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Politik

Die Krise als Fortsetzungsgeschichte

Barbara Wesel
21. Oktober 2017

Das Kabinett in Madrid hat nach Artikel 155 über Maßnahmen zur Beschneidung der Autonomie in Katalonien entschieden. Damit beginnt das nächste, aber längst nicht das letzte Kapitel der Krise.

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Spanien Katalonien Ultimatum Symbolbild Fußgänger in Barcelona
Bild: Reuters/G. Fuentes

Die Geschichte mit dem Bank-Run war eher ein Schlag ins Wasser. Die beiden großen Unabhängigkeitsbewegungen, ANC und Omnium, hatten eine Reihe ziviler Proteste versprochen, als am Donnerstag die Regierung in Madrid ankündigte, mit Hilfe von Artikel 155 die Rechtsstaatlichkeit in Katalonien wieder herzustellen. Eine Großdemonstration riefen sie für diesen Samstag aus, vorher aber sollten die Independentistas schon einmal ein Zeichen setzen. 

Symbolaktion mit begrenzter Wirkung

Es ging darum, möglichst viel Geld von den beiden Banken Caixas und Sabadell abziehen. Die dritt- und die fünftgrößte Bank Spaniens erregen den Zorn der Bewegung, weil sie kurz nach Beginn der Krise ankündigten, ihren Sitz weg aus Katalonien zu verlegen. Was als eine Art Vaterlandsverrat betrachtet wird.

Spanien Barcelona - Kunden vor Caixabank
Keine langen Schlangen vor den Banken in Barcelona Bild: DW/B. Wesel

Am Mittag hatten sich die Organisatoren noch bei allen bedankt, "die sich an dieser ersten direkten Aktion" beteiligten. Später dann versiegten die Nachrichten. Bei der Sabadell Bank konnte ein Sprecher am Nachmittag keine auffälligen Bewegungen feststellen. Es werde ein bisschen mehr Geld abgehoben als sonst, aber schließlich sei Freitag und ein Ausverkaufs-Wochenende. Und im Zentrum von Barcelona waren lange Schlangen nicht zu finden.

Die Banken dürften weniger unter solchen Aktionen, sondern eher unter abgeschwächtem Wachstum und dem fortgesetzten Firmenabzug leiden: Schon 1200 Unternehmen wollen ihre Sitze aus Katalonien abziehen, die Zahl steigt ständig. Und der Verband der Klein- und Mittelständischen Firmen teilt mit, dass schon 10 Prozent seiner Mitglieder anstehende Investitionen gestoppt hätten, und fast ebenso viele genau das planten.

Tag der Entscheidung in Madrid

Sonnabend ist Tag der Entscheidung in Madrid. Raquel de la Rasilla glaubt, die Regierung von Mariano Rajoy werde eher vorsichtig vorgehen und nur einen Teil der autonomen Rechte der Region aussetzen: Wahrscheinlich die Finanzen und die Polizei und vielleicht den Sender TV3 übernehmen, der sich seit einiger Zeit zum Sprachrohr der Unabhängigkeitsbewegung gemacht hat. Raquel arbeitet in einem IT-Unternehmen und stammt nicht aus Katalonien, lebt aber schon seit 30 Jahren in der Region.

"Ich bin sehr besorgt", sagt sie, "wir sehen andauernd die Nachrichtensendungen, weil wir wissen wollen, was passiert. Aber es ist verwirrend, man bekommt total verschiedene Informationen, je nachdem was man anschaut oder liest." Sie gehört zur Masse der schweigenden Mehrheit, die sich von den Ereignissen der letzten Wochen überrollt fühlt.

Spanien Barcelona - Raquel de la Rasilla
Raquel de la Rasilla: "Ich bin sehr besorgt."Bild: DW/B. Wesel

In Sachen Unabhängigkeit geht auch durch ihre Familie ein Riss, wie bei vielen derzeit in Katalonien. Raquels Bruder ist in der linksextremen CUP-Partei, die an vorderster Front für die Unabhängigkeit kämpft. "Aber wir reden weiter miteinander, so schlimm ist es nicht." Was Raquel sich wünscht, ist ein legales und korrekt organisiertes Referendum. Das am 1. Oktober sei eine Farce gewesen: "Ich weiß, dass mein Bruder seine Stimme in einem Wahlbüro zweimal abgegeben hat."

Allerdings müssten die Leute dafür richtig informiert werden. Auch sie habe erst in den letzten Tagen verstanden, dass ein unabhängiges Katalonien kein EU-Mitglied mehr sei. "Die meisten hier machen sich die Konsequenzen nicht klar, für sie geht es vor allem um Emotionen." 

Nicht mit Gewalt gegen die Revolte

Der Historiker Prof. Joan Culli kennt die Geschichte des katalanischen Nationalismus. Ging es früher vor allem um Sprache und Kultur, habe sich die Idee von der Unabhängigkeit erst im 20. Jahrhundert entwickelt. Während der Franko-Diktatur erstarkte sie durch die massive Unterdrückung, um schließlich nach jahrzehntelanger Pause in den letzten Jahren wieder aufzuerstehen. "Man kann seine Identität nicht wahren, eigene Schulen oder Polizei haben, gegenüber einem zunehmend zentralistischen Staat", sagt Culli. Den Trend gebe es seit Jahren, aber unter Rajoy habe sich die Lage verschlimmert.

Er sieht die Schuld am gegenwärtigen Zustand vor allem beim Premierminister: "Ich glaube, was die Krise provoziert und nährt, ist vor allem die Unbeweglichkeit von Rajoy." Er trage die Verantwortung für die verfahrene Situation, denn er habe den Katalanen seit sechs Jahren nichts angeboten.

Spanien Barcelona - Prof. Joan Culli Historiker Uni Barcelona
Prof. Joan Culli: Rajoy trägt die VerantwortungBild: DW/B. Wesel

Welchen Ausweg sieht er jetzt noch? "Wir brauchen ein ernsthaftes und überwachtes Referendum. So wie in Schottland oder Quebec, dann weiß man Bescheid, wie viel Prozent der Bevölkerung für oder gegen die Unabhängigkeit ist." Prof. Culli glaubt übrigens, dass eine Mehrheit dafür ist, und erscheint selbst als Sympathisant. Die Aussetzung der Autonomie-Rechte aber hält er für eine gefährliche Maßnahme: "Man kann nicht regieren, wenn sich die Hälfte der Bevölkerung in der Revolte befindet."

Neuwahlen im Januar

Noch innerhalb der nächsten Woche soll der Senat in Madrid die Maßnahmen nach Artikel 155 absegnen. Die Mehrheit gilt als gesichert. Und im Januar dann will die Regierung Neuwahlen in Katalonien ansetzen, mit Unterstützung der Oppositionsparteien. Damit stehen dem Land noch Monate der innenpolitischen Krise bevor.

Spanien Mariano Rajoy im Parlament
Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy: Ein kritischer Punkt ist erreicht Bild: Reuters/J. Medina

Die katalanische Zeitung "La Vanguardia" hatte Katalanen-Präsident Carles Puigdemont schon vor der aktuellen Entscheidung aus Madrid zum Rückzug aufgefordert: "Es liegt keine Würde in einem kollektiven Selbstmord, umso weniger, wenn der nur von einem Mann beschlossen wird und alle darunter leiden."