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Kein Grund zum Jammern

Marcel Fürstenau14. September 2004

Armes Deutschland - vier Jahre nach der Aufsehen erregenden Pisa-Studie gibt wieder mal schlechte Noten für seine Bildungspolitik. Doch sie verstellen den Blick auf die realen Anstrengungen und Erfolge.

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Marcel Fürstenau
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Wie gut oder wie schlecht das aktuelle deutsche Bildungssystem ist, wird sich frühestens in zehn bis 15 Jahren beurteilen lassen. Dann nämlich wird die jetzige Schüler-Generation entweder eine berufliche Ausbildung oder ein Studium absolviert haben. Ihre Leistungsstärke oder -schwäche im internationalen Vergleich wird Rückschlüsse auf die Qualität des deutschen Bildungswesens zulassen.

Natürlich muss und darf man nicht so lange warten, um dann gegebenenfalls festzustellen, die Deutschen seien nicht mehr konkurrenzfähig. Das ist aber auch gar nicht der Fall. Im Gegenteil: Spätestens seit der so genannten Pisa-Studie vor vier Jahren, in der deutschen Schülern schlechte Noten vor allem in naturwissenschaftlich-mathematischen Fächern attestiert worden waren, passiert eine ganze Menge. So werden Milliarden-Beträge für den Ausbau von Ganztagsschulen bereitgestellt, mit denen insbesondere skandinavische Länder große Erfolge erzielen.

Die Hochschulen und Universitäten kümmern sich mehr denn je um ausländische Studenten. Deutschland ist mittlerweile das nach den USA beliebteste Ziel. Und deutsche Studenten gehören zu den eifrigsten angehenden Akademikern, die es in die Ferne zieht. Das sind nur einige positive Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart, die in der aktuellen OECD-Bildungsstudie bestenfalls erwähnt, aber weder analysiert noch gewürdigt werden, weil sich die weltweiten Vergleiche auf den Zeitraum von 1995 bis 2001 beziehen.

Schon deshalb ist es zum Teil unerklärlich und unfair, diese mindestens drei Jahre alten Befunde mit der Situation von heute in Beziehung zu setzen. Genau das aber tun etliche Kritiker aus Politik und Wirtschaft. Die mit Hilfe der Studie festgestellten Versäumnisse aus früheren Jahrzehnten, insbesondere den 1980er- und 1990er-Jahren, den heute zuständigen Bildungspolitikern anzulasten, ist der übliche Versuch, das eigene Versagen zu vertuschen.

In dieser Disziplin sind Politiker aller Parteien aktiv. Meister in Sachen Unglaubwürdigkeit aber sind die Wortführer der Christdemokraten und Liberalen, die sämtliche Fehlentwicklungen der amtierenden Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn anlasten wollen. Das ist allein schon deshalb absurd, weil die seit 1998 regierende Koalition aus Sozialdemokraten und Grünen wesentlich mehr Geld in die Bildung steckt, als es Christdemokraten und Liberale in den 16 Jahren davor auf Bundesebene getan haben.

Absurd sind die Vorwürfe aber auch, weil Bildung im föderal strukturierten Deutschland vor allem Sache der Länder ist. Davon gibt es 16, mehr als die Hälfte wird von den Konservativen regiert. Und längst nicht alle sind so erfolgreich wie fast schon traditionell Bayern und Baden-Württemberg. Dass jetzt wieder der Ruf ertönt, Deutschland solle den in der jüngsten OECD-Bildungsstudie besonders erfolgreichen Ländern nacheifern, zeugt von wenig Phantasie und noch weniger Vertrauen in die eigenen Stärken.

Gute Vorbilder zu kopieren mag von Fall zu Fall Erfolg versprechend sein - siehe Ganztagsschule. Es gibt aber auch andere, abschreckende Beispiele. Jahrelang war in Deutschland von einer Akademiker-Schwemme die Rede. Jetzt stellt sich heraus, dass insbesondere Länder mit hohen Abiturienten- und Studentenquoten im internationalen Wettbewerb erfolgreich sind - gemessen am Einkommen und der Arbeitslosenquote. Wie gut, dass in Deutschland die Zahl der Studierenden pro Jahrgang innerhalb von fünf Jahren von 28 auf 35 Prozent zugenommen hat. Geradezu jubilieren müsste die deutsche Wirtschaft über sage und schreibe 72 Prozent mehr junge Menschen, die naturwissenschaftliche Fächer studieren, und über ein Plus von 35 Prozent bei den Ingenieurswissenschaften. Das sollte sich langfristig für den Export-Weltmeister Deutschland doch im wahrsten Sinne des Wortes bezahlt machen.

Und sogar stolz darf die deutsche Wirtschaft darauf sein, dass sie sich im Rahmen des dualen Bildungssystems, also der Kombination aus betrieblicher und schulischer Ausbildung, erheblich an den Kosten und Investitionen am Bildungsstandort Deutschland beteiligt. Was es in dieser Form weltweit nirgends gibt. Da sollte es doch einigermaßen zu verkraften sein, wenn die staatlichen Ausgaben für Bildung gemessen am Bruttoinlandsprodukt lediglich 5,3 Prozent gegenüber 5,6 im OECD-Durchschnitt betragen.

Natürlich dürfte es ruhig mehr sein. Und so mahnte denn auch Bundesbildungsministerin Bulmahn: Das Land müsse sich entscheiden, ob es weiterhin Milliarden Euro als Eigenheimzulage für die Förderung des privaten Wohnungsbaus ausgeben wolle und das bei sinkenden Bevölkerungszahlen. Oder ob das viele Geld nicht besser in die Zukunft junger Menschen gesteckt werden sollte, die in zehn bis 15 Jahren die Geschicke des Landes lenken müssen.