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Khaled el Masri und die deutsche Politik

Marcel Fürstenau13. Dezember 2012

Der US-Geheimdienst CIA verschleppte den Deutsch-Libanesen, weil er ihn für einen Terroristen hielt. Als sich der Verdacht als Irrtum entpuppte, sollte die Affäre vertuscht werden. Das gelang aber nur teilweise.

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Bayern/ ARCHIV: Der damals wegen Koerperverletzung angeklagte Khaled el Masri sitztim Landgericht in Memmingen im Verhandlungssaal (Foto vom 30.03.10). Das CIA-Entfuehrungsopfer Khaled el Masri ist in seinen Menschenrechten verletzt worden. Das hat der Europaeische Gerichtshof fuer Menschenrechte (EGMR) am Donnerstag (13.12.12) in Strassburg entschieden. Die mit 17 Richtern besetzte Grosse Kammer des EGMR gab der Beschwerde des Deutsch-Libanesen gegen Mazedonien statt. El Masri machte geltend, die Behoerden des Landes Mazedonien haetten durch ihre Mitwirkung an seiner Verschleppung und Misshandlung die Europaeische Menschenrechtskonvention verletzt. Der EGMR sah nun unter anderem einen Verstoss gegen das Folterverbot. (zu dapd-Text) Foto: Sebastian Widmann/dapd
EU Deutschland Menschenrechte Erfolg für El Masri vor MenschenrechtsgerichtshofBild: dapd

Knapp neun Jahre nach seiner Entführung durch die Central Intelligence Agency (CIA) ist Khaled el Masri zumindest materiell Wiedergutmachung zuteil geworden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sprach dem Libanesen mit deutschem Pass 60.000 Euro Schmerzensgeld zu. Mit diesem Urteil hat eine Affäre ihr juristisches Ende gefunden, in der mehrere Länder eine fragwürdige, oft sogar unrühmliche Rolle gespielt haben. Auch Deutschland ist in den Fall verstrickt.

Das Schmerzensgeld muss Mazedonien zahlen, wo El Masris leidvolle Odyssee Ende 2003 begann. Bei der Einreise in das südosteuropäische Land wurde der inzwischen 49-Jährige verhaftet. Ein paar Wochen später landete er an Bord einer CIA-Maschine in Afghanistan. Dort wurde er mehrere Monate festgehalten und seinen Angaben zufolge nicht nur verhört, sondern auch gefoltert. In den Augen der Amerikaner war el Masri ein gefährlicher Islamist. Ein Verdacht, der seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA schlimme Folgen haben kann - auch für Unschuldige wie El Masri.

Otto Schily wusste Bescheid, sagte aber nichts

Dass sich die Terrorjäger in seinem Fall geirrt hatten, erfuhr der damalige deutsche Innenminister Otto Schily (SPD) Ende Mai 2004 vom US-Botschafter in Berlin, Daniel Coats. Kurz zuvor war der vermeintliche Terrorist El Masri auf abenteuerliche Weise mitten in Albanien ausgesetzt worden. Von dort kehrte er an seinen Wohnort Neu-Ulm zurück. Die Öffentlichkeit erfuhr zunächst nichts über den abstrusen Fall. Erst im Dezember 2005 berichtete die "Washington Post" über das eineinhalb Jahre zurückliegende Gespräch zwischen Coats und Schily. In einem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages begründete der Sozialdemokrat später sein Schweigen damit, er sei von amerikanischer Seite um "absolute Vertraulichkeit" gebeten worden.

Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily, umringt von Journalisten, als Zeuge vor dem Geheimdienstuntersuchungsausschuss. (Foto: AP)
"Absolute Vertraulichkeit": Otto Schily im UntersuchungsausschussBild: AP

Neben Schily wurde auch dessen Parteifreund Frank-Walter Steinmeier als Zeuge im Untersuchungsausschuss zu El Masri befragt. Zum Zeitpunkt der Verschleppung war er Chef des Kanzleramtes und in dieser Funktion Geheimdienstkoordinator. Verstrickungen in die Affäre um den Deutsch-Libanesen wies Steinmeier zurück. Aufschlussreich waren seine Ausführungen zum weltweiten Anti-Terrorkampf. Nach dem 11. September 2001 gab es unter anderem die verheerenden Anschläge in Madrid im März 2004 und London im Juli 2005. Auch für Deutschland galt eine latente Terrorgefahr. Manchmal seien deshalb schwere Entscheidungen notwendig gewesen, sagte Steinmeier Ende 2008 im Untersuchungsausschuss. Aber er könne versichern, sie seien "im Rahmen der rechtsstaatlichen Befugnisse und Grenzen getroffen worden".

Sonderermittlungen zu US-Geheimflügen

Ob deutsche Behörden von illegalen Praktiken der USA wussten oder sie gar unterstützten, war immer wieder Thema im Geheimdienst-Untersuchungsausschuss. Neben Steinmeier und Schily musste auch Wolfgang Schäuble als Zeuge aussagen. Der Christdemokrat war Schilys Nachfolger im Innenressort. Er wollte seinerzeit nicht ausschließen, dass es in Deutschland zu geheimen Flügen US-amerikanischer Maschinen gekommen sein könnte. Dass es sie in mindestens zwei Fällen 2001 und 2003 gegeben hatte, stellte ein Sonderermittler des Untersuchungsausschusses fest.

Der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier antwortet auf Fragen von Journalisten. (Foto: AP)
"Im Rahmen des Rechtsstaates": Frank-Walter SteinmeierBild: AP

Tatenlos blieb die deutsche Politik aber keinesfalls, und auch die Justiz ermittelte im Zusammenhang mit mutmaßlichen Geheimflügen und der Verschleppung Khaled el Masris. Das Begehren der Bundesregierung, 13 mit Haftbefehl gesuchte CIA-Agenten auszuliefern, war jedoch aussichtslos. Amerikanische Behörden hätten signalisiert, dem Wunsch aus Sicherheitsgründen nicht nachzukommen, sagte die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) im Sommer 2008 vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss.

Europarat beklagt Menschenrechtsverletzungen

Auch auf europäischer Ebene spielte der Deutsch-Libanese El Masri schon früher eine Rolle. Im Auftrag des Europarates recherchierte der ehemalige Schweizer Staatsanwalt Dick Marty. Im Mittelpunkt standen Gerüchte über Geheimgefängnisse der USA unter anderem in Polen und Rumänien und die Geheimflüge. Martys Fazit 2006, nachdem er mit rund 30 Informanten gesprochen hatte: Die USA und ihre Verbündeten in Europa hätten im Anti-Terrorkampf massiv gegen Menschenrechte verstoßen.

Sechs Jahre später bestätigte nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Beispiel Khaled el Masris, dass der Vorwurf absolut berechtigt war. Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele, Obmann seiner Fraktion im Geheimdienst-Untersuchungsausschuss, forderte die CIA auf, sich bei El Masri zu entschuldigen. "Und die USA müssen ihm Schmerzensgeld für das erlittene Unrecht zahlen", ergänzte Ströbele.