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Kanzler-Befragung in Zeiten des Krieges

6. April 2022

Im Januar musste sich Olaf Scholz erstmals den Fragen der Abgeordneten stellen. Damals hofften alle auf eine friedliche Lösung für die Ukraine. Nun fand dieses Format unter völlig anderen Vorzeichen statt.

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Regierungsbefragung im Bundestag, Kanzler Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Regierungsbefragung im BundestagBild: Markus Schreiber/AP Photo/picture alliance

"Stoppen Sie den Krieg! Helfen Sie uns, ihn zu stoppen!" Diesen Appell richtete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Mitte März in einer Video-Schalte des Deutschen Bundestages an den Bundeskanzler. Olaf Scholz saß auf der Regierungsbank – und schwieg. Dass er die Gelegenheit zu einer Erwiderung ungenutzt ließ, brachte ihm wie dem gesamten Parlament viel Kritik ein.

Auf der Tribüne sitzt eine russische Menschenrechtlerin

Vielleicht muss Scholz an diesen Tag denken, als er drei Wochen später wieder den Plenarsaal des Parlaments betritt. Es ist erste Befragung des Kanzlers seit Beginn des Ukraine-Kriegs am 24. Februar.

Doch bevor Parlamentspräsidentin Bärbel Bas die Sitzung offiziell eröffnet, begrüßt sie die russische Historikerin und Germanistin Irina Scherbakowa. Die Mitbegründerin der inzwischen verbotenen russischen Menschenrechtsorganisation Memorial hat auf der Besuchertribüne Platz genommen. "Der Deutsche Bundestag verurteilt diesen Krieg auf das Schärfste", sagt Bärbel Bas unter dem Beifall der Abgeordneten. "In der Ukraine geht es auch um Europas Frieden und unsere Sicherheit."

Die Massaker in Butscha sind allgegenwärtig

Mit diesen Worten setzt die Sozialdemokratin den Ton, den ihr Parteifreund Olaf Scholz anschließend verschärft. Denn er nutzt die Gelegenheit für eine zehnminütige Rede, die fast schon Züge einer Regierungserklärung hat. Unter dem Eindruck der Massaker in Butscha sagt der Bundeskanzler: "Die Ermordung von Zivilisten ist ein Kriegsverbrechen. Die Täter und ihre Auftraggeber müssen zur Rechenschaft gezogen werden."

Historikerin und Publizistin Irina Scherbakowa
Die russische Menschenrechtlerin Irina Scherbakowa Bild: Mike Wolff/picture-alliance

Wen er damit zu allererst meint, ist klar: Russlands Präsident Wladimir Putin, den er zur Umkehr auffordert: "Beenden Sie diesen zerstörerischen und selbstzerstörerischen Krieg sofort. Ziehen Sie Ihre Truppen aus der Ukraine  ab!" Scholz kündigt an, weitere Waffen in die Ukraine zu liefern und er dankt den Menschen in Deutschland für ihre Solidarität mit den inzwischen mehr als 300.000 Flüchtlingen in der Bundesrepublik: "Diese Hilfe ist wichtig und sie tut gut."

Kritik an angeblich schleppenden Waffenlieferungen

Man werde den Druck auf Russland weiter erhöhen, sagt der Kanzler. Dazu gehöre natürlich auch die "Reduktion der Abhängigkeit von russischer Energie". Diese Abhängigkeiten seien über Jahrzehnte gewachsen und sie ließen sich nicht von einem Tag auf den anderen beenden. Deshalb sei es "sehr, sehr wichtig, dass wir uns in Europa gemeinsam auf den Weg gemacht haben, genau das zu schaffen". Die Weichen dafür seien gestellt.

In der anschließenden Befragung muss sich Scholz Vorwürfe aus der Opposition anhören. Der Christdemokrat Johann Wadephul will wissen, was er von der Kritik an angeblich schleppenden deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine halte? Scholz' Antwort: "Ich möchte gerne nochmal darauf hinweisen, dass es ein Bruch mit langen Traditionen ist, dass diese Regierung anders als alle ihre Vorgängerinnen entschieden hat, überhaupt Waffen in die Ukraine und in ein Krisengebiet zu liefern."

Werden alle Flüchtlinge gleichbehandelt?

Der Fragesteller ist mit den Einlassungen des Kanzlers erkennbar unzufrieden: "Ich erwarte dann aber eine Antwort auf meine Frage", sagt Johann Wadephul unter dem Beifall seiner Fraktion. Scholz zeigt sich davon unbeeindruckt: "Sie haben eine Antwort auf Ihre Frage bekommen." Eine weitere Nachfrage lässt Parlamentspräsidentin Bärbel Bas nicht zu. Stattdessen erteilt sie der Grünen-Abgeordneten Filiz Polat das Wort.

Sie will wissen, ob alle aus der Ukraine nach Deutschland geflüchteten Menschen gleichbehandelt werden, unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft und ihrem ethnischen Hintergrund. Berichteüber Diskriminierungen ausländischer Flüchtlinge an der ukrainischen Grenze haben daran Zweifel aufkommen lassen. Olaf Scholz versucht, sie zu zerstreuen: "Die Bundesregierung wird alles dafür tun, dass niemand diskriminiert wird."

"Es darf nicht auf einen Diktatfrieden hinauslaufen!"

Filiz Polat hat noch eine weitere Frage an den Bundeskanzler: Ob es ähnlich wie bei jüdischen Holocaust-Überlebenden auch eine Evakuierung Holocaust-Überlebender der Roma-Minderheit geben werde? Daran lässt Scholz keinen Zweifel: Man sei eng abgestimmt mit den europäischen Verbündeten, um das zu organisieren. "Das sind ja auch ganz komplizierte Transporte angesichts des Alters und oft auch der Pflegebedürftigkeit."

Anikó Merten von den Freien Demokraten will vom Kanzler wissen, wie mögliche Sicherheitsgarantien für die Ukraine nach dem Ende des Krieges aussehen könnten. "Es darf nicht auf einen Diktatfrieden hinauslaufen", antwortet Scholz mit Blick auf Friedensverhandlungen. Zugleich bittet er um Verständnis dafür, aus Gründen der "notwendigen Vertraulichkeit" nicht näher ins Detail gehen zu können.  

Wladimir Putin hat sich "mehrfach verrechnet"

Die Sozialdemokratin Dagmar Andres sieht im Ukraine-Krieg eine "Bewährungsprobe für den Zusammenhalt innerhalb Europas". Deshalb erkundigt sie sich beim Regierungschef, in welchen Bereichen er Europa besonders gefordert sieht. Und ob sich neue Chancen und Perspektiven eröffnen könnten? Olaf Scholz nutzt diese Frage, um nochmals auf Wladimir Putin zu sprechen zu kommen. Der habe sich "mehrfach verrechnet". Zum einen im Hinblick auf den Widerstand der Ukrainerinnen und Ukrainer.

Und er habe sich verrechnet im Hinblick auf die "Einigkeit von uns allen, auch die Einigkeit der Europäischen Union". Die müsse jetzt genutzt werden für große Fortschritte in Europa, sagt der Kanzler und verweist nochmals auf die Notwendigkeit, unabhängiger von Energie-Exporten aus Russland zu werden.         

Die nächste Kanzler-Befragung findet im Sommer statt

Pünktlich nach einer Stunde endet die Befragung des Bundeskanzlers. Eine Stunde, die im Zeichen des Ukraine-Kriegs stand. Als sich Olaf Scholz im Januar erstmals den Abgeordneten im direkten Dialog stellte, hatte er trotz des russischen Truppenaufmarschs noch die Hoffnung auf eine friedliche Lösung. Die nächste Befragung soll kurz vor der parlamentarischen Sommerpause stattfinden, also im Juni oder Juli. Auch dann wird der Krieg wohl das wichtigste Thema sein. Ein Krieg, von dem sich die Abgeordneten bei allen Meinungsverschiedenheiten wünschen, dass er dann vorbei sein wird.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland