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Schutzstatus für Syrer abgelehnt: Urteil mit Signalwirkung?

25. Juli 2024

In Syrien ist das Leben von Zivilisten nach Ansicht eines hohen deutschen Gerichts nicht mehr ernsthaft bedroht. Deshalb gibt es Forderungen nach Abschiebungen syrischer Flüchtlinge in ihre Heimat.

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Polizeibeamte begleiten einen Abzuschiebenden in ein Charterflugzeug.
Ein Gerichtsurteil befeuert in Deutschland die Diskussion über die Abschiebung von Syrern Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Es könnte ein Urteil mit weitreichenden Folgen sein: Für Asylbewerber aus Syrien sieht das Oberverwaltungsgericht Münster in Nordrhein-Westfalen derzeit keine pauschale Gefahr durch einen Bürgerkrieg mehr. Mit dieser Begründung hatte das Gericht am Montag die Klage eines Syrers abgelehnt, der die Anerkennung eines subsidiären Schutzes für sich gerichtlich erstreiten wollte. Subsidiärer Schutz gilt für Menschen, die nicht als individuell verfolgte Flüchtlinge anerkannt werden, aber nachvollziehbar begründen können, warum ihnen bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland ernsthafte Gefahren drohen - etwa durch Bürgerkrieg. 

Syrer droht keine persönliche Gefahr

Der Kläger ist syrischer Staatsangehöriger aus dem Nordosten Syriens (Provinz Hasaka) und war im Jahr 2014 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlingehatte seine Anerkennung als Flüchtling und den subsidiären Schutz als Bürgerkriegsflüchtling abgelehnt, weil er sich vor seiner Einreise an der Einschleusung von Menschen aus der Türkei nach Europa beteiligt hatte. In Österreich war der Mann deshalb zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Daraufhin zog der Syrer vor das Oberverwaltungsgericht (OVG), das nun befand, dass er nicht als Flüchtling anerkannt werden könne, weil ihm in Syrien keine persönliche Gefahr drohe. Das Urteil aus Münster ist die erste obergerichtliche Entscheidung dieser Art. Für Syrien war in Asylverfahren bislang im Regelfall von einer Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit von Zivilisten ausgegangen worden. Derzeit gilt in Deutschland ein bundesweites Abschiebeverbot nach Syrien.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Auch wenn die Revision nicht zugelassen wurde, kann Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt werden. Bei der Urteilsverkündung erklärte die Vorsitzende Richterin, dass der Kläger bereits nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfülle, weil ihm in Syrien keine politische Verfolgung droht. Auch die begangenen Straftaten würden einen Schutzstatus ausschließen. 

In der Presseerklärung des OVG heißt es weiter, dass Gericht sehe "die Voraussetzungen für dessen Zuerkennung, nämlich die ernsthafte, individuelle Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit von Zivilpersonen infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts, in der Provinz Hasaka, aber auch allgemein in Syrien, als nicht mehr gegeben an."

Für Pro Asyl bleibt Syrien ein unsicheres Land

Das sieht die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl in Frankfurt am Main anders: "Das Oberverwaltungsgericht hat ziemlich hart an der Realität in Syrien vorbei entschieden. Denn das, was uns zum Beispiel Berichte vom Auswärtigen Amt oder auch die Berichte der europäischen Asylagentur zeigen, ist, dass Syrien weiterhin kein sicheres Land ist. Dass Menschen von verschiedensten Gefahren bedroht sind, von Folter, einer absolut katastrophalen humanitären Situation bis hin auch weiterhin zu bewaffneten Konflikten", sagt die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith, der DW.

Der Bürgerkrieg in Syrien begann 2011. Millionen Menschen flohen. Vielen von ihnen kamen 2014/2015 nach Deutschland. Widerstand gegen die Flüchtlinge formierte sich in Deutschland schnell und gab rechten Populisten und schließlich der mittlerweile in Teilen rechtsextremistischen Alternative für Deutschland (AfD) Auftrieb. Inzwischen ist das Thema illegale Migration und Abschiebung eines, das auch in Deutschland Wahlen entscheidet. Derzeit gibt es hierzulande mehr als 900.000 Flüchtlinge und Asylbewerber aus Syrien. Etwa 240 000 Syrerinnen und Syrer lebten laut Zahlen des Ausländerzentralregisters Ende 2023 mit subsidiärem Schutz in Deutschland, rund 360 000 hatten einen höherwertigen Flüchtlingsstatus.

Ein fröhlicher Bundeskanzler Olaf Scholz im Saal der Bundespressekonferenz (24.9.2024)
Bundeskanzler Olaf Scholz betonte, dass seine Regierung darauf hin arbeitet, dass nach Syrien und Afghanistan abgeschoben wirdBild: Britta Pedersen/dpa/picture alliance

Bundeskanzler Scholz sieht seine Abschiebepolitik bestätigt

Steht nun eine härtere Gangart in der Abschiebepolitik bevor? Mit dem Urteil aus Münster fühlt sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) offenbar in seiner Einstellung gestärkt. Nicht nur in Bezug auf syrische, sondern auch auf afghanische Asylbewerber. In einer Pressekonferenz zum Beginn der Sommerpause sagte Scholz kürzlich, er habe das Urteil mit Interesse gesehen. "Das unterstützt die Haltung der Bundesregierung und auch die Haltung des Bundeskanzlers, die sehr klar ist. Ich habe öffentlich gesagt: Wir werden Abschiebungen insbesondere von Straftätern nach Afghanistan, aber auch in andere Länder wie Syrien durchführen und bereiten vor, dass das auch tatsächlich geschieht. Sie verstehen sicherlich, dass wir über diese nicht ganz unkomplizierten Vorgänge nicht jeden Tag öffentlich reden. Aber wir arbeiten ganz präzise daran, dass Sie zum Beispiel bald auch über Abschiebungen berichten können, die nach Afghanistan konkret durchgeführt worden sind", erklärte Scholz.

Konkrete Abschiebeforderungen kommen auch von der liberalen Freien Demokratischen Partei (FDP) - Partner der regierenden Ampelkoalition mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und den Grünen. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte diese Woche den Zeitungen der Funke Mediengruppe, die Entscheidung mache deutlich, "dass keine pauschale, ernsthafte Bedrohung für Zivilisten in Syrien mehr vorliegt. Abschiebungen nach Syrien - und auch nach Afghanistan - sind also möglich, und sie müssen kommen." Dies sei ein "weiterer bedeutender Baustein für eine neue Realpolitik in der Migration." Andere europäische Staaten sähen diese Notwendigkeit ebenfalls, erklärte Djir-Sarai.

Union spricht von neuer Dynamik in Migrationsdebatte

Die Spitze der größten Oppositionsfraktion im Bundestag, der konservativen CDU/CSU, geht mit ihren Forderungen noch weiter: "Das Gericht hat ein wegweisendes Urteil gefällt, das eine neue Dynamik in die Migrationsdebatte bringen könnte", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Abgeordneten, Thorsten Frei, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Frei fügte hinzu: "Gleichzeitig ist es eine schallende Ohrfeige für Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die vor der tatsächlichen Sicherheitssituation in Syrien die Augen verschließt."

Syrische Geflüchtete als Helfer

Pro Asyl-Expertin Wiebke Judith weist darauf hin, dass es bislang nur eine Pressemitteilung vom Oberverwaltungsgericht gebe und die genaue schriftliche Urteilsbegründung nicht bekannt sei. "Sie wird entscheidend dafür sein, überhaupt nachvollziehen zu können, wie die Richterinnen und Richter zu ihrem Urteil gekommen sind."

Rein statistisch gesehen bekämen die meisten Syrer "aber tatsächlich nicht den subsidiären Schutz wegen der Gefahr eines bewaffneten Konfliktes, sondern wegen der Gefahr von Folter und anderer schwerer Menschenrechtsverletzungen. Und das ist genau die Frage: Was steht wirklich im Urteil und welchen Einfluss könnte das, was jetzt erstmal hypothetisch ist – auf die Praxis ab jetzt haben."

Bundesjustizministerium will genaue Prüfung vor Abschiebung

Insofern überrascht es nicht, dass sich das Bundesjustizministerium bisher mit Bewertungen zurückhält. Man müsse sich immer genau anschauen, wer in welchen Teil Syriens abgeschoben werden könne, erklärte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) die möglichen Konsequenzen des Urteils. "Man kann eben nicht mehr pauschal sagen, dass die Sicherheitslage im gesamten Land überall gleich ist, sondern es muss genau hingeschaut werden". 

Dies sei eine Entscheidung des Gerichts, "die man nachvollziehen kann, wenn man davon ausgeht, dass es mittlerweile auch in diesem Land Regionen gibt, die sehr gefährlich sind, aber auch andere Regionen gibt, wo nicht zwingend Gefahr für Leib und Leben besteht", ergänzte Buschmann.

Ralf Bosen, Redakteur
Ralf Bosen Autor und Redakteur