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Kernkompetenzen deutscher Bildungspolitiker: kaffeesatzlesen und "pisacken"

17. Juni 2002

Über eine neue Pisa-Studie, in der die Bundesländer miteinander verglichen werden, ist heftiger parteipolitischer Streit entbrannt. Und das obwohl die "Pisa-Ergänzungsstudie" in knapp zwei Wochen veröffentlicht wird.

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Debatte um die Bildungspolitik: Kanzler Schröder, Bildungsministerin Bulmahn und der Ministerpraesident von Niedersachsen, GabrielBild: AP

Was haben Bildung und Fußball gemeinsam? So, wie jeder, der zweimal in seinem Leben unfallfrei gegen einen Ball getreten hat glaubt Bundestrainer sein zu können, so erhebt sich jeder zum Bildungspolitiker – weil er schließlich mal in die Schule gegangen ist. Und noch eine Gemeinsamkeit gibt es: Die wirklichen Bildungspolitiker in diesem Land gehen mit ihrem Thema in etwa so differenziert um, wie der durchschnittliche deutsche Fußballer mit seinem Spielgerät. Also: Es tut immer ein bisschen weh, das anzusehen – und das ist bei der neuen Pisa-Debatte wieder so: Am 27. Juni ist e-day; Pisa "E" wie Ergänzungsstudie, der Vergleich der Bundesländer. Und obwohl noch nichts genaues bekannt ist, feiern Unionspolitiker aus Bayern und Baden-Württemberg, die angeblich so große Qualität ihrer Schulen. Noch liegt kein Detail, nichts über das Abschneiden in den Kategorien, Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften auf dem Tisch und schon wird eine vage Agenturmeldung zur Politmunition eingeschmolzen. Es ist Wahlkampf – da sind differenzierte Analysen nicht gefragt – lieber im Nebel stochern und Punkte machen. Dabei gibt es kaum ein Thema, bei dem Umfragen und Statistiken kritischer hinterfragt werden müssten, zumal auch Pisa letztlich nur einen Ausschnitt der Bildungswirklichkeit zeigt und nicht das abschließende Urteil bilden darf. Das sei auch in Richtung der vermeintlich verantwortlichen Lehrer gesagt, die wieder einmal als die faulenzenden Schmarotzer schuldig am Untergang der großen deutschen Bildungsnation sind – mindestens.

So schief wie der Turm in der Toskana ist auch die Wahrnehmung des Problems. Wie sieht es mit der Migrantensituation in einem Bundesland aus? Wieviele soziale Brennpunkte gibt es, welche finanziellen Möglichkeiten hat ein Land? Das Stichwort Finanzen zeigt, wie komplex die Angelegenheit ist: Neben Bayern und Baden-Württemberg soll Sachsen in der Pisa-E-Studie ganz weit vorne liegen. Während Bayern sich rühmt, mehr Geld pro Schüler auszugeben als im Schnitt, hat Sachsen deutlich weniger Geld für jeden Schüler übrig. Wie geht das zusammen? Ein Paradox von vielen.

Jetzt über eine unveröffentlichte Studie zu streiten führt zu zweierlei: Wenn die wirklichen Fakten auf den Tisch kommen, werden sie keinen mehr interessieren und je mehr sich die politischen Lager gegenseitig mit nichtbekanntem Datenmaterial "pisacken"-dieser Kalauer sei erlaubt-, desto eher gehen die wirklichen wichtigen bildungspolitischen Fragen unter: Dort, wo jene Basiskommpetenzen erworben werden, um die es in der Debatte ja schließlich geht, in den Grundschulen, schneidet Deutschland international ganz schlecht ab. In Sachen Integration von Ausländerkindern hinkt das Land der Dichter und Denker genauso hinterher. Warum ist eigentlich die Lehrer-Lobby so stark, dass sie noch immer Ganztagsschulen verhindert? Und Willy Brandts bildungspolitischer Leitgedanke der 70er Jahre: "Bildung für alle" bleibt bis heute ein Gedanke: In keinem anderen Industrieland ist die soziale Herkunft so entscheidend für den Schulerfolg wie in Deutschland.

Das sind sie, die groben Fouls deutscher Bildungspolitik – über alles andere sollte man reden, wenn man etwas darüber weiß.