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Politik

Tote nach der Unabhängigkeitserklärung

Antonio Cascais
2. Oktober 2017

Separatisten haben in englischsprachigen Regionen Kameruns symbolisch eine unabhängige Republik Ambazonia ausgerufen. Die Regierung geht hart gegen Proteste vor. Die Wurzeln des Konflikts liegen in der Kolonialzeit.

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Kamerun Proteste
Bild: Getty Images/AFP/STRINGER

Die symbolische Unabhängigkeitserklärung des englischsprachigen Teils von Kamerun hat am Wochenende zu blutigen Zusammenstößen mit Toten und Verletzten geführt. Insgesamt acht Menschen wurden getötet, die meisten von ihnen bei Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten. Separatisten in der englischsprachigen Region im Südwesten Kameruns hatte am Sonntag symbolisch die unabhängige Republik "Ambazonia" ausgerufen. Sie fühlen sich bereits seit längerem vom mehrheitlich französischsprachigen Rest des Landes benachteiligt. Auch eigene ambazonische Pässe wurden gedruckt und an die Bevölkerung ausgegeben. Der selbsternannte "Präsident" des Ambazonias, Sisisku Ayuk, hatte die Unabhängigkeit in einem symbolischen Akt über die sozialen Netzwerke verbreitet. Den 01. Oktober hatten die Separatisten bewusst gewählt: An diesem Tag hatten sich 1961 die englischen und französischsprachigen Regionen nach dem Ende der Kolonialherrschaft zum gemeinsamen Staat Kamerun zusammengeschlossen. 

"Der englischsprachige Teil Kameruns ist theoretisch bereits unabhängig, und zwar seit 1961, als das ehemalige britische Protektorat die Unabhängigkeit erlangte", meint der kamerunische Jurist Feh Henry Baaboh im DW-Gespräch. Nach einem Referendum habe sich ein Teil des Gebietes für einen Anschluss an Nigeria entschieden. Der Rest habe sich auf ein Bündnis mit dem französischsprachigen Kamerun geeinigt. "Es sollte aber ein Bündnis auf Augenhöhe sein", erinnert Baaboh. Es sei allerdings anders gekommen. Diskriminierung seitens der frankophon dominierten Regierung sei seit Langem an der Tagesordnung. Deshalb könne es in einem möglichen Referendum nur um eine Auflösung des Staatenbündnisses – also um eine Trennung von der Republik Kamerun – gehen. Die Unabhängigkeit sei ja – rein völkerrechtlich betrachtet – seit 1961 garantiert, unterstreicht Baaboh.  

Demonstration Kamerun Unabhängigkeit für anglophone Regionen
Demonstrationszug in KamerunBild: Reuters/J.Kouam
Britische Truppen mit einer Kanone im ersten Weltkrieg in Kamerun
Kamerun war lange eine europäische KolonieBild: Imago

Folgen der Kolonialherrschaft

Jürgen Zimmerer, Professor für Globalgeschichte mit Schwerpunkt Afrika an der Universität Hamburg, sieht im aktuellen Konflikt auch Nachwirkungen des europäischen und deutschen Kolonialismus, die das Land jetzt mit aller Wucht einholten. 1884 wurde in dem Gebiet eine deutsche Kolonie gegründet und anschließend deren Grenzen auf der Berliner Konferenz abgesichert, die völlig unterschiedliche regionale Machtzentren in einem Staat zusammenschloss.  Wie überall in Afrika sei die Grenzziehung  mit dem Lineal auf der Landkarte "unter Vernachlässigung aller möglichen ethnischen, kulturellen oder geschichtlichen Faktoren" vollzogen worden, so Zimmerer im DW-Gespräch.

Im ersten Weltkrieg wurde die deutsche Kolonie von britischen und französischen Truppen erobert. Im Friedensvertrag von Versailles trat Deutschland seine Kolonien ab. Großbritannien und Frankreich teilten das Gebiet des heutigen Kameruns unter sich auf. 1960 wurden die französischen Landesteile unabhängig.

1961 fand dann eine Volksabstimmung über den künftigen Status der englischsprachigen Regionen statt. Ein kleiner Teil sprach sich für den Zusammenschluss mit Nigeria aus. Ein anderer Teil votierte dafür, mit den französischsprachigen Regionen einen gemeinsamen Staat zu bilden. "Die Kameruner aus dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet votierten dafür im Glauben, dass der neue Staat weder anglophon noch frankophon wäre, sondern etwas Neues", sagt Zimmerer. Über die Jahrzehnte habe sich aber eine frankophone Tendenz immer stärker durchgesetzt, meint der Historiker .

Demonstranten  vor dem Hotel von Kameruns Staatschef Biya in New York im September
Kameruner demonstrierten im September in New York für die Einheit ihres LandesBild: picture alliance/AP Photo/B. Matthews

Unzufriedenheit  über die Regierung verstärkt den Konflikt

Etwa ein Fünftel der 23 Millionen Kameruner soll im anglophonen Teil des Landes leben. Die Separatisten, die die Gründung des Staats "Ambazonien" und eine Vereinigung mit dem Südosten Nigerias fordern, haben breite Unterstützung in der Region. Das liegt auch an der Politik derautoritären Regierung von Präsident Paul Biya, der seit 35 Jahren im Amt ist. Die anglophonen Kameruner werfen Biya vor, ihren Landesteil bewusst zu vernachlässigen. Armee und Behörden waren schon in den vergangenen Wochen massiv gegen Proteste vorgegangen und hatten zeitweise das Internet im ganzen Landesteil abgestellt.

Frank Wiegandt, Kamerun-Experte des katholischen Hilfswerks Misereor war im März vor Ort. "Die anglophone Bevölkerung hat das Gefühl, dass ihre Sprache, ihre Kultur und ihre Identität nicht genug wertgeschätzt und berücksichtigt werden", sagt Wiegandt im DW-Gespräch.  Viele offizielle Dokumente und Formulare gebe es nur auf Französisch. Der Zugang zum öffentlichen Dienst sei zudem für anglophone Kameruner schwerer. Wer in der Hauptstadt Karriere Yaoundé Karriere machen wolle, müsse Französisch sprechen können. Zudem sei die Entwicklung der Infrastruktur in den anglophonen Landesteilen vernachlässigt worden. "Die Zentralregierung tut zu wenig, um die Entwicklung in den beiden anglophonen Regionen im Südwesten des Landes voranzubringen", so Wiegandt. "Dabei kommen viele Reichtümer des Landes, zum Beispiel Erdöl, aus diesen Regionen."

Kann ein zweites Referendum helfen?

Viele Beobachter meinen, die einseitige Erklärung der Unabhängigkeit von Ambazonia berge große Gefahren für die Stabilität der Region, die bereits durch islamistischen Terror destabilisiert wird. Nach der Auflösung der europäischen Kolonialreiche habe man überwiegend bewusst darauf verzichtet, die kolonialen Grenzen in Frage zu stellen, da man eine Kettenreaktion befürchtete, sagt der Historiker. Das gelte nun auch für Kamerun. Internationale Vermittlung sei jetzt gefragt. 

Mitarbeit: Chrispin Mwashagha Mwakideu