Kinos im Zelt
29. Juni 2009Ludwigshafen hat sich erstaunlich schnell einen festen Platz im Kreis der Filmfestivals, die sich speziell dem deutschen Kino widmen, erobert. Neben Saarbrücken, München und Hof ist die Veranstaltung in Ludwigshafen inzwischen etabliert. Weniger um ein ausuferndes Programm mit diversen Nebenreihen und pompösen Sonderveranstaltungen ging es den Programmmachern, als vielmehr darum, dem Publikum einen kompakten Überblick über das deutsche Filmschaffen der letzten Monate zu verschaffen. 22 Filme wurden gezeigt, je zur Hälfte im Wettbewerb und in einer einzigen Nebenreihe. Ein wenig Prominenz holte man sich mit einem Sonderpreis ins Boot, in diesem Jahr schmückte Hannelore Elsner das Festival.
Deutsches Kino im Mittelpunkt
Dass das Kinofest im ansonsten wenig ansehnlichen Ludwigshafen stattfand, hat mit dem Hauptgeldgeber zu tun, dem nur ein paar Hundert Meter weit entfernt residierenden Chemieriesen BASF. Sozusagen als Ausgleich hatte man sich dafür eine idyllisch gelegene Rheininsel als Festivalquartier ausgesucht, dort ein paar große Zelte aufgebaut - und so ist eine Mischung aus Kino-Woodstock und Cineasten-Treff mit Bistros und Chill-Out-Zonen entstanden. Das hatte Atmosphäre und Charakter, auch wenn man sich während der Vorstellungen in den Zelten manchmal richtige Kinosessel herbeisehnte. Dafür verliehen munteres Vogelgezwitscher von den Bäumen ringsumher sowie starke Winde vom Rhein dem jeweiligen Filmgeschehen einen ganz eigenen Charme.
22 Filme aus neuester Produktion
Das Konzept, das die vom traditionsreichen Mannheimer Filmfest geschulten Festivalmacher vor fünf Jahren für den kleinen deutschen Ableger ausgearbeitet haben, ist denkbar einfach. 22 Filme aus Deutschland, die das Auswahlteam in den letzten Monaten am meisten überzeugt haben, wurden gezeigt. Das führte natürlich auch dazu, dass subjektiver Geschmack das Programm dominiert. Um eine vorherige Kinoauswertung kümmerte man sich nicht. Bereits bekannte Filme wie "Alle Anderen", "Der Architekt" oder "Diese Nacht" waren zu sehen, daneben aber auch einige deutsche Premieren und Uraufführungen.
Unterhaltung fürs große Publikum
"Frau Böhm sagt Nein" wurde vom Festival als "Der Film zur Krise" angekündigt. Senta Berger spielt dort die Buchhalterin eines mittelständischen Unternehmens, die sich gegen überhöhte Bonuszahlungen des Managements auflehnt. Regisseurin Connie Walther hat daraus einen konventionellen, aber warmherzigen Film gemacht. Auch "Haus und Kind" von Routinier Andreas Kleinert und "Mensch Kotschie" von Norbert Baumgarten (beide Produktionen zeigen Stefan Kurt zwischen zwei Frauen in der Midlife-Crisis) sind Filme, die mit bekannten Fernsehstars auftrumpfen, eher auf Unterhaltung denn auf Innovation setzten.
Mutige Debütantenfilme
Interessanter dagegen fielen Produktionen wie "Liebeslied" von Anne Hoegh Krohn und "Weitertanzen" von Friederike Jehn aus. Erzählt der eine eine an sich traurige Geschichte (das Thema Parkinson-Syndrom verpackt in einem Musicalkleid), versucht sich Jehns Filmdebüt an einem Mix aus Melodrama, Gesellschaftssatire und Komödie. Die Regisseurin skizziert die Leiden einer jungen Frau, die am eigentlich "schönsten Tag des Lebens" – ihrem Hochzeitsfest - mit bitteren Realitäten konfrontiert wird und sich Fragen stellt: ist der Ausgewählte wirklich der Richtige? Oder soll sie doch lieber in die Arme des verblichenen wilden Ex-Freundes flüchten? Auch der Jury gefiel "Weitertanzen" am besten. Sie verlieh dem Film den mit 50.000 Euro dotierten Hauptpreis.
Das Festival als Spiegelbild des Alltags
Das deutsche Kino erlebt derzeit eine Hochphase, was sich zunächst besser anhört als es tatsächlich ist. Denn allein ein zufriedenstellender Prozentanteil am Kino-Einspielkuchen macht zunächst einmal nur ein paar Produzenten und Stars vom Schlage eines Til Schweiger glücklich. Ob das wirklich für den deutschen Film spricht, darüber läßt sich streiten. Eine Menge junge, unkonventionelle Filme, die auch Chancen beim Publikum hätten, bleiben dagegen im normalen Kinoalltag auf der Strecke. Der durchaus mit kommerziellem Potential ausgestattete "Weitertanzen" zum Beispiel bemüht sich seit längerem um einen Kinoverleih, doch bis auf sporadische Einsätze in einzelnen Kinos (Anfang Juli ist der Film in Berlin zu sehen), hat man es (noch) nicht geschafft.
Es fehlt an Kinoinfrastruktur
Umso wichtiger sind Festivals wie das in Ludwigshafen. Wer live vor Ort miterlebt, wie die Filme vom Publikum angenommen werden, wer das Interesse der Zuschauer an den Gesprächen mit Regisseuren und Schauspielern erlebt, der ist schon überrascht. Kein Til Schweiger wird hier umjubelt, es sind häufig Regiedebütanten und völlig unbekannte Gesichter, die im Mittelpunkt stehen. Was lehrt uns das? Mit einem entsprechenden Rahmen kann man Zuschauer ansprechen, die sonst solche Filme links liegen lassen oder erst gar nicht registrieren. Genauso wichtig wie Ideen, junge Regisseure und die vielen talentierten Schauspieler ist eine entsprechende Kino-Infrastruktur. Da besteht noch ein gewaltiges Entwicklungspotential in Deutschland.
Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Sabine Oelze