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Politik

Kampf um sexuelle Vielfalt in Griechenland

Florian Schmitz Thessaloniki
20. Juni 2017

Bei der Gay-Pride-Parade in Thessaloniki setzte sich zum ersten Mal auch die griechische Polit-Prominenz für sexuelle Vielfalt ein. Trotzdem gehört Diskriminierung für die LGBTI-Gemeinde weiterhin zum Alltag.

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Griechenland Thessaloniki Gay Pride Parade
Bild: DW/F.Schmitz

Ein Meer aus Regenbogenfahnen rund um den Weißen Turm in Thessaloniki: Mehr als 15.000 Menschen feierten am Wochenende die sechste Gay-Pride-Parade. Die LGBTI-Gemeinde (die Abkürzung steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle) kam zusammen, um ein Zeichen für sexuelle Vielfalt zu setzen.  

"Am Anfang gab es noch viel Protest, doch inzwischen haben sich die meisten Menschen an uns gewöhnt", sagt Thanos Vlachogiannis, einer der Organisatoren. Das gilt nicht für alle: In diesem Jahr hat sich eine Frau unter die Menge gemischt und die byzantinische Flagge in die Luft gestreckt: in Griechenland ein Zeichen ultraorthodoxer und zumeist nationalistischer Gesinnung. "Diese Menschen können nicht wirklich lieben. Sie leben in Sünde", erklärte sie, während auf einer Bühne politische Kundgebungen stattfanden. Unter den Rednern waren Giannis Boutaris, der amtierende Bürgermeister der Stadt, und Tasos Kourakis, erster Vizepräsident des griechischen Parlaments. 

Griechenland Thessaloniki Gay Pride Parade
Bürgermeister Boutaris hat schon die erste Gay-Pride-Parade unterstützt Bild: DW/F.Schmitz

"In Gottesdiensten wird vor sexueller Vielfalt gewarnt"

Dass sich die griechische Polit-Prominenz offen für sexuelle Vielfalt einsetzt, ist ein Novum in einem Land, in dem die christlich-orthodoxe Kirche einen starken Einfluss auf die Politik hat. Noch vor drei Jahren ließ ein Kirchenvertreter vor der Veranstaltung verlauten, in Thessaloniki gebe es gar keine Homosexuellen und alle Teilnehmer seien aus Athen angereist. "In Gottesdiensten wird mit viel Hass vor sexueller Vielfalt gewarnt. Das ist gefährlich und stiftet einige Menschen sogar zu Gewalt  an", kritisiert die 37- jährige LGBTI-Aktivistin und Lehrerin Filippa Diamanti.

Insgesamt aber habe sich die Situation unter der linken Syriza-Regierung seit 2015 merklich verbessert: "Ministerpräsident Alexis Tsipras hat kürzlich dem Schwulen-Magazin Antivirus ein Interview gegeben. Das ist eine kleine Revolution." Trotzdem sei der Alltag gerade am Arbeitsplatz und in der Familie häufig von Diskriminierung und manchmal sogar Gewalt geprägt. "Wir müssen vor allem Aufklärung in der Schule betreiben, mit Schülerinnen und Schülern offen über sexuelle Identität reden, Schulbücher umschreiben und das pädagogische Personal schulen", sagt die Lehrerin.

"Oft fühlen sich meine Klienten wie Gefangene"

Bürgermeister Giannis Boutaris hat die Gay-Pride-Parade von Anfang an unterstützt. Er ging sogar so weit, sich nackt für ein Magazin ablichten zu lassen, und erklärte, die Veranstaltung sei ein Gewinn für Thessaloniki und locke Touristen aus dem ganzen Balkan und der Türkei in die Stadt. "Es ist unsere Pflicht als demokratische Gesellschaft, Vielfalt anzuerkennen", betont er. Außerdem bringe die Parade wirtschaftliche Vorteile: "In der Tat ist sie eine der größten Veranstaltungen in Nordgriechenland überhaupt. Die Hotels sind voll, Kiosk- und Restaurantbesitzer freuen sich über gute Geschäfte."  

Griechenland Thessaloniki Gay Pride Parade
Thanos Vlahogiannis: Es geht um Menschenrechte Bild: DW/F.Schmitz

Der Alltag sei aber immer noch ein Kampf, sagt der Psychiater Stavros Boufidis, der vor allem Klienten aus der LGBTI-Gemeinde behandelt: "Gerade Trans-Menschen werden täglich diskriminiert und müssen sich vor gewalttätigen Übergriffen fürchten." Die Gesellschaft sei noch lange nicht bereit, die Vielfalt der sexuellen Identität anzuerkennen. 

"Oft fühlen sich meine Klienten wie Gefangene. Sie haben keine Kontrolle über die Situation und haben den Eindruck, allein zu sein. Dies kann schwere Depressionen und andere psychische Erkrankungen hervorrufen, die in extremen Fällen bis zum Selbstmord führen", erklärt der Psychiater. Die Gay-Pride-Parade in Thessaloniki zeige den Betroffenen, dass sie weder allein, noch krank seien, und motiviere die Menschen, sich zu ihrer sexuellen Identität zu bekennen: "Im ersten Jahr haben sie nur aus der Ferne zugeschaut. Dann sind sie immer näher gekommen und inzwischen tanzen sie mit."

Viele heterosexuelle Unterstützer 

"Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, aber die Unterstützung in der Bevölkerung wächst merklich", sagt der Pride-Organisator Vlachogiannis. Selbst die Zusammenarbeit mit der Polizei, die in Griechenland eher für ihre homophobe Einstellung bekannt sei, verlaufe positiv. Ebenfalls erfreulich für Vlachogiannis: Viele heterosexuelle Unterstützer seien zur Parade gekommen, weil sie erkannt hätten, dass es nicht um Sexualität, sondern um Menschenrechte gehe.

Griechenland Thessaloniki Gay Pride Parade
Jugendliche fordern gleiche Rechte für alle Bild: DW/F.Schmitz

Eine 39-jährige Mutter aus Thessaloniki hat auch ihre beiden Kinder zur Gay-Pride-Parade mitgebracht. "Es ist wichtig, dass Kinder ohne Vorurteile aufwachsen", erklärt sie. "Vielleicht ist eines meiner eigenen Kinder mal in dieser Situation und dann will ich, dass es auf eine offene Gesellschaft stößt." Anders sieht das ein 19-jähriger Student. Seine Freundin habe die Veranstaltung unterstützt, ihn störe der Anblick aber - und er würde Kinder auf jeden Fall davon fernhalten.

Die griechische LGBTI-Gemeinde hofft weiterhin auf Unterstützung aus Politik und Gesellschaft, um im christlich-orthodoxen Weltbild ihres Landes endlich einen festen Platz zu finden.    

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Florian Schmitz Reporter mit Schwerpunkt Griechenland