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Kann Berlin Moskau noch erreichen?

Nina Werkhäuser / Mathias Bölinger5. März 2014

Die Erwartungen an Deutschland sind in der Krim-Krise besonders hoch. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat einen guten Draht nach Moskau. Das allein entschärft den Konflikt aber nicht.

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Bundesaußenminister Steinmeier (l.) und sein russischer Amtskollege Sergei Lawrow (Bild: Itar-Tass)
Bundesaußenminister Steinmeier (l.) und sein russischer Amtskollege Sergej LawrowBild: picture-alliance/dpa

Angela Merkel hat für Donnerstag (06.03.2014) ihre Termine in Berlin abgesagt. Denn die EU hat kurzfristig einen Sondergipfel zur Krise auf der Krim einberufen. Bei den Verhandlungen in Brüssel werden zwei Ansätze aufeinandertreffen. Da sind einmal Länder wie Schweden und Polen, die glauben, nur ein hartes Auftreten könne Russland jetzt noch stoppen und die deshalb schnell Sanktionen verhängen wollen. Auf der anderen Seite steht Deutschland, das gegenüber Moskau auf Dialog setzt. Traditionell räumt die deutsche Außenpolitik den Beziehungen zu Russland eine Sonderstellung ein. Die Bundesregierung sieht sich in einer Mittlerrolle zwischen den westlichen Partnern und Moskau.

Schon immer eine Partnerschaft mit Hindernissen

Dabei gestaltet sich die Zusammenarbeit in der Praxis oft schwierig. Die aggressive russische Großmachtpolitik gegenüber ehemaligen Sowjetrepubliken wie der Ukraine oder Georgien stößt in Berlin schon lange auf Unverständnis, ebenso die Missachtung der Bürgerrechte und die Unterdrückung der Opposition. Immer wieder sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf die Demokratiedefizite an, was dieser ebenso beharrlich ignorierte - Russland als schwer regierbares "Riesenreich" verfolge hier einen eigenen Weg.

Vor dem Hintergrund der komplexen geostrategischen Lage seit dem Ende des Ost-West-Konflikts kam es immer wieder zu Vertrauenskrisen zwischen Moskau und den Partnern im Westen. So fühlte sich die russische Führung nicht nur von der Ausdehnung der NATO nach Osten bedroht, sie war auch erzürnt über die Pläne der US-Regierung unter George W. Bush, einen Raketenabwehrschirm in Osteuropa zu errichten. Die verbalen Angriffe von Präsident Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 waren seinerzeit Ausdruck der frostigen Stimmung. In ungewöhnlich scharfem Ton warf er Washington vor, eine "monopolare Welt" anzustreben. Manche Beobachter fühlten sich in die Zeiten des Kalten Kriegs zurückversetzt.

Der russisch-georgische Krieg im Sommer 2008 - damals war Dimitri Medwedew russischer Präsident - belastete die Beziehungen weiter. Die EU vermittelte, doch Russland setzte seine Invasion fort. Die Bundesregierung protestierte, als Russland die abtrünnigen georgischen Gebiete Abchasien und Südossetien als unabhängig anerkannte - das sei völkerrechtswidrig. Auch die Ukraine stand schon mehrmals im Mittelpunkt von Streitigkeiten, etwa als Russland 2009 dem Land und damit auch Europa den Gashahn zudrehte. In den letzten Monaten belastete die russische Unterstützung für Präsident Baschar al-Assad im Bürgerkriegsland Syrien die Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen. Putin erntete dafür auch in Berlin scharfe Kritik.

Russische Soldaten in der Nähe der Stadt Gori in Georgien (Bild: Getty Images)
Russische Soldaten marschieren 2008 in Georgien einBild: Uriel Sinai/Getty Images

Wandel durch Annäherung

Während das Verhältnis zwischen Merkel und Putin sachlich-distanziert ist, bemühte sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) schon in seiner ersten Amtszeit von 2005 bis 2009 um einen kontinuierlichen Dialog, der zu einem "Wandel durch Annäherung" führen sollte. Ohne Russland, so Steinmeier, seien die internationalen Krisen nicht zu lösen. Als Steinmeier 2013 erneut Außenminister in einer großen Koalition wurde, beklagte er, dass die Gesprächskanäle zur russischen Regierung nicht mehr belastbar seien.

In der Tat waren die Spannungen nach der Rückkehr Putins ins Amt des Präsidenten 2012 gewachsen. Ausgedrückt hatte sich das unter anderem in einer russlandkritischen Resolution des Bundestags und unmissverständlichen Kommentaren des Russland-Beauftragten Andreas Schockenhoff (CDU) zur autoritären Politik Putins. Nach dem Amtsantritt der großen Koalition setzte Steinmeier den SPD-Außenpolitiker Gernot Erler als Russland-Beauftragten ein, der rhetorisch moderater auftritt als sein Vorgänger. Es komme darauf an, sagte Erler im Januar gegenüber der Deutschen Welle, "einen rationalen Dialog über die Interessen von Russland zu führen", bei dem die russische Seite ihr Gesicht wahren könne.

Herausforderung Maidan

Doch von Beginn seiner zweiten Amtszeit an stand Steinmeiers russlandfreundliche Haltung auf dem Prüfstand. In Kiew tobten die Proteste gegen Präsident Viktor Janukowitsch, nachdem dieser das Assoziierungsabkommen mit der EU auf Eis gelegt hatte. Putin hatte der Ukraine einen Milliardenkredit zugesagt, sollte Janukowitsch die Angebote der EU ausschlagen. Steinmeier machte in seiner Antrittsrede deutlich, dass er sich keinesfalls auf eine verständnisvolle Rolle gegenüber Moskau festlegen lassen wolle: "Es ist empörend, wie die russische Politik die wirtschaftliche Notlage der Ukraine für sich genutzt hat", sagte er in seiner Antrittsrede, fügte aber auch hinzu: "Wir müssen uns fragen, ob wir nicht gesehen haben, dass es die Ukraine überfordert, wenn sie sich zwischen Europa und Russland entscheiden muss."

Proteste auf dem Maidan in Kiew (Bild: Getty Images)
Steinmeiers erste Herausforderung nach dem Amtsantritt: Die Proteste in KiewBild: B.Kilic/AFP/GettyImages

Das war kurz vor Weihnachten 2013. Nur wenig später konnte Steinmeier unter Beweis stellen, wie er sich die deutsche Rolle vorstellt. Während auf dem Maidan in Kiew Scharfschützen Demonstranten erschossen, erreichte er gemeinsam mit seinem polnischen Amtskollegen Radoslaw Sikorski und dem französischen Außenminister Laurent Fabius eine Einigung zwischen der Opposition und Präsident Janukowitsch, die Neuwahlen zunächst des Parlaments und später des Präsidenten vorsah. Der Kompromiss war vor allem auch deshalb möglich geworden, weil es gelungen war, den russischen Sondergesandten Wladimir Lukin einzubinden. Dieses Verdienst wurde in den Medien vor allem Steinmeier zugeschrieben.

Allerdings überdauerte die Vereinbarung die Nacht nicht. Bereits am nächsten Tag war Janukowitsch auf der Flucht, die Demonstranten übernahmen die Macht in Kiew. Das ukrainische Parlament setzte Janukowitsch ab und eine Übergangsregierung ein, die Russland für illegitim hält. Während Europa seine Krisendiplomatie feierte, begann eine viel größere Herausforderung.

Kriegsgefahr in Europa

Russland intervenierte auf der Krim und brachte die mehrheitlich von Russen bewohnte Insel de facto unter seine Kontrolle. Gleichzeitig schließt Moskau einen Einmarsch in die russischsprachigen Ostprovinzen der Ukraine nicht aus. Aus dem Konflikt an der Außengrenze der EU ist eine brandgefährliche Ost-West-Konfrontation geworden. Hektisch suchen die Regierungen in den USA und Europa nach Antworten auf die russische Provokation. Die alte Arbeitsteilung - harte Worte aus Washington, gemäßigtere aus Berlin - scheint vorerst wieder zu funktionieren. Während die USA sofort die Vorbereitungen auf den geplanten G8-Gipfel absagten und laut über Wirtschaftssanktionen nachdachten, versuchte Deutschland, erst einmal Zeit zu gewinnen. In einem Telefonat konnte Merkel Putin die Zusage abringen, eine Fact-Finding-Mission auf die Krim zu schicken und eine internationale Kontaktgruppe einzurichten. Derzeit befindet sich ein UN-Gesandter auf der Krim, Militärbeobachter der OSZE sollen folgen.

Szene vor einem ukrainischen Militärstützpunkt auf der Krim (Bild: DW/ Bushuev)
Ein Kuss unter Beobachtung: ein ukrainischer Soldat mit seiner Freundin neben moskautreuen KämpfernBild: DW/M. Bushuev

Deutliche Worte aus Berlin

Von einer Entspannung kann aber noch lange keine Rede sein. Steinmeier selbst fand am Montag in Brüssel deutliche Worte: "Europa ist in der schärfsten Krise seit dem Fall der Mauer", sagte er, bekräftigte aber auch, dass er weiter auf Gespräche setze: "Krisendiplomatie ist keine Schwäche, sondern notwendiger denn je." Einen diplomatischen Alleingang will Berlin aber vermeiden. Ebenso wie ihre Partner sieht die Bundesregierung in der russischen Intervention einen eindeutigen Verstoß gegen das Völkerrecht. Dem Boykott der G8-Vorbereitungen hat sich die Bundesregierung ebenfalls angeschlossen.

Wirtschaftssanktionen steht Berlin aber immer noch skeptisch gegenüber, was wohl auch daran liegt, dass kaum ein Land in Europa wirtschaftlich so eng mit Russland verbunden ist. Deutsche Firmen exportierten 2013 Waren im Wert von 36 Milliarden Euro nach Russland. 35 Prozent des deutschen Gas- und Rohölbedarfs werden aus russischen Importen gedeckt.

Gleichzeitig will die Bundesregierung vermeiden, dass Putin sich auf die deutsche Zurückhaltung verlässt. Die Drohkulisse erhält Steinmeier aufrecht. Ohne konkrete Zugeständnisse Russlands werde die Diskussion auf dem EU-Gipfel sicherlich "so verlaufen, dass dann auch Maßnahmen beschlossen werden", droht Steinmeier. Welche das sein können, lässt er offen.