Kenianisch-deutscher Perspektivenwechsel
29. April 2014Eine Zeit lang hat Christine Bukania Kinder unterrichtet. Eine wichtige Aufgabe sei das gewesen, sagt die 35-Jährige, aber sie wollte mehr. Nämlich dort Schulen aufbauen, wo es vorher keine gab und nicht nur mit den Kleinen, sondern auch mit den Frauen des Dorfes arbeiten. Deshalb bewarb sie sich beim Deutschen Entwicklungsdienst DED, der damals noch nicht der GIZ angegliedert zwar. "Die haben mich genommen, weil ich Deutsch konnte", lacht sie. Gelernt hat sie die Sprache nicht etwa, weil sie ihr so am Herzen lag, sondern weil an der Uni keine andere Fremdsprache angeboten wurde.
Unterschiedliche Erwartungshaltungen
Vorstellig wurde Christine Bukania bei der deutschen Organisation eigentlich nur, weil sie eine Abhandlung über den Zusammenhang von Entwicklungsarbeit und Kultur schreiben wollte. Bei ihrem neuen Arbeitgeber stellte sie sich als frisch gebackene Programmassistentin nicht nur jeden Tag neuen Herausforderungen, sondern sah sich auch als wissenschaftliche Forscherin. "Ich meine, seit ewigen Zeiten gibt es bei uns in Afrika ausländische NGOs, aber im Endeffekt tut sich nicht viel", erklärt sie. "Ich wollte wissen, ob Ideen von außen oft nicht genommen werden, weil eben Kulturunterschiede ins Spiel kommen."
Ihr Fazit war ernüchternd: Von Anfang an gingen beide Parteien mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen aufeinander zu. Die Entwicklungshelfer jammerten, man höre ihnen nicht zu und die Einstellung der Einheimischen zur Arbeit sei – nun ja- doch ziemlich bescheiden. Die Afrikaner wiederum erzählten ihrer Landsmännin freimütig, die Ausländer stempelten sie mit einer gewissen Arroganz meist als faul und langsam ab. Kein Wunder, so Bukania, dass selbst gute Ideen oft zum Scheitern verurteilt seien, denn das Verhältnis sei vom ersten Tag an verdorben: "Beide Seiten sind in ihrer Kultur verfangen und gehen nicht genug auf den anderen ein."
Neue Blickwinkel
Auch aufgrund dieser Ergebnisse ist sie nach Deutschland gekommen - und das gleich mehrmals: mit einem DAAD-Stipendium, dann mit einem der GIZ und schließlich als Teilnehmerin der International Media Studies bei der DW. Es sei wichtig, andere Länder und Sitten kennenzulernen, betont sie. "Wenn man im System eingebunden ist, verfällt man in einen gewissen Trott. Aus der Distanz gewinnt man neue Blickwinkel und betrachtet sich selbst und seine Arbeit ganz anders."
So ein Perspektivenwechsel könne nur von Vorteil sein, meint Christine Bukania schon fast philosophisch. "Eigentlich ist das die wichtigste Erfahrung für mein Leben, die ich aus Deutschland mit in meine Heimat genommen habe. Ich bewundere die jungen Leute hier, die viel reisen und sehen wollen, was hinter dem Horizont liegt." In ihrer Kultur seien die Menschen eher sesshaft, dabei könne man beim Reisen soviel lernen über andere – aber vor allem über sich selbst und seine Vorurteile.
Essen aus der Dose
Christine Bukania war neugierig auf Deutschland, sie freute sich, dass organisatorische Dinge gut klappen und dass sie viel online erledigen konnte. Sie studierte eifrig, klapperte Sehenswürdigkeiten ab, besuchte Kinos und Kneipen und tanzte in Discos.
Deutschland hatte allerdings so einige Herausforderungen für die resolute Afrikanerin. Zum Beispiel abgepacktes Fleisch im Supermarkt mit einem zweiwöchigen Verfallsdatum. "Bei uns kaufe ich es auf dem Markt und nach drei Tagen wird es schlecht, und hier soll das Fleisch zwei Wochen halten? Das glaube ich nie im Leben", ekelt sie sich. Überhaupt das Essen, Gemüse in Folie eingeschweißt und Ananas aus der Dose?
Konfrontiert mit Pauschalurteilen
Irgendwann kam das Heimweh. "Früher habe ich gesagt, Ausländer dürfen sich in der Fremde nicht nur mit ihren Landsleuten umgeben, heute kann ich sie verstehen." Auch wenn man lange in Deutschland wohne, sei es nicht einfach, Teil der deutschen Kultur zu werden. "Man hat immer ein bisschen das Gefühl des Außenseiters."
Mit Rassismus habe das nichts zu tun, betont die Kenianerin, sie sei nie offen diskriminiert worden. Es sei eher so eine Grundhaltung voller Vorurteile, mit denen sie immer wieder konfrontiert wurde. Zum Beispiel im Wohnheim, wenn deutsche Studierende ihr unbedingt ihre Sicht über Afrika aufdrängen wollten: "Wenn ich schöne Dinge über Kenia erzählt habe, hieß es oft: Mag ja sein, aber bei euch herrscht so große Armut, und viele sterben an Aids." Wenn sie argumentierte, dass es wie überall arme und reiche Leute gebe, interessierte das ihre Gesprächspartner selten. "Stattessen hörte sie oft: "Du musst doch froh sein, hier zu sein; in Europa geht es dir doch viel besser."
Zukunftsträume
Christine Bukania hat sich vorgenommen, gegen solche Pauschalurteile anzukämpfen – in Deutschland genauso wie in ihrer Heimat, denn auch dort gibt es vorgefertigte Meinungen. Sie hat für deutsche Dienste gearbeitet, aber auch für die britische NGO Oxfam und die Aga Khan Foundation.
Mittlerweile träumt sie immer öfter von einer selbstbestimmten NGO, in der sie revolutionäre Sachen umsetzen kann. "Leider ist man bei der Finanzierung immer auf ausländische Sponsoren angewiesen und macht dann doch wieder, was denen vorschwebt", bedauert sie.
In Deutschland hat Christine Bukania viel über Management, Organisation und Öffentlichkeitsarbeit gelernt. Davon profitiert sie jetzt und ist sich sicher, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie ihren eigenen afrikanischen Entwicklungsdienst auf die Beine stellen wird. Bis dahin arbeitet sie ehrenamtlich beim "Environmental Governance Institute" in Kamerun, einer Umweltinitiative. "Die Organisation ist noch jung und versucht, althergebrachte Denkweisen über Entwicklungsarbeit zu ändern", lacht sie. "Das ist ganz in meinem Sinne."