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Kampf gegen Hass im Netz

30. Januar 2022

Ab Februar verschärft Deutschland den Kampf gegen Hass im Netz: Eine neue zentrale Meldestelle des Bundeskriminalamts nimmt ihre Arbeit auf. Scharfes Schwert gegen anonyme Tastaturkriminelle oder eher zahnloser Tiger?

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Symbolbild Hass im Netz - Auf dem Bildschirm eines Smartphones sieht man die Hashtags Hass und Hetze in einem Twitter-Post.
Eine neue Abteilung beim BKA soll soziale Netzwerke sicherer machenBild: Fabian Sommer/dpa/picture alliance

Normalerweise ist Regina Nagel vorsichtig im Netz. Sie postet und kommentiert wenig öffentlich, behält den Überblick über ihre Facebook-Freunde. Und dennoch erwischte es im vergangenen September auch sie: Unter einem ihrer Postings, geteilt von einem Facebook-Freund, erscheint ein Hasskommentar. Die Gemeindereferentin Nagel ist Teilnehmerin des Synodalen Wegs. Dieses Dialogformat der katholischen Kirche wurde nach Missbrauchsvorwürfen initiiert.

Der Verfasser des Hasskommentars, ein Rechtskatholik, der mit Klarnamen im Netz auftritt, äußert sich verächtlich über Frauen im pastoralen Dienst, beleidigt Nagel persönlich, in einem späteren Posting auch frauenfeindlich auf ihr Äußeres bezogen. "Es ist zwar unterirdisch, getroffen hat mich das aber nicht", sagt Nagel. "Immerhin ist es bei mir nicht in Bedrohung übergegangen, wie bei manchem Politiker." Zwei Freundinnen melden den Kommentar dennoch bei Facebook. Bis heute ist aber nichts passiert; er ist weiter für jeden einsehbar.

Screenshot Facebook-Kommentar
Bild: Facebook/Wolfgang F. Rothe

In sozialen Netzwerken wimmelt es von Fällen wie diesem. Der Ton im Netz ist rau - gerade zu Pandemiezeiten, aber auch schon davor. Besonders Frauen sind davon betroffen, häufig jene, die in der Öffentlichkeit stehen. Deshalb wurden die großen sozialen Netzwerke wie Facebook oder Youtube in Deutschland inzwischen verpflichtet, Hasskommentare zu löschen. 

Ab dem 1. Februar wird die Gesetzeslage noch strenger: Dann müssen soziale Netzwerke mit mehr als zwei Millionen Nutzern strafbare Inhalte nicht mehr nur löschen. Sie müssen die Inhalte und IP-Adressen auch an das Bundeskriminalamt (BKA) melden - im Prinzip. Eingehen sollen die Meldungen bei der vom BKA eigens eingerichteten neuen "Zentralen Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet, ZMI". 200 Polizistinnen und Polizisten sollen dort ab dem 1. Februar Ernst machen mit dem Kampf gegen Hasskriminalität. Das klingt auch angesichts der Ausstattung ambitioniert. Und doch könnte die neue Meldestelle ein zahnloser Tiger bleiben.

Volksverhetzung, Morddrohungen

Zunächst einmal dürften Beleidigungen wie die gegen Regina Nagel ohnehin nicht betroffen sein. "Für Beleidigungsdelikte zum Beispiel wird das keine Verbesserungen bringen: Momentan ist das Gesetz so ausgestaltet, dass es bei Beleidigungen vom Willen des Opfers abhängt, ob man die Strafverfolgung möchte oder nicht", erläutert Josephine Ballon, Chef-Juristin bei der Organisation HateAid, die Opfer von Hasskriminalität im Netz betreut. Bei den Meldungen an das BKA aber entscheiden die sozialen Netzwerke und nicht die Nutzer, welche Inhalte weitergegeben werden. Es soll primär um strafbare Inhalte gehen: Im Blick haben sollen die Ermittler zum Beispiel Volksverhetzung - also beispielsweise antisemitische und rassistische Äußerungen, Morddrohungen und das Teilen verfassungswidriger Symbole. Grundsätzlich richtig, findet Ballon: "Der Grundgedanke, der dahintersteht, dass man so eine Meldepflicht einrichtet, das Ganze beschleunigt, um zu mehr Strafverfolgung zu kommen, ist absolut begrüßenswert".

Die neue Zentralstelle des BKA soll die Arbeit bündeln, die schon jetzt die Staatsanwaltschaften in einzelnen Bundeländern, wie Hessen und Nordrhein-Westfalen, verrichten. Vor allem soll sie schnell IP-Adressen abfragen können; wichtig, weil diese Daten in Deutschland nur wenige Tage gespeichert werden.

Das Problem: Das alles geschieht ohne Anfangsverdacht. Das soziale Netzwerk muss selbst entscheiden, ob ein strafbarer Inhalt vorliegt und ihn dann an das BKA melden. Das entscheidet dann, ob ein Ermittlungsgrund vorliegt. Normalerweise liegt diese Einschätzung in den Händen der Staatsanwaltschaft. Aus gutem Grund: Für gewöhnlich steht am Anfang einer Ermittlung eine Prüfung der Staatsanwaltschaft; dann erst fängt die Polizei mit ihrer Arbeit an. Es ist bisher eher unüblich, dass die Polizeibehörde eigenmächtig entscheidet, ob sie ermittelt oder nicht, so wie es jetzt bei der Meldestelle geplant ist.

Unter anderem deshalb haben Facebook und Google Klage eingereicht - und müssen vorerst auch nicht an das BKA melden. Eine Klage, die nicht unberechtigt ist, findet Ballon von HateAid. "Es geht genau darum, dass das BKA zu einer Datenkrake werden kann, in dem Sinne, dass tatsächlich wahnsinnig viele Meldungen da eingehen werden, ohne dass jemals ein Gericht oder eine Staatsanwaltschaft darauf geguckt hat und entschieden hat: Ist das jetzt überhaupt eine Straftat oder nicht?"

Unklarheit bei Grenzfällen

Besonders in Bezug auf Posts in den sozialen Medien, die nicht eindeutig sind, könne das kritisch sein, warnt Ballon - und verdeutlicht ihre Bedenken mit Blick auf verfassungsfeindliche Symbole: "Da gilt es auch zu unterscheiden: Ist es ein Hakenkreuz, was aus rechtsextremistischer Gesinnung hier gepostet wurde und tatsächlich eine Straftat ist? Oder ist es vielleicht ein Hakenkreuz im Zusammenhang mit einem Bildungsauftrag oder mit Kunst? Dann wäre es nämlich erlaubt." Im schlimmsten Falle könne es dazu führen, dass sich Künstler und Aktivisten nicht mehr zu Wort melden und Menschen, die nichts strafrechtlich Relevantes gepostet haben "zwischen den Aktendeckeln des BKA landen."

Journalistinnen im Fokus von Online-Gewalt

Das BKA ist auf DW-Anfrage bemüht, diese Bedenken auszuräumen. Demnach gehöre es auch zu den Aufgaben der Polizistinnen und Polizisten im ZMI, "die Strafbarkeit der eingehenden Meldungen zu prüfen. Insgesamt stellt der entwickelte Prozess sicher, dass in allen Phasen der Prüfung und Bearbeitung der Meldungen ein intensiver Austausch mit der Justiz erfolgt und somit die gesetzlich normierten Rollen der Akteure entsprechend Berücksichtigung finden", heißt es aus dem BKA. Beispielsweise soll das dadurch sichergestellt werden, dass das BKA mit der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime NRW (ZAC) bei der Staatsanwaltschaft Köln zusammenarbeitet.

Das Anlegen einer Datenbank sei nicht vorgesehen; Meldungen "ohne strafrechtliche Relevanz werden von der Justiz nach entsprechender Prüfung eingestellt und die dem BKA zuvor übermittelten Daten unverzüglich gelöscht."

Doch gerade dieser Prozess könne wegen der Masse an Meldungen laut HateAid bis zu ein Jahr dauern. Ein Jahr also, in dem das BKA möglicherweise auf Daten von Personen sitzt, die sich nichts zu Schulden kommen ließen.

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Macht bleibt bei Netzwerken

Abgesehen davon: Es bleibt das Problem, dass wegen der anstehende Klage von Facebook und Google ausgerechnet die größten Plattformbetreiber keine Meldungen an das BKA weitergeben müssen. Deshalb erwartet HateAid Juristin Ballon ab dem 1. Februar auch keine wirklichen Verbesserungen: "Wenn sich keiner daran hält, wird sich auch nichts ändern".

Diese Einschätzung teilt auch Leonhardt Träumer, der Gründer von "Hassmelden", einer Organisation, die sich ebenfalls um Opfer von Hasskriminalität im Netz kümmert. Gerade auch, weil die Verantwortung überhaupt Inhalte zu melden, in der Hand der Betreiber selbst liegt. Träumer verdeutlicht seine Bedenken mit einem Beispiel: Das sei "als würden die abertausenden Überwachungskameras der Bundespolizei an Flughäfen, Bahnhöfen und mehr von einer amerikanischen Firma betrieben." Diese würde die Aufnahmen sichten, "und nur wenn dieser - privatwirtschaftliche - US-Konzern eine Strafbarkeit auf den Aufnahmen bejaht, würden sie einen winzigen Ausschnitt der Aufnahmen der Bundespolizei zur Verfügung stellen. Einleuchtend kein sehr sinnvolles System", so Träumers Fazit.

Der "Hassmelden"-Gründer geht denn auch davon aus, dass seine unabhängige Meldestelle für Hatespeech auch künftig einer Aufgabe nachkommen müsse, die "nicht die unsrige ist". Bis die Gerichte über die Klagen von Google und Facebook entschieden haben, können Jahre vergehen.