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Kaltherzige Retter?

Richard A. Fuchs, Berlin 10. Juli 2015

Noch ist ein möglicher Grexit nicht abgewendet. Deshalb schauen viele auf Deutschlands Krisendiplomatie. Merkel agiert nüchtern, was sie zur Zielscheibe teilweise wütender Kritik macht. Fehlt den Deutschen das Mitgefühl?

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'Banque de Merkel' (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images/C.Furlong

Dieses Graffiti drückt mehr als die Meinung eines einzelnen Griechen aus: In roten Lettern ist der Schriftzug der griechischen Nationalbank übersprüht. Nicht mehr "Banque de Grece" steht jetzt am Haupteingang der Zentralbank in Athen, sondern "Bank von Merkel". Ein visueller Hilferuf, der vieles bedeuten kann, eines aber in jedem Fall ausdrückt: Frust und Enttäuschung über Europas bisherige Rettungspolitik, die in den Augen vieler Griechen die Krise weiter verschärft hat. Banken wurden gerettet, nicht aber das wirtschaftliche Überleben von Geringverdienern und Arbeitslosen gesichert, so der Vorwurf vor allem an die Adresse der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Diese verkörpert für viele eine Politik der 'eisernen Hand'. Eine Politik, in der es Hilfe nur gegen Gegenleistungen gibt – nüchtern kalkuliert, bisweilen kaltherzig. Doch fehlt es Angela Merkel wirklich an Einfühlungsvermögen für das griechische Leid?

"Ein gewisser Grad an Nüchternheit kann helfen"

Rainer Wend, Präsident der Europäischen Bewegung Deutschland, winkt im DW-Interview ab: "Wer die Bundeskanzlerin kennt, der weiß, dass sie eben eine sehr nüchterne, zurückhaltende Person ist." Merkels Regierungserklärung vor wenigen Tagen bestärkt diesen Eindruck. Mit beinahe regungsloser Mimik gibt sie zu Protokoll: "Ob es einen Kompromiss geben kann, bei dem die Vorteile die Nachteile überwiegen, das müssen wir zu gegebener Zeit entscheiden."

Rainer Wend (Foto: Imago)
Rainer Wend, Präsident Europäische BewegungBild: Imago

Manch griechischen Journalisten in Berlin erzürnt dieser sachliche Merkel'sche Tonfall zutiefst. In der täglichen Regierungspressekonferenz stellte ein griechischer Korrespondent eine Regierungssprecherin zur Rede: "Glauben sie nicht, dass es eine Schande ist, so nüchtern über eine humanitäre Katastrophe im Zentrum Europas zu sprechen?" Die Antwort der Sprecherin, sie hätte wohl auch von der Kanzlerin selbst stammen können: "Ein gewisser Grad an Nüchternheit kann durchaus auch helfen, um in dieser Situation – die für alle Beteiligten nicht ganz einfach ist – die Möglichkeiten auszuschöpfen, die die Währungsunion bietet."

Angela Merkel an Türspalt (Foto: dpa)
Ist die Tür für Griechenland noch offen? Angela Merkels Votum dürfte mitentscheidend seinBild: picture-alliance/dpa/P. Grimm

Doch bietet die Währungsunion genügend Optionen? Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras ließ bislang keinen Zweifel daran, dass die Angebote der Gläubiger nicht zumutbar seien. Spricht Merkel von "präzisen" neuen Vorschlägen, die gebraucht werden, um sich mit den Gläubigern zu einigen, dann sprach der griechische Ministerpräsident bislang oft von "Erpressung", vielfach sogar von "Demütigung".

Neudeck: Diese Vorwürfe sind "politisches Interesse"

Das will Rupert Neudeck so nicht stehen lassen. Neudeck ist für seine klaren Worte im Kampf gegen humanitäre Krisen und Flüchtlingselend bekannt. Zusammen mit seiner Frau gründete er 1979 den Verein "Cap Anamur", eine Hilfsorganisation für weltweite Einsätze. Deutsche Regierungen geht er oft scharf an, geißelt sie für ihr Versagen in humanitären Krisen.

Hier ist das anders. Im Falle Griechenlands nimmt Neudeck Deutschlands Politik in Schutz, so auch im DW-Interview: "Die Bundesregierung hat aus eigener Kraft einen Staatssekretär immer wieder mit dem Auftrag nach Griechenland geschickt, menschliche Notlagen - die es schon vor zwei Jahren gab - zu sehen und vielleicht auch etwas zu tun". Die Rhetorik der griechischen Regierung hält er deshalb für einen untauglichen Versuch, eigene Schuld auf fremden Schultern abzuladen: "Das ist ein politisches Interesse, dass man dem, mit dem man politisch nicht übereinstimmt, auch noch den Schwarzen Peter des Mitleidlosen, des Empathielosen zuspricht", sagt Neudeck.

Rupert Neudeck (Foto: dpa)
Hält von griechischer Erpressungs-Rhetorik wenig: Rupert Neudeck von Cap AnamurBild: picture-alliance/dpa

Eine Strategie, die bei Carsten Schneider ins Leere läuft. Der haushaltspolitische Sprecher der Sozialdemokraten (SPD) im Bundestag schätzt Merkels sachliche Herangehensweise in der Kausa Griechenland. Auch er müsste einem möglichen dritten Hilfspaket für Griechenland im Bundestag zustimmen. Dabei lässt er keinen Zweifel daran, dass verbale Entgleisungen weder Bundestag noch Bundesregierung beeinflussen werden. Hilfe gebe es nur noch, so Schneider, gegen ausreichende Gegenleistungen. "Einen Blankoscheck gibt es nicht, denn das Vertrauen, das ich zumindest mal am Anfang in diese Regierung hatte, das ist gegen Null."

Leistung und Gegenleistung sind ein moralisches Grundprinzip

In den Augen vieler Syriza-Anhänger zeigen derlei Aussprüche, wie sehr es dem gemeinsamen Europa an Solidarität untereinander mangelt. Sie meinen, dass gerade die geforderten Sparauflagen dafür sorgen, dass Griechenland eine Reformagenda aufgezwungen werde, die die Krise verschärfe.

"Auch in der Ethik ist es nicht so, dass man verlangen kann, dass einer immer nur ohne Gegenleistung dem anderen hilft", sagt Christoph Lütge, Professor für Wirtschaftsethik an der Technischen Universität München, im DW-Interview. Selbst in den Zehn Geboten drehe sich vieles um Leistung und Gegenleistung, so Lütge: "Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass es dir wohl ergehe und du lange lebest." Solidarität mit Griechenland könne deshalb auch heißen, dem Land möglichst schnell zu helfen, wieder wettbewerbsfähig zu werden.

Nach Meinung des griechischen Ministerpräsidenten ist für eine Rückkehr auf den Wachstumspfad ein Schuldenschnitt bei den griechischen Staatsfinanzen vonnöten. Ein Vorschlag, den Angela Merkel mehrfach abgelehnt hat – zuletzt während ihres Staatsbesuchs in Bosnien-Herzegowina. Erstaunlich ist, dass diese Frage die sonst so berherrschte Kanzlerin vermeintlich aus der Fassung zu bringen vermag. Mit Nachdruck sagt sie Nein. Für Rainer Wend, Chef der Europäischen Bewegung Deutschland, der vielleicht einzige große Fehler der Merkel'schen Griechenland-Politik bisher.

"Manchmal werden Emotionen aus meiner Sicht genau an der falschen Stelle in Deutschland gezeigt", sagt Wend. Griechenland einen solchen Schuldenerlass in Aussicht zu stellen, das könnte in seinen Augen die Chancen auf einen erfolgreichen Abschluss am Wochenende auf dem EU-Sondergipfel erhöhen. Und es könnte eine Brücke schlagen zwischen der nüchtern-technokratischen Rettungsstrategie Merkels und der hitzigen Alternative von Ministerpräsident Tsipras. Das wäre Europa und vor allem Griechenland zu wünschen.