"Kim war Gewinner des Gipfels"
12. Juni 2018Deutsche Welle: Wer ist in Ihren Augen der Gewinner der ersten Begegnung zwischen Donald Trump und Kim Jong Un?
Chen-shen Yen: Natürlich war es Nordkorea.
Warum?
Die USA haben in Singapur ihre Bereitschaft zur Normalisierung der Beziehungen mit Nordkorea signalisiert. Gleichzeitig verzichteten die USA auf die Forderung nach einem vollständigen, verifizierbaren und irreversiblen Abbau der nordkoreanischen Atomrüstung, in Fachkreisen als CVID abgekürzt. Kim und Trump haben nur erklärt, auf das Ziel der "vollständigen De-Nuklearisierung" hinzuarbeiten. Die Tragweite dieser Formulierung ist mir nicht ganz klar.
Haben die USA zu große Kompromisse gemacht, weil die Formulierung CVID nicht auftauchte?
Das glaube ich schon. Die umstrittenen Punkte standen in Singapur auf der Tagesordnung. Trump muss von seinem Charisma sehr überzeugt gewesen sein, um die vage Formulierung in der Abschlusserklärung als Erfolg auf dem Weg zu Nordkoreas umfassender Atomabrüstung zu verkaufen. Offensichtlich wollte er sich nicht zu sehr in die Details vertiefen, um das freundliche Klima zwischen ihm und Kim zu vergiften. So ging er auch Fragen zu den Menschenrechtsverletzungen aus dem Weg.
Werden Nordkorea und die USA bald diplomatische Beziehungen aufnehmen?
Zunächst muss der Kriegszustand offiziell für beendet erklärt werden, was ja in einen Friedensvertrag münden wird. Unterschreiben müsste neben den USA und Nordkorea auch Festland-China. Erst dann steht der Aufnahme diplomatischer Beziehungen nichts mehr im Wege.
Wird Nordkorea wirklich wie versprochen auf Atomwaffen verzichten?
Es kommt auf die Gegenleistungen an, die Nordkorea in Aussicht gestellt werden. Der erste Schritt wäre die Aufhebung der Sanktionen. Falls die internationale Gemeinschaft auch noch Entwicklungshilfe leisten würde, wäre der Anreiz zu nuklearer Abrüstung noch größer.
Waren sie davon überrascht, dass Trump den Stopp der Militärübungen mit Südkorea ankündigte und die Aufhebung der Sanktion in Aussicht stellte?
Über Nacht werden die Militärübungen nicht eingestellt werden können. Trump könnte als Übergangslösung den Umfang der Manöver reduzieren, bei denen die nordkoreanische Armee nicht länger als Gegner simuliert würde. Auch die mehr als 30.000 in Südkorea stationierten US-Soldaten könnten schrittweise nach Hause geholt werden.
Welche Rolle hat die VR China im Hintergrund gespielt?
Ich kann mir gut vorstellen, dass China gegenüber Nordkorea Sicherheitsgarantien gegeben oder Rüstungshilfe für den Fall versprochen hat, dass es sich die USA anders überlegen. Das hat Kim in Singapur sein Selbstvertrauen gegeben. Rückblickend müssen wir heute feststellten, dass China die Kontrolle über Kim Jong Un und sein Regime nie verloren hat. Vor dem Treffen am Dienstag war Kim zwei Mal mit Chinas Präsident Xi Jinping zusammengetroffen. Dies zeigt, dass China den außenpolitischen Kurs Nordkoreas beeinflussen kann und wird.
Das Interview führte Phoebe Kong in Taipeh.
Yen Chen-shen ist Politologe und Professor am Institute of International Affairs an der National Chengchi University in Taiwan.
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