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Genozidklage zwischen Serbien und Kroatien

Nemanja Rujević2. Februar 2015

Der Internationale Gerichtshof entscheidet über gegenseitige Völkermordklagen Kroatiens und Serbiens. Für beide Länder sind die Erfolgsaussichten schlecht, die Klagen haben vor allem eine innenpolitische Bedeutung.

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Verwüstete Stadt Vukovar (1991) (Foto: dpa/picture alliance)
Verwüstete kroatische Stadt Vukovar (1991)Bild: picture alliance/dpa

Bei den Völkermordklagen Kroatiens gegen Serbien und Serbiens gegen Kroatien vor dem Internationalen Gerichtshofs (IGH) geht es um die juristische Einstufung der unzähligen serbischen und kroatischen Verbrechen während des Krieges zwischen 1991 und 1995, der das ehemalige sozialistische Jugoslawien zerriss. Alleine in Kroatien kamen dabei über 13.000 Menschen um.

Konkret bezieht sich die kroatische Klage auf die Bombardierung der Stadt Vukovar durch die von Belgrad kontrollierte Armee, sowie auf die Massaker an Zivilisten, die serbische Paramilitärs im Osten Kroatiens begangen haben. Die serbische Gegenklage spricht von Kriegsverbrechen der kroatischen Armee gegen Ende des Krieges. Damals wurden in der Aktion "Oluja" (dt. "Der Sturm") hunderte Zivilisten ermordet, und bis zu 200.000 Serben mussten aus Kroatien fliehen.

Leichen im Keller

Bisher ging man in den Prozessen zum Jugoslawien-Krieg eher zurückhaltend mit den Genozid-Vorwürfen um: Das Haager Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien (ICTY) hat bisher nur den Massenmord an Muslimen in Srebrenica als Völkermord eingestuft. Dabei wurde nicht Serbien als Staat für schuldig erklärt, sondern die Armee der bosnischen Serben sowie verschiedene paramilitärische Einheiten. Zijah Bećirović vom regionalen Institut für Balkanstudien in Ljubljana erwartet auch vom bevorstehenden Urteil keine Änderung dieser bisherigen Praxis. Nicht zuletzt deswegen, weil die Entscheidungen des Internationalen Gerichthofs oft ein politischer Kompromiss der Großmächte seien, die kein Interesse hätten, eine Seite als Sieger und die andere als Verlierer dastehen zu lassen. "Hier gibt es auch einen juristischen Konsens: Berufungen sind untersagt und Revision fast ausgeschlossen", sagte Bećirović der DW.

Doch das Urteil des IGH wird kaum das letzte Wort im langjährigen Deutungskampf beider Nachbarländer um den Krieg sein. Kroatien reichte seine Klage schon 1999 ein, als mit Franjo Tuđman und Slobodan Milošević zwei erbitterte Kriegsgegner in Zagreb und Belgrad regierten. Beide sind längst tot, jedoch fanden die späteren Staatsführungen bis heute keinen Mut, die Klage und die erst 2008 eingereichte serbische Gegenklage zurückzuziehen.

Franjo Tuđman posiert mit kroatischen Soldaten nach dem Sieg gegen die Serbein (1995) (Foto: dpa/picture alliance)
Franjo Tuđman (Mitte) posiert mit kroatischen Soldaten nach dem Sieg (1995)Bild: picture-alliance/dpa

"Jede machthabende Garnitur in Kroatien und Serbien war gefangen in der eigenen Politik, die von sogenannten nationalen Projekten geprägt wurde. Eine Rücknahme der Genozid-Anklage wäre in dieser Logik einem innenpolitischen Debakel gleich gekommen", sagt der kroatische Politologe Jaroslav Pecnik. Den Politikern in beiden Ländern gehe es kaum um Opfer und Gerechtigkeit, so Pecnik im DW-Gespräch weiter, "sie wollen bloß die politische Macht demonstrieren."

Enttäuschend sei es, dass auch die nominal sozialdemokratischen Kräfte in beiden Ländern die nationalistische Stimmung gefördert und genutzt hatten, meint Aleksandar Popov, Leiter des Zentrums für Regionalismus in Serbien. "Politiker vermeiden es, sich ehrlich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, weil das auch eigene Verbrechen einschließen müsste. Aber ohne diese Auseinandersetzung wird man die Leichen im Keller nicht los", kommentiert er gegenüber der DW. Einen weiterern Grund für die schleppende Vergangenheitsbewältigung nennt Zijah Bećirović. Er schätzt, dass etwa 500.000 Menschen in den jugoslawischen Kriegen aktiv waren – und tausende davon direkt oder indirekt in etliche Verbrechen verwickelt. Für internationale Gerichte jedenfalls zu viel. "Wenn nationale Gerichte die Verbrecher aus dem Bereich der eigenen Ethnie weiter schützen, wird es kaum Fortschritte geben", sagt der Experte pessimistisch.

Serbische Flüchtlinge aus Kroatien (1995) (Foto: picture-alliance / dpa )
Serbische Flüchtlinge aus Kroatien (1995)Bild: picture-alliance/dpa

Beziehung bleibt kühl

Das Verhältnis der beiden Balkanländer Kroatien und Serbien befindet sich ohnehin im "Ruhezustand" seit Serbien eine konservative Führung habe, sagt Aleksandar Popov. Präsident Tomislav Nikolić und Premier Aleksandar Vučić – die sich heute beide gerne als EU-Befürworter zeigen – sind Lehrlinge des Ultranationalisten Vojislav Šešelj, der zurzeit in Belgrad auf das Urteil des Haager Tribunals wartet. Die Kroaten werden die Rolle dieses Trios, das in den kriegerischen Neunzigern die serbischen Freischärler organisierte und an die Front schickte, nicht vergessen können. "Auf der anderen Seite haben auch die Kroaten neulich die konservative Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović gewählt, die oft problematische Statements über Serbien gibt. Die Entscheidung über Genozid-Anklagen könnte jetzt das Fass zum Überlaufen bringen", sagt Popov. Denn mehrere Fragen zwischen beiden Ländern sind noch offen - von der Frage nach dem Schicksal der Vermissten während des Krieges bis zu dem noch umstrittenen Verlauf der Grenze an der Donau.

Kroatien sitze dabei allerdings als Mitglied der EU am einen etwas längeren Hebel, glaubt der Politologe Jaroslav Pecnik, denn EU-Anwärter Serbien sei auch auf die Zustimmung aus Zagreb angewiesen. "Kroatien wird auf diese Karte setzen, bis irgendwann jemand aus der EU kommt und sagt, dass das Spiel vorbei ist." Das kann allerdings eine Weile dauern. Geschätzt wird, dass Serbien im besten Fall erst in sieben Jahren für einen EU-Beitritt bereit sein wird.