DVD Tipp: Klassiker des japanischen Kinos
6. Juni 2011Es ist natürlich unsinnig, sich erst dann Gedanken über die Kultur eines Landes zu machen, wenn dieses Land von Katastrophen heimgesucht wird. Nach Erdbeben und Tsunami, nach Kernkraft-Gau und Strahlenüberdosis ist aber genau das wieder passiert: die deutschen Feuilletons haben sich reihenweise Japan, seine Bewohner und Kultur vorgeknöpft, haben zu ermitteln versucht, wie die ferne Nation denn tickt. Dabei lagen Bücher und Filme, Kunst und Kultur natürlich auch schon vorher zur Beschäftigung bereit. Doch die Medien fordern nach solchen Katastrophen ordentlich Futter.
Ehrgeizige DVD-Edition
In Sachen Film und Kino sind unsere Nachbarn, die Österreicher, uns schon immer ein Stück voraus gewesen. Auf Festivals und DVD-Editionen, Retrospektiven und Buchveröffentlichungen zum japanischen Kino stößt man dort häufiger als hierzulande. Doch auch in Österreich lassen sich nicht alle Träume verwirklichen. Einem ambitionierten auf 22 Filme angelegten Projekt mit japanischen Klassikern (des Labels polyfilm) ging auf der Hälfte der Wegstrecke die (finanzielle) Puste aus. Immerhin kann man sich neben vier Filmen von Nagisa Ōshima nun noch einige Werke der Regisseure Keisuke Kinoshita und Yoshitarō Nomura anschauen.
Keisuke Kinoshita
In Japan war Keisuke Kinoshita (1912 - 1998) Zeit seines Lebens eine feste Größe, seine Filme waren an den Kassen erfolgreich und bei der Kritik geschätzt. Im Ausland stand er dagegen immer im langen Schatten der auch im Westen verehrten Kollegen Kenji Mizoguchi, Yasujirō Ozu und Akira Kurosawa - obwohl sein Film "Eine unsterbliche Liebe" 1962 für den Oscar nominiert war und Kinoshita unter anderem den französischen Regisseur René Clair zu seinen Vorbildern zählte. In der Japan-Edition von polyfilm liegen fünf Filme Kinoshitas vor.
Neben den eher populär angelegten "Carmen kehrt heim" (1951) - dem erste japanischen Farbfilm überhaupt - und "Carmens reine Liebe" (1952), die die Nachkriegsgeschichte des Landes in der Figur der Striptease-Tänzerin Carmen widerspiegeln, ist für deutsche Zuschauer vor allem "Eine japanische Tragödie" (1953) interessant. Hier schlägt Keisuke Kinoshita einen schroffen und realistischeren Ton an. Auch hier wird eine Geschichte aus den Jahren nach Ende des 2. Weltkriegs erzählt: Haruko ist die verwitwete Mutter zweier erwachsener Kinder, die sich während des Krieges prostituieren musste um die Kinder zu ernähren. In den Nachkriegsjahren wird das Leben kaum einfacher. Die Kinder sind erbarmungslos, fordern Geld von der Mutter und schämen sich ihrer.
"Eine japanische Tragödie" ist ein düster-realistisches Stück Nachkriegskino mit vielen zwischenmontierten Dokumentarszenen. Im Vergleich zu deutschen Werken aus den frühen 50er Jahren geht der Film sehr viel offener und direkter mit den Problemen der Zeit um. Das Ende ist in seinem Pessimismus kaum zu überbieten. Die verzweifelte Haruko wirft sich vor einen Zug. Und doch gelingt es Keisuke Kinoshita dem Stoff auch Poesie einzuhauchen, mit vielen lyrischen Zwischentönen. "Eine japanische Tragödie" bietet wie so viele andere Filme dieses Regisseurs ein großes, mitfühlendes Frauenporträt.
Yoshitarō Nomura
Noch weniger im Westen bekannt sein dürfte der Regisseur Yoshitarō Nomura (1919 - 2005). Auch er steht für das ungemein reichhaltige, vielfältige und hierzulande weitgehend unbekannte Filmschaffen der großen Kinonation Japan. In seiner Heimat war Yoshitarō Nomura sowohl als Dehbuchautor, Regisseur und Produzent sehr erfolgreich, gehörte phasenweise zu den einflussreichsten Filmschaffenden seines Landes. Zwei seiner späteren Werke sind bei polyfilm erschienen. "Dämon" aus dem Jahre 1978 ist das tieftraurige Porträt einer vernachlässigten Generation: Sokichi, der Besitzer einer kleinen Druckerei leidet unter seiner herrschsüchtigen Frau. Eines Tages sucht ihn seine ehemalige Geliebte mit den gemeinsamen drei Kindern auf und hinterlässt sie dem verzweifelten Mann. Angestachelt von seiner Frau versucht dieser nun sich der Kinder entledigen. "Dämon" ist ein unbarmherziger Film aus dem modernen Japan, eine Anklage gegen soziale Kälte im Gewand eines psychologischen Horrorfilms.
Zwischen Historienfilm und moderner Schauermär changiert dagegen "Das Dorf der acht Grabsteine" (1977). Hier greift Yoshitarō Nomura die Geschichte von acht Samurai aus dem Jahre 1566 auf, die in einem abgelegenen Weiler eines Nachts von der Dorfbevölkerung niedergemetzelt werden. Jahrhunderte später wird ein Erbe mit dem Fluch der ermordeten Samurai konfrontiert. Yoshitarō Nomura erzählt verschachtelt und mit vielen Rückblenden zum Teil recht blutig, aber auch immer wieder mit romantischen Zwischentönen. Der Horror der Erzählung korrespondiert auf merkwürdige Weise mit den phantastischen Landschaftsaufnahmen. Eine eigentümliche Mischung: einerseits klassisches Samurai-Kino, gewährt der Film auf der anderen Seite einen Blick auf das moderne Japan.
In der Japan-Edition von polyfilm sind von Keisuke Kinoshita noch das Historienepos "Der Fluss Fuefuki" (1960) erschienen, dass aufregende Farbexperimente bietet, sowie der oscarnominierte "Eine unsterbliche Liebe" von 1961.
Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Klaus Gehrke