Kameramann in Bewegung
5. August 2010Szene aus dem Film "Martha" von Regisseur Rainer Werner Fassbinder: Zwei Menschen begegnen sich das erste Mal, sie sind bestimmt für eine ganz und gar obsessive Beziehung. Fassbinder will die unheilvolle Annäherung von Mann und Frau auch optisch erlebbar machen. Fassbinders Kameramann hat eine Idee: Er umfährt das Paar kreisförmig, gleichzeitig müssen sich die Schauspieler in entgegengesetzter Richtung drehen – schwindelerregend wirkt das in dieser Kombination auf den Zuschauer. So erfand Michael Ballhaus 1973 die mittlerweile weltweit kopierte "Kamera-Kreisfahrt". Sein Spitzname seitdem: "fliegendes Auge".
Michael Ballhaus wird 1935 in eine Schauspielerfamilie hineingeboren, schon früh interessiert er sich für die Bühnenkunst, aber auch alles Visuelle findet er spannend. Eine Fotografenlehre vermittelt ihm das Rüstzeug für seine spätere Kreativität. Als junger Mann darf er in der Münchner Bavaria die Dreharbeiten zu Max Ophüls bildgewaltigem Werk "Lola Montez" beobachten - und ein Wunsch wird Wille: Michael Ballhaus wird Kameramann. Vom Kameraschwenker dient er sich beim Fernsehen zum Chefkameramann hoch, dreht zahlreiche Fernsehspiele.
Und dann kommt Fassbinder …
"O ja, Fassbinder war wichtig für meine ganze Entwicklung im Beruf", sagt Michael Ballhaus heute, "es ging ja darum, schnell zu sein, genau in Abläufen zu denken, in Bildfolgen, wir haben ja nur das gedreht, was wir brauchten. Wir hatten gar nicht mehr Geld und Zeit." Als Michael Ballhaus Anfang der 1970er Jahre zur Clique von Fassbinder stößt, hat er bereits seinen eigenen visuellen Stil entwickelt. Seine Lichtsetzung ist raffiniert, sein Bedürfnis, die Kamera ständig in Bewegung zu halten, innovativ. Rainer Werner Fassbinder gefällt das - für seine mitunter experimentellen, improvisierten und vor allem stets mit knappem Budget gedrehten Filme ist Ballhaus genau der Richtige.
Der Kameramann arbeitet präzise und auf den Punkt, Überflüssiges wird gar nicht erst fotografiert. 14 Filme dreht Michael Ballhaus für Fassbinder. Der Künstler weiß, wie wichtig diese Arbeit für seine spätere Karriere war: "Meinen ersten Film für Scorsese hätte ich nicht drehen können, wenn ich nicht das Training mit Fassbinder gehabt hätte. Außerdem kannte die Branche in Amerika Fassbinder und seine Filme, das war wie ein Entrée für mich."
Hollywood ruft!
Michael Ballhaus hat bereits einige kleinere Filme für die Amerikaner gedreht, als Regisseur Martin Scorsese auf den Deutschen aufmerksam wird. "Die Zeit nach Mitternacht" ist die erste Zusammenarbeit der beiden Genies, ein halbes Dutzend Filme werden es, die größten Filme beider Männer, wie man heute weiß. Ballhaus dreht mit den wichtigsten Filmemachern Hollywoods, Coppola, Petersen, Redford - alle wollen sie ihn. Der "Director of Photography", also der Bildregisseur, wie der Kameramann im Englischen viel korrekter benannt wird, bekommt zahlreiche Preise und drei Oscarnominierungen. Nach Scorseses "The Departed - Unter Feinden" verkündet Michael Ballhaus 2007 überraschend: "Ich verlasse Hollywood, gehe zurück nach Berlin."
Zurück in Deutschland hat Michael Ballhaus sich aber nicht aufs Altenteil verlegt. Er ist Dozent an mehreren Filmhochschulen und kümmert sich intensiv um den kreativen Filmnachwuchs des Landes. Außerdem ist er in der deutschen Filmakademie engagiert. Ob er noch einmal einen Spielfilm drehen will? Der Künstler schweigt und lächelt. Das fliegende Auge fliegt weiter ...
Autor: Robert Bales
Redaktion: Marlis Schaum