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Politik

"Kleiner Raketenmann" gegen "alten Irren"

Esther Felden
27. Dezember 2017

Mehr als 20 Raketentests, ein Atombombentest und heftige Beschimpfungen zwischen Pjöngjang und Washington - die nüchterne Bilanz eines der gefährlichsten Konflikte 2017. In den Hauptrollen: Kim Jong Un und Donald Trump.

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Kim Jong Un, Donald Trump
Bild: picture alliance/AP Photo

Eigentlich schienen die Zeichen Anfang des Jahres gar nicht so schlecht zu stehen. Dialog statt Provokationen – das war eine Hoffnung, die im Vorfeld mit dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Donald Trumps verknüpft war. Hoffnung darauf, dass sich mit ihm im Weißen Haus vielleicht Möglichkeiten ergeben könnten, neuen Wind in den festgefahrenen Konflikt mit Nordkorea zu bringen. Immerhin: Trump hatte im Wahlkampf mehrfach ausgesagt, dass er sich ein persönliches Treffen mit dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un vorstellen könnte.

"Wieso denn nicht?", rief er seinen Anhängern bei einer Veranstaltung im US-Bundesstaat Georgia im Sommer 2016 entgegen. "Was zur Hölle ist falsch daran, zu reden? Sowas nennt man einen offenen Dialog." Er wolle versuchen, Kim "seine verdammten Atomwaffen" auszureden. Selbst ein Empfang in Washington sei denkbar, so Trump. Man könne sich "bei Hamburgern an einem Konferenztisch zusammensetzen".

Ein gutes Jahr – aus nordkoreanischer Sicht

Schon kurz nach der Wahl ist es dann aber vorbei mit derartigen Charme-Offerten. Noch bevor Trump ins Oval Office einzieht, gibt er eine Kostprobe dessen, was im Laufe des Jahres noch alles folgen soll. Das Jahr 2017 ist gerade einmal drei Tage alt, da sendet er via Twitter eine Botschaft an die Adresse der nordkoreanischen Führung: "Nordkorea hat gerade bekannt gegeben, dass die Entwicklung einer Atomwaffe, die Teile USA erreichen könnte, in die Endphase geht. Das wird nicht passieren!" 

Dass Pjöngjang sich von solchen Warnungen nicht im Geringsten beeindrucken lässt, wird wenig später zum ersten Mal klar: Im Februar zündet Nordkorea eine Rakete, es ist der Auftakt einer ganzen Serie: Mehr als 20 weitere folgen, so viele wie nie zuvor innerhalb eines Jahres. Darunter auch drei Interkontinentalraketentests sowie der sechste Atomtest. Zudem verkünden die Staatsmedien Ende November, das Land habe nunmehr sein Atomprogramm erfolgreich fertiggestellt.

"Die nordkoreanische Führung wird sicher zufrieden auf das Jahr zurückblicken. Denn damit hat Nordkorea im Grunde genommen ein strategisches Ziel erreicht, auf das die Machthaber in Pjöngjang seit Jahrzehnten hingearbeitet haben", erklärt Eric Ballbach vom Institut für Koreastudien an der FU Berlin. "Dabei geht es nicht darum, den USA militärisch Paroli bieten zu können, sondern es dreht sich eher um ein strategisches oder nukleares Gleichgewicht."

Kim Jong Un umgeben von jubelnden Soldaten
Sträke zeigen nach innen und außen - das ist für die nordkoreanische Führung von zentraler BedeutungBild: picture-alliance/KNS/KCNA

Hoffnung im Keim erstickt

Das Jahr hätte auch anders verlaufen können, glaubt Ballbach. So habe es mehrfach Anzeichen dafür gegeben, dass Nordkorea sich vorstellen könnte, die Beziehungen zu den USA auf eine neue Grundlage zu stellen. "Bei informellen Treffen vor dem Amtsantritt Trumps haben die Nordkoreaner ihre Bereitschaft zum Dialog angekündigt. Selbst nach der Inauguration haben sie dieses Angebot wiederholt."

Während Trumps Vorgänger Obama im Zusammenhang mit Nordkorea auf eine Politik der strategischen Geduld gesetzt hatte, steht bei Trump der Druck im Vordergrund. "Schnell hat sich gezeigt, dass das nicht zu einer Verbesserung der Beziehungen führen würde. Insofern hat sich das schmale Fenster für einen Dialog rasch wieder geschlossen. "

Nordkorea - US-Student Otto Warmbier
Der bis heute ungeklärte Tod des Amerikaners Warmbier nach anderthalb Jahren Haft in Nordkorea hatte im Juni für Schlagzeilen gesorgtBild: picture alliance/dpa/MAXPPP

Nur bei einer einzigen Gelegenheit kommt es 2017 überhaupt zu einem offiziellen Kontakt zwischen Pjöngjang und Washington. In diesem Fall geht es allerdings um den verstorbenen US-amerikanischen Studenten Otto Warmbier. "Im Hinblick auf das Nuklearprogramm gab es auf Regierungsebene dagegen keinerlei Gespräche zwischen Nordkorea und den USA", so Ballbach.

Krieg der Worte

Inoffiziell dagegen entbrennt auf höchster Ebene im Verlauf des Jahres eine rhetorische Schlammschlacht. Nordkorea ist bekannt für heftige Verbal-Attacken – allen voran gegenüber Südkorea und den USA. Neu allerdings ist, dass ein US-Präsident sich auf gegenseitige Beschimpfungen einlässt.

Kombibild Kim Jong Un und Rodrigo Duterte
Mit dem philippinischen Präsidenten Duterte telefonierte Trump im Frühjahr - dabei ging es auch um Nordkoreas Diktator Kim Jong UnBild: Getty Images/AFP/Str/N. Celis

Trump spricht viel über Kim Jong Un, beispielsweise in den Medien oder in einem Telefonat mit dem philippinischen Präsidenten Duterte Ende April. Eine Abschrift dieses Gesprächs wird geleakt und dann vom Investigativ-Portal The Interceptveröffentlicht. "Einen Verrückten mit Atomwaffen können wir nicht so frei herumlaufen lassen. Wir haben 20 Mal mehr Feuerkraft als er, aber wir wollen das nicht ausspielen", soll Trump demnach gesagt haben. Und auf die Frage, ob Kim ganz richtig im Kopf sei, antwortet er gegenüber dem US-Sender CBS: "Ich habe keine Ahnung." 

Ein Wort gibt das andere

Ausgerechnet am 4. Juli, dem  amerikanischen Nationalfeiertag, vermeldet Nordkorea erstmals den erfolgreichen Test einer Interkontinentalrakete. Nach Ansicht von Experten hat sie eine potenzielle Reichweite von 6700 Kilometern und könnte theoretisch US-Gebiet erreichen. Ein wütender Donald Trump reagiert via Twitter:

"Nordkorea hat gerade eine weitere Rakete getestet. Hat dieser Typ nichts Besseres zu tun in seinem Leben?" Kim kontert: Die "amerikanischen Bastarde" seien sicher "nicht so glücklich über dieses Geschenk" gewesen, lässt er über die Staatsmedien verbreiten.

Nachdem Nordkorea Ende Juli eine zweite Interkontinentalrakete testet, droht der US-Präsident Pjöngjang gegenüber US-Journalisten indirekt mit militärischer Gewalt. Wenn das Land seine Provokationen fortsetze,  werde man mit "Feuer und Wut, wie die Welt es noch nie gesehen hat", reagieren. Die Antwort aus Nordkorea lässt nicht lange auf sich warten. "Ein Dialog mit einem Typen ohne jeglichen Verstand  ist nicht möglich", wird Kim zitiert. Nordkorea droht außerdem mit einem Raketenangriff nahe der US-Pazifikinsel Guam, auf der tausende US-Soldaten stationiert sind.

Test einer Hwasong-14-Rakete in Nordkorea am 28. Juli
Im Juli vermeldete Nordkorea seinen ersten und zweiten erfolgreichen Interkontinentalraketentest Bild: Getty Images/AFP/KCNA

Ein heißer Herbst

Im September eskaliert der Krieg der Worte noch weiter. In seiner ersten Rede vor den Vereinten Nationen wählt Trump drastische Worte an die Adresse Kims. Der "kleine Raketenmann" befinde sich auf einer Selbstmordmission, so der US-Präsident. Und droht vor den Augen der UN-Vollversammlung mit der "völligen Zerstörung Nordkoreas", sollte das Land nicht einlenken. Kim antwortet zwei Tage später - ähnlich kriegerisch. "Ich werde den geistesgestörten amerikanischen Greis sicher und endgültig mit Feuer bändigen." 

Donald Trump am Rednerpult der UN-Generalversammlung in New York | Donald Trump, Präsident USA
Trump droht Nordkorea mit völliger Zerstörung: Worte, die das Publikum in der UN-Vollversammlung sonst eher nicht hörtBild: Getty Images/AFP/T.A. Clary

Für Nordkorea ist die rhetorische Gemengelage Affront und Segen zugleich, sagt Eric Ballbach von der FU Berlin. "Auf der einen Seite sind persönliche Angriffe auf die Führung in jedem autoritär gesteuerten Land ein absolutes No-Go. Auf der anderen Seite bietet diese Rhetorik den Nordkoreanern aber genau das, was sie haben möchte. Auch ein Land wie Nordkorea muss sein kosten- und ressourcenintensives Nuklearprogramm vor der eigenen Bevölkerung legitimieren – und dazu braucht es auch eine Bedrohung von außen." Genau die habe Trump frei Haus geliefert, indem er explizit davon sprach, ganz Nordkorea auszulöschen und nicht nur die Führungsriege.

Risikofaktor Kommunikation

Die Tatsache, dass es keine offiziellen Gespräche zwischen beiden Ländern gibt, birgt auch ganz konkrete Risiken. Denn das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Missverständnissen kommt, die unter Umständen gravierende Folgen haben könnten, wie Ballbach erläutert. "Wir hatten 2017 die größten gemeinsamen amerikanisch-südkoreanischen Militärübungen und gleichzeitig die höchste Anzahl an nordkoreanischen Raketentests. Und das vor dem Hintergrund, dass es kaum noch offene Dialog-Kanäle zwischen den beteiligten Parteien gibt. Daraus können sich leicht Fehlinterpretationen ergeben, die dann vielleicht sogar zu einem militärischen Zusammenstoß führen."

Kim Jong-un überwacht den Start einer Interkontinentalrakete am 29. November
Der bislang letzte nordkoreanische Raketentest findet Ende November statt - wieder handelt es sich um eine InterkontinentalraketeBild: picture-alliance/dpa/Uncredited/KCNA via KNS/AP

Hinzu komme, dass die Signale aus den USA nicht nur für Beobachter, sondern auch für Nordkorea schwer zu durchschauen sind. "Das ist in den Track-II-Dialogen immer wieder Thema (Anmerk. der Red.: Dabei handelt es sich um inoffizielle und informelle Gespräche beispielsweise unter Wissenschaftlern, um den Dialog zumindest auf niedrigerer Ebene aufrecht zu erhalten). Die Nordkoreaner wissen einfach nicht, wie sie die Botschaften lesen und interpretieren sollen", so Korea-Experte Ballbach. Eine abgestimmte Strategie der USA sei nicht zu erkennen. "Das haben wir ja gerade erst vor wenigen Wochen wieder erlebt, als Außenminister Rex Tillerson einen Dialog mit Nordkorea ohne Vorbedingungen in den Raum gestellt hat – und das Weiße Haus diese Aussage umgehend wieder einkassiert hat."

Das nordkoreanische Dilemma

Trotzdem bietet die derzeitige Ausgangslage die Möglichkeit, neue Gespräche anzustoßen. "Ironischerweise stehen die Chancen vielleicht gerade jetzt so gut wie lange nicht mehr. Die Tatsache, dass die Nordkoreaner so sehr betonen, dass sie ihr Nuklearprogramm erfolgreich abgeschlossen haben, könnte ihnen als Legitimation dienen, um in nächster Zukunft auf weitere Tests zu verzichten", meint Ballbach. Denn vor dem erfolgreichen Abschluss ihres Atomprogramms mit den USA zu verhandeln hätte in Nordkorea schnell als Erfolg der Trump-Politik gewertet werden können und damit einen Gesichtsverlust für Kim bedeutet.

Klatschender Kim Jong Un vor dutzenden jubelnden Militärs
Die nordkoreanische Führung kann zufrieden auf das Jahr 2017 zurückschauenBild: picture alliance/dpa/AP Photo/Korean Central News Agency

Ein Grundproblem aber bleibt bestehen – und eine einfach Lösung dafür gibt es nicht: Dass Nordkorea seine Atomwaffen nicht aufgeben wird, ist allen Beobachtern klar. Es  gilt als Garant für den Erhalt des Regimes. "Die USA auf der anderen Seite werden eine Atommacht Nordkorea nicht akzeptieren", so Ballbach. "Wenn wir also über Dialog sprechen, dann müssen wir erst einmal definieren, wie ein solcher Dialog überhaupt aussehen kann. Die zentrale Herausforderung besteht darin, Vertrauen aufzubauen. Dazu müssten von beiden Seiten entsprechende Angebote kommen: von Nordkorea beispielsweise ein Test-Moratorium. Umgekehrt könnten die USA und Südkorea erst einmal auf gemeinsame Militärübungen verzichten oder sie zumindest verkleinern."

Symbolisches Ticket für die Olympischen Winterspiele 2018 in Südkorea
Sport in angespannten Zeiten: In wenigen Wochen beginnen in Südkorea die Olympischen Spiele Bild: picture-alliance/dpa/yonhap

Dass es vor allem in den kommenden Wochen ruhig bleibt, das hofft allen voran auch Südkorea. Im Februar finden dort die Olympischen Winterspiele statt. Störungen sind da natürlich unerwünscht. "Nordkorea ist sich mit Sicherheit der Tatsache bewusst, dass Raketentests in dieser Zeit die ultimative Provokation darstellen würden", sagt Eric Ballbach.

Twitter, wieder einmal

Um die verbale Fehde zwischen zwischen Kim Jong Un und Donald Trump wird es gegen Ende des Jahres etwas ruhiger. Im November legen beide aber dann noch einmal nach. Das nordkoreanische Außenministerium reagiert bissig auf die erste Asienreise des US-Präsidenten, bezeichnet den Besuch als "Reise eines Kriegstreibers" und Trump als "alten Irren". Der wiederum ätzt sarkastisch bei Twitter zurück:

"Warum beleidigt Kim Jong Un mich und nennt mich "alt", während ich ihn NIEMALS als "klein und fett" bezeichnen würde?" Er versuche "so sehr, sein Freund zu sein – und vielleicht wird das eines Tages passieren".  

Fortsetzung folgt - in 2018.