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Kenias Vizepräsident vor Gericht

Philipp Sandner10. September 2013

William Ruto muss sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. Trotzdem bleibt Kenias Nummer Zwei für viele Kenianer ein charismatischer Anführer.

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William Ruto im Gerichtssall beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (Foto: MICHAEL KOOREN/AFP/Getty Images)
Bild: Michael Kooren/AFP/Getty Images

Der Prozess gegen William Ruto am Internationalen Strafgerichtshof hat begonnen. Anstiftung zu Mord, Vertreibung und Verfolgung - so lautet die Anklage gegen Kenias Vizepräsidenten, die Chefanklägerin Fatou Bensouda am Dienstag (10.09.2013) im niederländischen Den Haag verlas. "Unschuldig", plädierte Ruto daraufhin. Nun wurde sein Prozess auf den 17. September vertagt. Der stellvertretende Präsident Kenias muss sich in Den Haag für seine mutmaßliche Mittäterschaft bei den blutigen ethnischen Zusammenstößen nach den Präsidentschaftswahlen vom Dezember 2007 verantworten.

Damals hatten sich die damaligen Kontrahenten Ex-Präsident Mwai Kibaki und Raila Odinga um den Wahlsieg gestritten und das Land damit in die größte Krise seiner rund fünfzigjährigen Geschichte gestürzt. Rund 1200 Menschen starben, als die ethnischen Gruppen der beiden Kandidaten aufeinander losgingen, aufgehetzt durch deren politische Vertreter. Dazu gehörte mutmaßlich auch Ruto: Der einflussreiche Parteifunktionär unterstützte damals Odinga.

Wille zur Macht

Dass Ruto der Prozess gemacht werden würde, verkündete der Internationale Strafgerichtshof im März 2012. Die Nachricht platzte mitten in die parteiinternen Vorbereitungen für die Präsidentschaftswahlen im April 2013. Ruto galt da bereits als aussichtsreicher Kandidat. Ein Prozess mit derart großer internationaler Aufmerksamkeit kam alles andere als gelegen, zumal die kenianische Verfassung persönliche Integrität voraussetzt. Doch das Hohe Gericht Kenias gab trotzdem grünes Licht und akzeptierte Rutos Bewerbung.

Kenianer hält vor flammenden Straßen in Nairobi ein Schild mit Aufschrift 'Kein Raila - kein Frieden in Kenia' in die Höhe (Foto: AFP/getty images).
Ruto soll 2008 gewaltbereite Anhänger von Raila Odinga unterstützt habenBild: Getty Images

Der tat sich daraufhin mit seinem ehemaligen Erzfeind Uhuru Kenyatta für eine Kandidatur zusammen. Kenyatta hatte 2007 zu den Unterstützern von Ex-Präsident Kibaki gehört und ebenfalls mutmaßlich Angehörige seiner Ethnie aufgehetzt. Am Ende gewann das Duo Ruto-Kenyatta die Wahlen. Kenyatta wurde Präsident, Ruto sein Vize. Nun müssen sich beide vor dem Strafgerichtshof in Den Haag verantworten. Kenyattas Prozess beginnt am 12. November.

Vom Snackverkäufer zum Vize-Präsidenten

Der 46-jährige Ruto gilt in seiner Heimat als charismatischer Führer, als klassischer "Self-made man", der das geschafft hat, wovon viele arme Kenianer träumen: In bescheidenen Verhältnissen im Nordwesten des Landes aufgewachsen, schaffte er den sozialen Aufstieg, auch dank harter Arbeit und guter Schulnoten. "Es ist kein Geheimnis, dass Ruto nach der Schule Snacks an der Straße verkaufte, um seinem Vater zu helfen, die Schulgebühren zu bezahlen", sagt Josephat Magut, politischer Analyst in Kenia.

Auf seinem Weg nach oben bekam der junge Ruto Unterstützung von höchster Stelle. In Kenia erzählt man sich, dass der ehemalige Sekundarschullehrer den früheren Präsidenten Daniel Arap Moi bei einem Besuch in Rutos Schule kennenlernte. Moi war beeindruckt vom Charisma des jungen Lehrers und holte ihn in seine politische Jugendorganisation. Für ihn sollte Ruto bei den ersten freien Wahlen 1992 Stimmen unter den Jugendlichen zusammentrommeln. Heute ist der politische Ziehsohn Arap Mois Vize-Präsident Kenias. "Ruto weiß, was er will", sagt Karsten Dümmel von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kenia. Er habe es geschafft, sich in seiner ethnischen Gruppe einen Namen zu machen, was für den Erfolg in Kenia von großer Bedeutung sei.

Kenias damaliger Präsident spricht 1992 in Nairobi (Foto: AFP/getty images).
Kenias ehemaliger Präsident und Rutos politischer Ziehvater Daniel Arap MoiBild: AFP/Getty Images

Kirchenmann Ruto

Der steile Aufstieg habe dem heutigen Vizepräsidenten und sechsfachen Familienvater viele Sympathien eingebracht, sagt Dümmel. "Wenn sich jemand aus so ärmlichen Verhältnissen hochgearbeitet hat bis zum Vizepräsidenten, dann himmeln die Menschen ihn an." Dass auf dem Weg dahin auch Dinge geschehen seien, die aus der Sicht vieler Kenianer "nicht ganz sauber seien", so Dümmel, nähmen sie offenbar dafür in Kauf. "Wichtig ist für sie nur: Er hat es geschafft." Sympathiepunkte bekommt Ruto auch dank seines christlichen Glaubens: Bis heute ist er in einer Pfingstkirche aktiv. "Er lebt das - und das wird von den Kenianern wahrgenommen", so Dümmel. Als Ruto im Wahlkampf 2013 zu Besonnenheit aufrief, glaubten ihm viele Kenianer - trotz seiner mutmaßlichen Mitverantwortung für die blutigen Unruhen vor fünf Jahren.

Moralische Unterstützung bekommt Ruto in seinem Verfahren auch aus dem Regierungslager: Über hundert der insgesamt 349 kenianischen Abgeordneten wollen ihn nach Den Haag begleiten - auf eigene Kosten, beteuerte Koalitionsführer Aden Duale im kenianischen Fernsehen. "Es ist ihre Entscheidung, sie sind frei, dies zu tun", sagt der kenianische Jurist Haru Ndubi. Doch er gibt zu Bedenken: "Es könnte sein, dass sie dadurch der Arbeit im Parlament schaden. Sie sollten den Themen Vorrang geben, die im Interesse Kenias sind, anstatt William Ruto Deckung zu geben."

Kenias Präsidentschaftskandidat William Ruto Anfang 2013 bei einer Wahlveranstaltung (Foto: SIMON MAINA/AFP/Getty Images).
Ruto weiß die Massen zu begeisternBild: Simon Maina/AFP/Getty Images

Um seine politische Doppelspitze Ruto-Kenyatta vor möglichen weiteren Ermittlungen zu schützen, arbeitet das Parlament bereits an einem Ausstieg Kenias aus dem Strafgerichtshof. Ob das eine Hilfe ist für Ruto, ist fraglich. Es ist vielmehr eine deutliche Solidaritätsbekundung, denn auf die anstehenden Prozesse hat der Parlamentsbeschluss keine juristischen Auswirkungen. Ruto gibt sich unterdessen zuversichtlich: Den wartenden Journalisten am Flughafen in Nairobi gab er am Montag (09.09.2013) kurz vor der Abreise nach Den Haag ein "Daumen hoch"-Zeichen. Doch sein Kamera-Lächeln wirkte gezwungen.