sowie bis zu 22-prozentiges Salzwasser mit an die Oberfläche.
Kathrin Otte hat im Verbund mit Bürgerinitiativen nun ereicht, dass anhand einer langfristigen Gesundheitsuntersuchung an mehreren hundert Bohrplätzen nach möglichen toxischen Belastungen und somit Ursachen der Erkrankungen geforscht wird. "Wir können aber wegen der personellen Unterbesetzung des messenden Landesbergamtes erst in mindestens vier Jahren mit den Ergebnissen rechnen, beklagt Otte. "Wir hoffen natürlich, früher einen direkten Bezug zu einer Krankheitsentwicklung wissenschaftlich herstellen zu können."
Behörden überfordert oder beeinflusst
"Die ganze Region befand sich bezüglich der Gefahren durch die Gasförderung im Dauerschlaf", sagt Hartmut Horn. Er wirkt besonnen, aber auch besorgt. Und viel lieber würde der Schriftsteller Gedichte verfassen, statt Interviews zu geben. Doch als 2011 700 Meter von seinem Haus entfernt eine Erdgasbohrstelle errichtet wurde, begann Horn, sich mit Fracking zu beschäftigen. "Bis dahin habe ich gedacht, Erdgas sei eine saubere Energie. Ich habe nie vermutet, wie schmutzig die Förderung ist", sagt Horn.
Er und seine Mitstreiter hätten damals das Wasserwirtschaftsamt überhaupt erst über das Vorhaben informiert. Inzwischen hat Horn die Bürgerinitiative "Frack-loses Gasbohren im LK Rotenburg/Wümme" gegründet. Selbst die Washington Post und die Stimme Russlands wollten seine Einschätzung wissen.
Er erzählt, dass mehrfach die Rotenburger Rinne durchbohrt wurde. Aus der wasserführenden Schicht dieses eiszeitlichen Wasserreservoirs beziehen 400.000 Menschen ihr Trinkwasser. Horn befürchtet die Verseuchung des Trink- und Grundwassers. Auch die großen Mengen Wasser, die mit den Chemikalien in die Tiefe gepumpt werden, um das Gestein aufzubrechen, müssen anschließend aufbereitet und entsorgt werden. Der Umgang mit Lagerstättenwasser aber sei das größte Probleme, sagt Horn. Es ist immer giftig, unabhängig von den Chemikalien, die beim Fracking in den Boden gepresst werden.
Die umweltschädliche Mischung wird in der Region um Rotenburg/ Wümme per LKW oder über ein 800 Kilometer langes Netz hin zu den Verpressbohrstellen transportiert und auf 750 Meter Tiefe gepumpt. "Genau wie beim Atommüll gibt es keine Regelung", sagt Horn. Das Wasser müsse an der Oberfläche gereinigt werden. "Das aber ist offenbar zu teuer für die Konzerne", schätzt er und deutet auf die Störfälle-Liste des Landesbergamtes: Leitungsschäden, die zur Boden- und Grundwasserverseuchung führten, Quecksilber-Freisetzungen, Vergiftung von Luft und Boden durch Abfackeln, Brände, Erdbeben - alles dabei. "Die Behörden haben die Kontrollen bisher immer den Firmen überlassen. Das ist doch fahrlässig."
Druck der Öffentlichkeit
Umweltschützer forderten mit 650.000 Unterschriften Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) zu einem generellen Verbot der umstrittenen Gasförderung auf. Sie sei dagegen, erklärte die Ministerin. Gleichzeitig sprach sie jedoch auch vom Druck der Lobby. Gemeint sind die Gaskonzerne wie Exxon Mobil, Wintershall und RWE Dea. Sie sponsern Kindergärten und Schulen, soziale Projekte und vor allem Jugendfeuerwehren mit bis zu 10.000 Euro. In Zeiten klammer Kassen können sich kommunale Einrichtungen solchen Zuschüssen aus der Wirtschaft nur schwerlich entziehen. Und immerhin erhält das jeweilige Bundesland auch ein Drittel der Fördereinnahmen.
Auch Geologen und Anwohner sind beim Thema Fracking gespalten. Landwirte, die ihren Grund an einen Gas-Konzern verpachtet haben, sind Befürworter. Kartoffelbauern beklagen dagegen, keine Abnehmer mehr für ihre Ernte zu finden.
Georg Meiners, Leiter eines Teams von mehr als 20 Wissenschaftlern, das für das Umweltbundesamt ein Gutachten erstellte, äußert sich vorsichtiger als Kollegen, die bei Behörden beschäftigt sind oder in Diensten der Industrie stehen. Er lehnt Fracking nicht grundsätzlich ab, sagt aber: "In meiner Welt betrachte ich die Risiken und frage mich: 'Was kann man tun, um diese zu vermeiden oder zumindest zu vermindern?'" Zum Beispiel besteht das Risiko, dass durch undichte Bohrungen Gase und Flüssigkeiten in die umgebenden Gesteine entweichen und sie dort das Grundwasser belasten. "Durch einen speziellen Ausbau der Bohrungen kann man dieses Risiko mindern, gänzlich ausschalten kann man es nicht", so Meiners. Deshalb müssen solche Bohrungen durch Monitoring zusätzlich genau überwacht werden.
Meiners stellt sich auch die Frage, ob die Ergasförderung durch Fracking aus volkswirtschaftlicher Sicht überhaupt sinnvoll ist. Eine Antwort darauf gaben die Umweltökonomen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW): "Die Förderung von unkonventionellem Erdgas in der EU ist auf absehbare Zeit unwirtschaftlich." Außerdem seien die Kosten für Umwelt und Gesundheit durch unkonventionelle Gasförderung schwer einzuschätzen.
Die Behörden sind sich uneins über das Erdgas-Potenzial: "Gibt es überhaupt ausreichend förderbares Erdgas aus unkonventionellen Erdgaslagerstätten in Deutschland? Aktuell weiß das keiner. Bevor nicht dort gebohrt wird ist alles Spekulation", sagt der Geologe Georg Meiners. Für den Fall, dass sich Erdgas im Schiefergestein fördern ließe, rechnet das Umweltbundesamt damit, dass der deutsche Bedarf für 13 Jahre gedeckt werden könnte. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe geht von 27 Jahren aus.