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Johanna Omolo: "Bleibt in Afrika!"

Matthias Frickel
25. Februar 2021

Viele Kinder in Afrika träumen von einem Leben als Fußballprofi in Europa. Kenias Nationalspieler Johanna Omolo möchte Talente in Afrika ausbilden. Mit einer Fußballschule schafft er in seiner Heimat neue Perspektiven.

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Belgien Mechelen  | Fussball | Johanna Omolo
Bild: Maarten Straetemans/Pro Shots/Imago Images

Omolo: Traumziel Europa?

"Nichts Gutes kommt aus Dandora", so klingt es Johanna Omolo noch heute in den Ohren. Dandora, ein Außenbezirk von Nairobi, wird beherrscht von der größten Müllhalde Kenias. Hier ist der kenianische Nationalspieler aufgewachsen. "Der Gestank ist nicht auszuhalten", erinnert sich Omolo. "Ich habe nur drei Minuten von der Müllhalde entfernt gewohnt. Direkt daneben haben wir Fußball gespielt. Den Ball haben wir uns aus den Plastiktüten vom Müll gemacht."

Die meisten seiner Freunde gingen direkt vom Fußball zum Müllplatz, um dort Verwertbares zu finden, das sie weiterverkauften. Die meisten schlossen sich Gangs an, um ihre Familien zu ernähren. Dutzende sind in Bandenkriegen gestorben.

Kenia Nairobi | Dandora Slum | Mülldeponie
Leben auf und vom Müll: Kinder suchen auf der Deponie von Dandora nach Verwertbarem Bild: Ben Curtis/AP Photo/picture-alliance

"Viele Familien leben hier von weniger als einem Dollar am Tag", sagt Omolo: "Du konntest nur zwischen Fußball und Kriminalität wählen. Ich hatte Glück, weil ich beim Fußball geblieben bin." 

"Nur vier oder fünf aus 6000" 

Mit 17 verließ Johanna Omolo seine Heimat, um in Europa als Fußballprofi Geld zu verdienen und seine Familie zu unterstützen. Belgien, Luxemburg, und jetzt die Türkei sind die Stationen seiner inzwischen 14-jährigen Karriere in Europa. Der 31-Jährige ist sich bewusst, dass er viel Glück hatte: "Von 6000 Kids, die jedes Jahr aus Afrika nach Europa kommen, um Fußballprofi zu werden, schaffen es nur vier oder fünf." 

Die Talente, die es nicht in den bezahlten Fußball schaffen, versuchen in Europa zu bleiben und schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch. Zu groß ist die Scham, als Verlierer in die Heimat zurückzukehren. Das beschäftigt auch Ernest Yeboah Acheampong von der University of Education in der ghanaischen Stadt Winneba. Als Jugendlicher in Ghana träumte auch er von einer Profi-Karriere in Europa. Nach Jahren als Student, Researcher und Assistenz-Coach in Europa hat er vergangenes Jahr die Studie "African Footballers in Europe: Migration, Community, and Give Back Behaviours" herausgebracht. Dafür hat er mit etlichen afrikanischen Fußballern aus neun Ländern, darunter Stars wie Samuel Eto’o oder Abedi Pelé darüber gesprochen, wie sie seit den 80er Jahren ihren Weg nach Europa erlebt haben. 

Fußballer als "Ölquelle"

"Die meisten afrikanischen Spieler haben nur eine bescheidene Erziehung", sagt Acheampong im DW Interview. "Die Mehrheit von ihnen sind Schulabbrecher." Ein prominentes Beispiel ist Ghanas U-19-Weltmeister Nii Odartey Lamptey - der weder lesen noch schreiben konnte, als er nach Europa kam und daher Schwierigkeiten hatte, den genauen Inhalt seiner Verträge zu verstehen. Über Jahre wurde er von seinen Agenten betrogen. 

In den 80er Jahren standen afrikanische Eltern einer Karriere als Fußballprofi noch skeptisch gegenüber, berichtet Ernest Yeboah Acheampong. Doch das änderte sich schlagartig, als Kamerun im Auftaktspiel der WM 1990 Titelverteidiger Argentinien um Superstar Diego Maradona 1:0 besiegte und erst im Achtelfinale scheiterte.

Fußball-WM 1990 Kamerun
Die Kameruner um Star-Spieler Roger Milla rückten Afrikas Fußball bei der WM 1990 in den Fokus Bild: picture-alliance/dpa

Danach gewannen mit Ghana und Nigeria erstmals Teams aus Afrika den U-19-WM Titel. Auf einmal konnte man in den meisten Ländern Afrikas afrikanische Spieler im TV bei großen Klubs in Europa spielen sehen. Spielervermittler aus Europa suchten auf dem afrikanischen Kontinent nach den besten Talenten. In Mali gibt es seitdem das Sprichwort: "Einen Fußballer in der Familie zu haben ist wie eine Ölquelle."

Doch mit dem Wechsel nach Europa ist auch die Verpflichtung verbunden, allen, die einem auf dem Weg geholfen haben, der eigenen Familie, der Community, etwas zurückzugeben. "Das ist keine freiwillige Sache. Sie müssen das tun, weil sie in sich fühlen, dass sie auf vielerlei Weise unterstützt wurden", sagt Acheampong. Wer sich nicht an dieses ungeschriebene Gesetz halte, werde "zurückgewiesen, angegangen, als undankbar gebrandmarkt oder von der Gesellschaft lächerlich gemacht". 

"Denken kannst Du nur in der Schule lernen" 

Auch Johanna Omolo spürte diese Verantwortung und beschloss 2017 zu handeln. Er rief die Johanna-Omolo-Foundation ins Leben, eine Stiftung, die Kindern und Jugendlichen in Dandora mit Hilfe des Fußballs eine Perspektive gibt. Jedes Kind soll zur Schule gehen. Daher unterstützt die Stiftung arme Familien mit Schuluniformen und verteilt regelmäßig Binden an 500 Schülerinnen, damit sie während ihrer Regel nicht zu Hause bleiben  müssen. Andererseits betreut die Stiftung eine professionelle Fußballakademie, um Talente - Jungen und Mädchen - so zu fördern, dass sie später Profis werden können. Klappt das nicht, haben sie zumindest eine so gute Schulausbildung, dass sie auch einen anderen Job ergreifen können. 

Kenia Dandora  | Kinder beim Johanna Omolo Cup I-IV
Zweimal in der Woche trainieren die Kinder in Dandora - dazu gibt es Spiele und TurniereBild: Johanna Omolo Foundation

Johanna Omolo geht es aber um mehr als die Kids in seinem Heimatort. Wie elf weitere afrikanische Spielerinnen und Spieler ist er 2019 der Initiative Common Goal beigetreten, der insgesamt rund 150 Profis aus aller Welt angehören. Sie spenden ein Prozent ihrer Gehälter für soziale Fußball-Projekte: "Was könnte es Besseres geben, als zusammen mit all den Profis zu versuchen, Fußball für alle zu machen."

"Mir hat man damals gesagt, dass Jungs, die Fußball spielen, nichts in der Schule lernen müssen. Aber als ich nach Europa kam, wurde mir klar, dass das nicht stimmt", bekennt Johanna Omolo. "Du musst smart sein, du musst die Taktik verstehen. Und Denken kannst du nur in der Schule lernen." Im entscheidenden Alter zwischen zwölf und 16 fehlt es afrikanischen Talenten häufig an professionellem Fußballtraining. Seine Academy soll das leisten, was man sonst nur aus Europas Fußballschulen kennt: Talente durch Taktik zu angehenden Profis schulen. 

"Fußball ist eine Wissenschaft geworden" 

"Afrikanische Spieler haben ein ursprüngliches Talent, sind aber oft nicht gut organisiert, taktisch nicht diszipliniert", beklagt auch Edwin Acheampong. "Fußball ist inzwischen eine Wissenschaft geworden." In weiten Teilen Afrikas fehlten Standards für professionelle Fußballakademien, sagt Acheampong

Er sieht die Schuld bei den Afrikanischen Verbänden, die zu wenig Kontrolle ausübten. "Wie behandeln sie ihre Talente? Wie transparent sind sie? Wollen sie einfach nur Geld verdienen?" Viele Academies in Afrika arbeiteten unseriös. Eltern und Verwandte zahlen Unsummen, in der Hoffnung, dass ihre Kinder eines Tages in Europas Topligen spielen und viel Geld nach Hause bringen.

Aufgrund der Corona Pandemie können zur Zeit weniger afrikanische Talente nach Europa kommen. Acheampong sieht darin die Chance umzudenken: "Vielleicht steckt etwas Glück im Unglück für die afrikanischen Verbände und die Fußball-Industrie, dass sie jetzt überdenken, wie sie die Ligen in den unterschiedlichen Ländern positionieren wollen." 

Afrika als Perspektive 

Johanna Omolo rät afrikanischen Talenten, möglichst in der Heimat zu bleiben: "Wir versuchen zu Hause eine Struktur aufzubauen. Viele der Kids werden es schaffen, hier ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Und es ist hier einfacher als in Europa", sagt er. "Aber natürlich ist es schwer, wenn die Kids mich in Europa sehen, sagen sie: Aber du hast es doch auch geschafft."

Doch dass das Fußballerleben als afrikanischer Profi in Europa nicht immer einfach ist, bekommt Johanna Omolo gerade hautnah zu spüren. Seit Mitte Januar steht er beim ostanatolischen Klub Erzerumspor in der türkischen Süper Lig unter Vertrag. Sein erstes Match auf rund 1700 Metern Höhe spielte er bei -15 Grad. Er lebt jetzt 4000 Kilometer von seiner Familie in Brügge entfernt.

Trister Alltag im Leben eines Fußball-Legionärs. Und erst wenn Erzerumspor die Liga halten sollte, werden seine Frau Gladys und die beiden Kinder im Sommer in die Türkei nachkommen.