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Ein Dorf ohne Handy-Empfang und Internet

16. März 2018

Eine "flächendeckende digitale Infrastruktur von Weltklasse" strebt die große Koalition bis 2025 an. In Brenschede glaubt man nicht mehr daran. Die Netzausfälle hier sind ärgerlich und manchmal sogar richtig gefährlich.

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Symbolbild Deutschland Funkloch
Bild: picture-alliance/dpa/I. Kjer

"Sie können mich telefonisch nicht erreichen! Mein Handy hat hier keinen Empfang", sagt Holger Hengesbach. Er wohnt im tiefsten Sauerland. Brenschede, ein Dorf mit 14 Familien und 68 Einwohnern. Nur 60 Kilometer entfernt von der Großstadt Dortmund und dem deutschen Ballungsraum Ruhrgebiet, aber abgeschnitten von der Außenwelt. Digitales Niemandsland, Brenschede wird nicht umsonst das "Tal der Ahnungslosen" genannt.

"Die Politik vergisst uns permanent"

Für den 34-Jährigen ist das ein großes Problem. Denn er arbeitet für einen internationalen IT-Spezialisten und muss 24 Stunden am Tag erreichbar sein. Will er mit dem Handy telefonieren, geht er vom Waldrand den Berg hinauf. Und muss dort auf ein Signal hoffen. Wenn es nicht regnet, zeigt das Handy manchmal mit Glück zwei Balken an und der Anruf funktioniert ohne die obligatorischen Mobilfunklöcher. Hengesbach schüttelt den Kopf: "Man kann sich das als Außenstehender gar nicht vorstellen, dass es so etwas in Deutschland noch gibt!"

Familie Hengesbach in Brenschede
Familie Hengesbach lebt seit mehreren Generationen in Brenschede. Sie will auch ohne gutes Mobilfunknetz bleibenBild: DW/O. Pieper

Und so scheitert die vermeintlich simple Einrichtung eines Kontos für Online-Banking an der digitalen Abgeschiedenheit. Für die Freischaltung des Kontos erhielt Hengesbach eine SMS mit der PIN. "Aber ich hatte natürlich keinen Empfang und hätte, um die SMS lesen zu können, einen anderen Ort suchen müssen." Das Problem: Die PIN war aus Sicherheitsgründen nur fünf Minuten gültig. Es gibt viele Geschichten wie diese in Breschede. Sie zeigen, wie groß in Deutschland das Gefälle zwischen Stadt und Land geworden ist. Hengesbach appelliert: "Es muss in der Politik endlich Vorrang für unterversorgte Gebiete geben. Die Politik vergisst uns permanent."

Brenschede seit zwei Jahrzehnten "offline"

Dabei war Brenschede bis Ende der 1990er Jahre noch erreichbar. Drei Kilometer entfernt hatte die Bundeswehr einen Fernmeldeturm, den auch die Telekom nutzte. "Damals konnten wir am Fensterrahmen zumindest noch eine SMS verschicken" erklärt Hengesbach. Doch dann baute die Telekom einen neuen Mast einige Kilometer weiter. Das neue Signal erreicht Brenschede aber nicht mehr: "Seitdem, also seit zwei Jahrzehnten, sind wir offline!"

Dorf Brenschede im Sauerland
Abgehängtes Dorf in der Idylle: 14 Familien wohnen noch in Brenschede, ein Paar mit drei Kindern ist gerade weggezogenBild: DW/O. Pieper

Das betrifft nicht nur den Mobilfunk. Auch beim Thema Breitband hinkt Brenschede der digitalen Entwicklung Jahrzehnte hinterher. Der Vater von Holger, Wolfgang Hengesbach, berichtet: "Sie können hier zum Beispiel nicht ihre Steuerklärung digital einreichen. Dauernd stürzt Ihnen der Rechner ab." Jeder im Dorf hat sich deswegen eine Satellitenschüssel zugelegt. Die ist zwar teuer und das Datenvolumen begrenzt, aber zumindest funktioniert das Internet. Wenn auch nur sehr langsam. In Brenschede muss man einige Minuten warten, ehe sich eine Seite aufbaut.

Digital spielt Deutschland nicht Champions League, sondern Kreisklasse

Anruf bei Martin Fornefeld. Der Digitalisierungsexperte hat gerade eine Studie zur Bedeutung des Breitbandausbaus in Gewerbegebieten im ländlichen Raum erstellt. Das Ergebnis sei eindeutig, sagt Fornefeld: "Nur wenn das Breitband-Internet im ländlichen Raum flächendeckend ausgebaut wird, ist das Land noch attraktiv." Ansonsten gehe die Landflucht weiter, junge, qualifizierte Menschen zögen in die Stadt. In Brenschede hat gerade eine Familie mit drei Kindern das Dorf wegen der schlechten Internet- und Mobilfunkverbindung nach wenigen Monaten verlassen

Deutschland BdT Verlegung von Glasfaserkabel in Sachsen-Anhalt
Der Glasfaserausbau verläuft in Deutschland schleppend: Nur sieben Prozent der Haushalte sind angeschlossenBild: Getty Images/S. Gallup

Im europäischen Vergleich hinkt Deutschland beim Ausbau der Glasfasernetze, die schnelles Internet garantieren, immens hinterher: In Estland profitieren bereits 73 Prozent der Haushalte von direkt verfügbaren Glasfaserverbindungen, in Schweden 56 und in Spanien 53. Dort gehört der Glasfaseranschluss zur Grundversorgung wie Energie und Wasser. Und in Deutschland? Gerade einmal sieben Prozent der Haushalte verfügen hierzulande über einen Glasfaseranschluss, im ländlichen Bereich liegt die Quote sogar unter zwei Prozent.

Fornefeld sieht da auch den deutschen Marktführer in der Verantwortung: "Die Telekom versucht, monopolistische Strukturen mit ihren bestehenden Netzen aufzubauen, statt bei der Glasfaser mit den Konkurrenten zusammenzuarbeiten." Im Kern wolle die Telekom lieber ihre alten Kupfernetze weiter entwickeln, statt neue Netze zu bauen. Der Status Quo ist für den Digitalisierungsexperten ernüchternd: "Deutschland will ja digital bald Champions League spielen. Derzeit kicken wir aber in der zweiten Kreisklasse."

Dramatische Folgen bei medizinischen Notfällen

Und das kann dramatische und lebensbedrohliche Folgen haben. Wenn Handy und Internet wie in Brenschede nicht funktionieren, sind Menschen wie Richard Hill in ständiger Alarmbereitschaft: "Wir haben einen schwerstbehinderten Sohn, dem schon mehrmals die Magensonde herausgezogen werden musste. Da rufen uns die Ärzte aus der Klinik in Iserlohn an und wir sind nicht erreichbar."

Richard Hill vor seinem Haus in Brenschede
Richard Hill aus Brenschede glaubt nicht mehr an die vollmundigen Versprechen der Politiker in Sachen DigitalisierungBild: DW/O. Pieper

Hill erinnert sich auch an den vergangenen Sommer. Da schleppte sich ein blutender Mann nach Brenschede, der wenige Kilometer entfernt einen Motorradunfall gehabt hatte. Mit seinem Handy konnte er keine Hilfe rufen. Brenschede, ein kleines Dorf mitten in Deutschland, im digitalen Niemandsland. Wird sich daran in den nächsten Jahren etwas ändern? Richard Hill hat die Hoffnung fast aufgegeben: "Ich kenne die Versprechungen der Politiker schon seit 30 Jahren. Passiert ist nichts."

Daran verzweifeln auch die wenigen Jugendlichen, die noch in Brenschede wohnen. Und sei es, weil sie an der Playstation beim beliebten Spiel "FIFA Soccer" keine Chance gegen Spieler haben, die einige Kilometer weiter über ein funktionierendes Internet verfügen. Holger Hengesbach: "Wenn Sie grätschen, dauert das durch die Verzögerung der Satellitentechnik eine Sekunde. Und da liegt der Ball schon in ihrem Tor."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur