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Der Kampf um Tripolis

Valerie Stocker16. November 2013

Bei Ausschreitungen sterben Dutzende Menschen, Hunderte werden verletzt. Hintergrund ist eine akute Regierungskrise. Die Wut auf den schwachen Staat ist groß, rivalisierende Milizen sorgen für weitere Unruhe.

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Demonstranten in Tripolis (Foto: Valerie Stocker/DW)
Bild: DW/V. Stocker

Nachdem Tripolis bislang von politischer Gewalt weitgehend verschont blieb, ist die libysche Hauptstadt nun Schauplatz eines immer brutaler werdenden Machtkampfes geworden. Bereits vor einer Woche eskalierten Rivalitäten zwischen Kampfbrigaden aus verschiedenen Landesteilen. Die Milizen ringen seit der Revolution um Einfluss in der Hauptstadt.

Auslöser der schweren Kämpfe nun war der Beschuss unbewaffneter Demonstranten. Diese hatten gefordert, dass Truppen aus der Küstenstadt Misrata aus Tripolis abziehen. Die Straßenkämpfe uferten bald aus und hinterließen nach Behördenangaben mehr als 40 Tote und über 450 Verwundete.

Politisch-Militärische Manöver

Seinen Ursprung hat der nun eskalierte Konflikt in einer Debatte Anfang November. Gestritten wurde im Parlament über die Rolle der "Operationszelle von Revolutionären", der viele Brigaden aus Misrata angehören. Der Parlamentsvorsitzende Nuri Busahmain hatte im August entschieden, der Zelle den Schutz der Hauptstadt anzuvertrauen. Von Anfang an galt diese Maßnahme als taktischer Schachzug, um die Regierung von Premierminister Ali Seidan zu schwächen und den Einfluss der von Muslimbrüdern dominierten Opposition zu stärken. Die Entführung Zeidans durch Teile der Operationszelle Anfang Oktober verstärkte diesen Eindruck.

Premierminister Ali Seidan (Foto: dpa)
Premierminister Ali SeidanBild: picture-alliance/dpa

Eine tiefe politische Spaltung zieht sich durch seine Regierung und verhindert die Demobilisierung der unzähligen Kampftruppen. Anstatt Konflikte auf institutionellem Weg zu lösen, greifen einflussreiche Lokalpolitiker und Parlamentarier auf ihre jeweiligen militärischen Handlanger zurück, die ihrerseits Druck ausüben.

Hinzu kommen Rivalitäten zwischen Kampfbrigaden, die sich Einflussbereiche streitig machen und dabei schnell zu den Waffen greifen. Dies löste zuletzt eine erste Runde von Kämpfen aus, bei der sich bis dahin verbündete Kräfte aus Misrata und Tripolis auf einmal mit schwerem Geschoss begegneten. In die Schusslinie geraten dabei auch Botschaften, Regierungsgebäude und das von Diplomaten und Geschäftsreisenden bevorzugte Radisson Hotel. Nach diesem Vorfall formierten sich die Bürgerproteste in der Stadt.

Forderungen nach Neuanfang

Demonstranten in Tripolis (Foto: Valerie Stocker/DW)
Kommen die Bürgerproteste zu spät?Bild: DW/V. Stocker

Die Wut der Bürger richtet sich aber nicht nur gegen die Brigaden, die selbst im Fall ihrer Eingliederung in Polizei und Armee oft weiter eigene Interessen verfolgen, sondern zunehmend auch gegen die Staatsführung. Bei einem landesweiten Protesttag am vergangenen Samstag forderte die neue gegründete "Bewegung des 9. Novembers" den Rücktritt des Parlaments nach Ablauf der 2011 festgelegten Legislaturperiode im Februar 2014. Die Parlamentarier hatten angekündigt, ihr Mandat verlängern zu wollen. Die Protestplakate "Nein zur Verlängerung" und "Ja zur Erneuerung" sind mittlerweile überall in Tripolis zu sehen, selbst in öffentlichen Gebäuden.

Die derzeitige Lage erscheint immer mehr Libyern ausweglos. Viele sehen in einer kompletten Neuorganisation des politischen Systems die einzige Lösung. Doch über Einzelheiten ist man sich nicht einig. Der Koordinator der Proteste in Tripolis, Hatem Abubakr, betont, er wolle keineswegs die Legitimität der gewählten Institutionen untergraben, sondern die Staatsträger aufrütteln und durch anhaltenden zivilen Druck ausstehende Entscheidungen beschleunigen. "Die dauernden Streitigkeiten im Parlament spalten auch unser Volk. Während die Abgeordneten jede Gesetzeslücke zu ihrem Vorteil ausnutzen, zieht sich die Verfassungsbildung weiter hin, und es ist kein Ende abzusehen."

Hatem Abubakr (Foto: Valerie Stocker/DW)
Hatem AbubakrBild: DW/V. Stocker

Verhärtete Fronten

Dass sich die Lage im Land entspannt, erscheint gegenwärtig kaum möglich, zu verhärtet sind die Fronten. "Wir haben ein Anrecht auf Tripolis", ließ Misratas Milizchef Taha Bashaga verlauten. "Verlassen werden wir die Stadt höchstens im Sarg." Verstärkungstruppen aus Misrata sollen auf dem Weg sein. Selbst wenn es zu einem Waffenstillstand kommt, bleibt unklar, wer es schaffen kann, die Wogen zu glätten und sämtliche Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen.