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Eskalation im Donbas

Juriy Scheiko/js19. August 2015

Die Kämpfe in der Ostukraine flammen wieder auf. Trotz der Eskalation sind sich Militärexperten einig: Bisher weist nichts auf die Vorbereitung einer groß angelegten Offensive hin. Moskau hat ein anderes Ziel.

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Kämpfe in Donezk (Foto: Igor Maslov/RIA Novosti )
Bild: picture-alliance/dpa/Ria Novosti/I. Maslov

In der Ostukraine haben sich die Kämpfe zwischen ukrainischen Regierungstruppen und prorussischen Rebellen in den letzten Tagen verstärkt. Die OSZE berichtet immer wieder von Verstößen gegen die Waffenruhe. Durch die tägliche Eskalation der Kämpfe im Donbas gibt es Gerüchte über die Möglichkeit einer groß angelegten Offensive auf ukrainische Stellungen. Aleksandr Turtschinow vom Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine spricht deshalb mittlerweile von "aktiven Kampfhandlungen". Laut Turtschinow bezeugen Informationen über die Stärke der prorussischen Separatisten und der russischen Truppen die "Vorbereitungen eines militärischen Eingriffs".

Ukrainische Armee wird getestet

Von der DW befragte Militärexperten sehen hingegen keinen Grund, von den Vorbereitungen einer Offensive zu sprechen. "Aus militärischer Sicht sind diese kleinen Angriffe und der Beschuss eine Provokation oder besser gesagt nur ein Test, wie schnell die ukrainischen Truppen an verschiedenen Stellen der Front darauf reagieren können", erklärt Gustav Gressel vom Europäischen Rat für Auslandsbeziehungen.

Laut Gressel seien aber die russischen Truppen an der Grenze zur Ukraine jederzeit bereit für eine groß angelegte militärische Offensive. "In der Region um Rostow am Don gibt es 40.000 Soldaten, die - falls erforderlich - in den Donbas einmarschieren oder eine Offensive der Separatisten unterstützen könnten", so Gressel. Momentan gebe es aber noch keinen klaren Plan, wo, wie weit und unter welchen Umständen eine neue Offensive vorgenommen werden könnte.

Dmitrij Tymtschuk, Leiter des "Zentrums für militärische und politische Forschungen", stimmt Gressel zu. Laut Tymtschuk bezeugten die Ereignisse an der Front in diesem und im vergangenen Jahr, dass den Kern der groß angelegten Offensiven immer die bewaffneten russischen Streitkräfte bildeten. "Das war auch im letzten Jahr in Ilowajsk und in Debalzewe so", bemerkt Tymtschuk. Damals kesselten prorussische Separatisten und russische Streitkräfte ukrainische Soldaten und freiwillige Kämpfer in der Kleinstadt Ilowajsk ein. 200 von ihnen kamen Ende August 2014 dabei ums Leben. In Debalzewe kam es trotz des Minsker Abkommens in diesem Jahr zu Kämpfen, bei denen die ukrainische Armee gezwungen war, sich aus der Stadt zurückzuziehen. Seitdem steht Debalzewe unter der Kontrolle der Separatisten.

Karte Ostukraine
Die Regionen Donezk und Luhansk in der Ostukraine sind Schauplätze der Kämpfe

Keine "massenhafte Einreise" russischer Truppen

"Bei solchen Offensiven fuhren die russischen Truppen in die Ukraine, erfüllten den Kampfeinsatz und wurden direkt wieder auf russisches Territorium abgezogen", erklärt Tymtschuk. Momentan könne aber nicht die Rede von einer "massenhaften Einreise" russischer Truppen in die Ukraine sein.

Gustav Gressel weist darauf hin, dass Russland seine Ziele in der Ukraine nicht erreicht habe: "Die Regierung in Kiew hat sich nicht geändert, wirtschaftlich gesehen funktioniert das Land noch und die westliche Unterstützung läuft nach wie vor." Laut Gressel genössen nicht nur die prorussischen Gruppen kaum noch den Rückhalt der ukrainischen Bevölkerung, auch Moskau verliere unter den Bewohnern der separatistisch kontrollierten Gebiete die Unterstützung. "Für Russland ist es sehr schwierig, eine groß angelegte Offensive mit dem Ziel eines Sieges in der Ukraine zu realisieren. Dafür gibt es momentan nicht genug Voraussetzungen", glaubt der Experte.

Moskau könne außerdem den Konflikt im Donbas nicht auf Eis legen, da die sogenannten Donezker und Luhansker Volksrepubliken ihre Existenz nicht selbstständig halten könnten. Doch auch in Russland sei die wirtschaftliche Lage alles andere als gut. Deshalb, so Gressel, wolle der Kreml die Aufmerksamkeit des Volkes auf den "großen Krieg gegen die Faschisten" lenken, wovon im russischen Fernsehen in Bezug auf die Ukraine-Krise häufig die Rede ist. Aber gleichzeitig führe das zur Verlängerung der Sanktionen des Westens. In Brüssel verstärke sich dadurch außerdem die Frage nach einer Unterstützung der Ukraine mit Waffen oder der Ausbildung von Soldaten.

"Georgisches Szenario"

Gressel ist der Meinung, dass der Kreml versuche, ein georgisches Szenario zu kreieren. Im Kaukasuskrieg trug Russland auch maßgeblich zu einer Eskalation des Konfliktes in Georgien bei. "Mit den ständigen Provokationen und Kämpfen versucht Moskau die Ukraine aus dem Gleichgewicht zu bringen und einen Angriff zu fördern", warnt der Experte und vermutet, dadurch könne die Bereitschaft des Westens, Kiew zu unterstützen, ins Wanken geraten. "Ich sehe für die Ukraine zurzeit keine andere Möglichkeit, als die Provokationen auszuhalten und ihnen nachzugeben, auch wenn es schmerzhaft sein mag", rät Gressel.

Kämpfe in Mariupol (Foto: EPA/SERGEY VAGANOV +++(c) dpa - Bildfunk)
Auch hier in Mariupol schweigen die Waffen nichtBild: picture-alliance/dpa/S. Vaganov

"Der Anstieg der Kämpfe zuletzt hat gezeigt, dass die Waffenruhe aus dem zweiten Minsker Abkommen nicht eingehalten wird", fügt Nicholas Redman vom britischen "Internationalen Institut für strategische Studien" hinzu. Denn die aktuelle Gewalt mache deutlich: Auch wenn die Militärexperten keine groß angelegte Offensive erwarten, ist von einem Waffenstillstand keine Spur.