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KonflikteKatar

Katar gewinnt im Konflikt zwischen Israel und Hamas

Cathrin Schaer | Jennifer Holleis
24. November 2023

Dank der Vermittlung Katars haben sich Israel und Hamas auf eine Waffenruhe und einen Geisel- und Gefangenenaustausch geeinigt. Der Erfolg ist Frucht des diplomatischen Balanceakts, den das Emirat seit Jahren vollführt.

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Porträtaufnahme des Emir von Katar
Unter der Regentschaft des Emirs Tamim Bin Hamad Al-Thani vollführt Katar seit Jahren einen diplomatischen Balanceakt zwischen Hamas, Taliban, Iran und westlichen MächtenBild: Joerg Carstensen/picture alliance

Für Katar ist die "humanitäre Pause" im Gazastreifen ein Triumph. Am frühen Mittwochmorgen (22.11.) hatte das Außenministerium des Emirats auf der Arabischen Halbinsel eine Erklärung veröffentlicht, die eine viertägige Waffenruhe angekündigte. 

Diese ist seit Freitagmorgen in Kraft. Nun sollen alle Seiten - das israelische Militär, die militant-islamistische Hamas und der bewaffnete Flügel der Hisbollah im Libanon - die Kämpfe bis Dienstag früh einstellen.

Im Laufe des Freitag ließ die Hamas zudem mehrere der Geiseln frei, die sie am 7. Oktober in den Gazastreifen entführt hatte. Israel ließ seinerseits palästinensische Frauen und Kinder aus israelischen Gefängnissen frei.

Weitere Gefangene sollen in der Nacht zum Samstag freikommen. Die Feuerpause soll zudem die Lieferung dringend benötigter humanitärer Hilfsgüter in den Gazastreifen ermöglichen.

Verhandlungsdruck auf Israel gestiegen

Am 7. Oktober hatte die Hamas vom Gazastreifen aus einen Terrorangriff auf Israel gestartet, bei dem etwa 1.200 Israelis und andere Staatsangehörige getötet wurden. Zusätzlich nahm die Gruppe, die von den USA, der EU und anderen Staaten als terroristische Organisation eingestuft wird, etwa 240 Geiseln und entführte sie in den Gazastreifen.

Seit dem Angriff bis zum Freitagmorgen hatte Israel das rund 360 Quadratkilometer große Gebiet bombardiert und die Lieferung von Wasser, Nahrungsmitteln, Treibstoffen und medizinischen Versorgungsgütern weitgehend verhindert.

Laut Zahlen des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums von Gaza kamen im Gazastreifen in den vergangenen sechs Wochen 13.000 Menschen ums Leben.

Demonstranten in Israel mit Plakaten und gelben Luftballons fordern die Freilassung der Geiseln
Viele Familien von Geiseln fordern von ihrer Regierung, sich zuerst um die Freilassung der Geiseln zu bemühenBild: Nir Alon/ZUMA Press Wire/picture alliance

Die Verhandlungen über die Geiseln hatten sich über Wochen hingezogen. Berichten zufolge hatte die israelische Regierung schon einmal ein ähnliches Angebot zugunsten einer Bodenoffensive im Gazastreifen abgelehnt.

Doch der Druck ist gestiegen - sowohl durch die internationale Gemeinschaft als auch seitens des Hauptverbündeten USA und der Familien der Geiseln, die von ihrer Regierung fordern, sich auf die Freilassung ihrer Familienmitglieder zu konzentrieren.

Ägypten, das im Jahr 1979 als erstes Nachbarland ein Friedensabkommen mit Israel unterzeichnete und eine Grenze mit Israel und mit dem Gazastreifen teilt, war ebenfalls an den Verhandlungen beteiligt. Doch federführend soll Katar gewesen sein.

Lob für Katar als Vermittler

Bereits kurz nach der Ankündigung des Außenministeriums von Katar hatten US-Präsident Joe Biden und der US-amerikanische Außenminister Antony Blinken Nachrichten auf X (vormals Twitter) gepostet, in denen sie Ägypten und Katar für ihre "wichtige Partnerschaft" bei den Verhandlungen dankten.

Selbst Israels nationaler Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi fand lobende Worte für die Rolle Katars und ließ in den sozialen Medien wissen, dass "Katars diplomatische Bemühungen in dieser Zeit maßgeblich" seien.

Doch nicht alle sind mit dem kleinen Golfstaat zufrieden. Einige Kommentatoren meinen, die Unterhändler hätten mehr tun sollen, um die Freilassung von mehr Geiseln zu erwirken.

Infografik Karte Katar DE

Andere weisen darauf hin, dass Katar seit 2012 die Führungsriege der Hamas beherberge und somit für den Angriff der Hamas mitverantwortlich sei. Katar hat wiederholt betont, dass es die "Sache der Palästinenser" unterstütze.

Außenpolitischer Balanceakt

Viele Fachleute meinen, dass Katar mit seiner Außenpolitik auf einem schmalen Grad wandele, wenn es "die Schweiz des Nahen Ostens" spiele und seine Türen für alle offen halte.

"Die Rolle Katars ist besonders heikel, denn das Emirat agiert jetzt bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten als Vermittler", sagte Guido Steinberg, Nahostexperte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, kürzlich der DW.

Katar hat auch schon zwischen der internationalen Gemeinschaft und den afghanischen Taliban, die ebenfalls Büros in Doha unterhalten, vermittelt, zwischen USA und Iran, und sogar zwischen Russland und der Ukraine.

In dem kleinen Land am Persischen Golf befindet sich außerdem die größte US-Militärbasis im Nahen Osten, der Luftstützpunkt Al-Udeid, der 2021 eine wichtige Rolle bei den Evakuierungen aus Afghanistan spielte. Infolgedessen wurde Katar als "wichtiger Nicht-NATO-Verbündeter" beschrieben.

Auch zwischen Israel und der Hamas hat das Land bereits vermittelt, zum Beispiel während des militärischen Konflikts im Jahr 2014. 2009 hatte Katar seine Beziehungen mit Israel auf Eis gelegt, unterhielt die Beziehungen jedoch wohl hinter den Kulissen aufrecht.

Schon 1996, als die meisten anderen Länder in der Region sich vehement gegen jegliche Beziehungen zu Israel aussprachen, gestattete Katar dem Land die Eröffnung einer Handelsvertretung in Doha.

Geisel-Abkommen sorgt für Erleichterung und Kritik

"Katar pflegt seit langem pragmatische Beziehungen, in denen es finanzielle Anreize nutzt, um auftretende Spannungen und bewaffnete Konflikte zwischen Israel und der Hamas zu bewältigen und zu deeskalieren", erklärte Sanam Vakil, Direktorin des Nahost-Nordafrika-Programms der britischen Denkfabrik Chatham House vergangen Monat der DW.

Vakil sieht Katar als "natürlichen Vermittler, um die Freilassung von Geiseln zu erreichen und Ansatzpunkte zu finden, um die Situation zu deeskalieren und die Menschen vor Ort angesichts der sich verschlechternden humanitären Lage zu schützen".

Dabei bewegt Katar sich in einer Grauzone. Der US-Journalist Joel Simon, der 2019 ein Buch mit dem Titel "We Want to Negotiate: The Secret World of Kidnapping, Hostages, and Ransom" ("Wir wollen verhandeln: Die geheime Welt der Entführungen, Geiseln und Lösegelder") veröffentlichte, schrieb vergangene Woche im US-Magazin "The New Yorker": "Obwohl die Vertreter des Landes betonen, dass sie von humanitären Prinzipien geleitet werden und Konflikte vermeiden und die Stabilität fördern wollen, haben sie ihren Einfluss doch ganz klar verwendet, um ihren Machtbereich und ihre Sichtbarkeit zu vergrößern. Sie sind überzeugt, durch ihre Haltung ihre Sicherheit in einer unberechenbaren Region zu erhöhen." Auf beiden Seiten gleichermaßen präsent zu sein mache Katar zu einem wertvollen Verbündeten, und Katar wisse das.

Geldgeber für Gaza

In jüngster Vergangenheit ließ Katar geschätzte 27 Millionen Euro monatlich nach Gaza fließen. Doch die Auseinandersetzungen um dieses Geld zeigen einmal mehr, welch heikle Rolle das Land in Bezug auf die Palästinenser und die Hamas spielt.

Katar wird vorgeworfen, mit diesem Geld den militärischen Flügel der Hamas zu finanzieren und so illegale Umtriebe zu unterstützen. Die Hamas regiert die Enklave seit 2007 und verwaltet auch die Zahlungen für die Zivilverwaltung des Gazastreifens.

Auf Fragen der Nachrichtenagentur Reuters zu den Geldern für Gaza antwortete ein Regierungsvertreter Katars vergangenen Monat, das Geld sei für Familien in Not und die Gehälter von Zivilbeamten einschließlich Ärzten und Lehrern in dem verarmten Landstrich bestimmt.

Den Vereinten Nationen zufolge waren bereits vor der aktuellen Eskalation des Konflikts 80 Prozent der Bewohner des Gazastreifens abhängig von internationalen Hilfen. Im Jahr 2007, als die Hamas zwei Jahre nach Abzug der Israelis im Gazastreifen die Macht ergriff, hatte Israel den Streifen abgeriegelt.

Gaza: Blick aus einem zerstörten Gebäude auf weitere zerstöre Häuser und Menschen, die zwischen den Trümmern stehen. Im Bildvordergrund ist die dunkle Silhouette eines Mannes mit Baseballkappe zu sehen.
Mehr als 13.000 Menschen sind nach Angaben des Hamas-geführten Gesundheitsministeriums in den aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen im Gazastreifen gestorbenBild: Mohammed Abed/AFP

Tatsächlich fließe das Geld aus Katar über Israel, erklärte der Regierungsvertreter. Es werde elektronisch an Israel überwiesen, das es dann an die Hamas-kontrollierten Behörden im Gazastreifen weiterleite. Alle Zahlungen seien "vollständig mit Israel, der UN und den USA abgestimmt", führte er aus.

US-Beamte weisen darauf hin, dass die Hamas über ein umfangreiches, vielschichtiges und kompliziertes System zur Beschaffung von Mitteln verfügt. Einige davon würden vermutlich für illegitime Zwecke verwendet, so die Beamten.

Dazu zählten auch Gelder aus Katar sowie aus anderen Ländern wie dem Iran, der eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der Hamas spielt. Nach dem Anschlag vom 7. Oktober verhängten die USA Sanktionen gegen weitere Organisationen, die ihrer Überzeugung nach mit der Finanzierung der Hamas in Verbindung stehen, darunter ein Mittelsmann in Katar sowie weitere im Sudan, in der Türkei und Algerien.

Eine neue Rolle für Katar?

Zwar konnte Katar in dieser Verhandlungsrunde einen Erfolg verzeichnen, doch der aktuelle Konflikt zeitigt wohl noch weitere Ergebnisse. Wie es scheint, sind Katar und die USA darin übereingekommen, dass der Golfstaat sich weiter von der Hamas distanzieren muss, wenn sich die Lage wieder beruhigt hat.

Mitte Oktober forderten mehr als 100 US-Politiker von Katar, Vertreter der Hamas des Landes zu verweisen. "Die Verbindungen des Landes zur Hamas […] sind schlicht inakzeptabel", schrieben sie in einem Brief an den US-Präsidenten.

Die katarische Führung erklärt sich jedoch überzeugt, dass weitere diplomatische Bemühungen zum Frieden führen könnten. "Das von Katar ausgehandelte Abkommen zwischen Israel und Hamas ist der erste wichtige diplomatische Erfolg seit Beginn des Krieges", bestätigt Hugh Lovatt vom European Council on Foreign Relations. Dies böte die "Gelegenheit, Raum zu schaffen für einen breiteren diplomatischen Weg, um einen vollständigen Waffenstillstand zu erreichen".

Doch es gibt auch Experten, die befürchten, dass die Führungsriege der Hamas sich nach einem anderen Land umsehen könnte, sollte Katar sie ausweisen. Und das könnte deutlich weniger geneigt  sein, helfend einzugreifen, wenn weitere diplomatische Verhandlungen nötig würden. Bevor Katar die Hamas aufnahm, hatte die Führungsriege in Syrien Unterschlupf gefunden.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

Jennifer Holleis
Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.