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Klimakrise: Wer zahlt für Schäden und Verluste?

Louise Osborne
7. November 2022

Waldbrände, Überschwemmungen, Dürren: Die Erderwärmung führt zu immer extremeren Naturereignissen - und immer mehr Schäden. Länder des globalen Südens fordern Entschädigung.

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Kenia Dürre Ein Mann steht in einer trockenen Region an der Grenze zu Äthiopien, auf rotem Sand liegen tote Rinder
Die Auswirkungen der Dürre in Kenia sind verheerendBild: Thomas Mukoya/REUTERS

Eric Njuguna ist wütend. Der 20-jährige Umweltaktivist ist Zeuge der verheerenden Veränderungen, die die globale Erderwärmung in seinem Heimatland Kenia mit sich bringt: Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage, ihre Häuser und viele sogar ihr Leben durch die schlimmste Dürre, die die Region in den letzten 40 Jahren erlebt hat.

"Die Folgen machen uns durstig. Sie lassen uns hungern. Und es macht uns wütend - auch weil wir wissen, dass wir am wenigsten dazu (zum Klimawandel - Anm.d.Red.) beigetragen haben, aber dass unsere Länder, die Menschen, die hier leben, die Hauptlast tragen", berichtet Njuguna der DW in Kenias Hauptstadt Nairobi.

Kenia gehört zu den Ländern des globalen Südens, die am stärksten von extremen Wetterereignissen betroffen sind, die sich auf die Erderhitzung zurückführen lassen. Und Kenia ist bei weitem nicht das einzige Land. Am Horn von Afrika bringen wiederholte Dürren Millionen von Menschen an den Rand des Verhungerns, während auf den Philippinen immer mehr zerstörerische Stürme auftreten. In Pakistan starben dieses Jahr mehr als 1500 Menschen, weil extreme Monsunregenfälle weite Teile des Landes überfluteten.

Der Aktivist Eric Njuguna am Rednerpult auf der Klimakonferenz COP26
Eric Njuguna, hier auf der COP26 in Glasgow, fordert die Übernahme von Klimaschäden durch IndustrienationenBild: Eric Njuguna

"Es gibt Dinge, an die wir uns anpassen können. Aber weil die Klimakrise schlimmer wird, gibt es auch Dinge, an die wir uns nicht anpassen können", sagt Njuguna. "Dafür muss es Kompensationen geben."

Der Ruf nach finanzieller Entschädigung durch reichere Länder in Form eines speziellen Fonds für die Kosten, die schwere Schäden und Verluste durch den Klimawandel verursachen, wird immer lauter.

Das kontrovers diskutierte Thema wird einer der zentralen Punkte bei der Weltklimakonferenz COP27 sein. Sie findet in den nächsten zwei Wochen im ägpytischen Sharm El-Sheikh statt. Am Sonntag hatte die Delegierten zugestimmt, Schäden und Verluste zum ersten Mal in der Geschichte der Konferenz auf die offizielle Agenda zu setzen. 

Was sind Verluste und Schäden des Klimawandels?

Das Konzept von Verlust und Schaden (englisch: loss and damage) kam erstmals 1991 bei den internationalen Klimaverhandlungen in Genf auf. Damals schlug eine Allianz kleiner Inselstaaten eine Versicherung gegen den Anstieg des Meeresspiegels vor, deren Kosten von den Industrieländern übernommen werden sollten. Aber erst 2013 wurde das Konzept auf der der Weltklimakonferenz COP 19 in Warschau ernsthaft erwogen.

Dort wurde der sogenannte Warschauer Internationale Mechanismus für Schäden und Verluste ins Leben gerufen. Er soll das Wissen über das Thema verbessern und Wege finden, es anzugehen. Doch seitdem hat sich wenig getan.

Eine Frau, die aus der von Dürre heimgesuchten Region Lower Shabelle geflohen ist, sitzt neben ihrem unterernährten Sohn in einem Lager für Vertriebene am Stadtrand von Mogadischu, Somalia
Millionen von Menschen in der Region am Horn von Afrika hungern wegen der jahrelangen Dürre, Tausende sind bereits gestorben - fehlende Getreidelieferungen aus der Ukraine und Russland verschlimmern die SituationBild: Farah Abdi Warsameh/AP/dpa/picture alliance

Auf der UN-Klimakonferenz, die im vergangenen Jahr im schottischen Glasgow stattfand, lehnten die Unterhändler einen Vorschlag der sogenannten G77-Gruppe aus Entwicklungsländern und China ab, der eine formelle Finanzierungsregel für Verluste und Schäden vorsah. Stattdessen wurde der sogenannte Glasgow-Dialog ins Leben gerufen, in dem weitere Diskussionen über die Finanzierung "in einer offenen, inklusiven und nicht bindenden Weise" geführt werden sollen.

Doch aus Sicht vieler Staaten sei der Glasgow-Dialog "nur ein Vorwand, um weitere Maßnahmen zu verzögern", sagt Zoha Shawoo, die als Wissenschaftlerin am Stockholmer Umweltinstitut über das Thema Schäden und Verluste forscht.

Reiche Länder zögern bei der Finanzierung von Klimaschäden

Historisch gesehen tragen die Industrieländer die größte Verantwortung für die Treibhausgasemissionen, die zum globalen Temperaturanstieg führen. So waren die USA, die EU und Großbritannien in der Zeit zwischen 1751 und 2017 für 47 Prozent der gesamten Kohlendioxidemissionen verantwortlich. Zum Vergleich: Der afrikanische Kontinent und Südamerika emittierten in derselben Zeit zusammen gerade einmal sechs Prozent der Treibhausgase. Dennoch zögern die Industrienationen bislang, finanzielle Beiträge zu leisten, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die am stärksten betroffenen Länder abzumildern.

Im Jahr 2010 einigten sich die Länder des globalen Nordens immerhin darauf, bis 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar (101 Milliarden Euro) bereitzustellen, um die Entwicklungsländer bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen - etwa durch die Bereitstellung dürreresistenter Nutzpflanzen an Landwirte oder die Finanzierung von Maßnahmen zum Hochwasserschutz.

Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die diese Klimafinanzierung überwacht, haben die wohlhabenden Länder im Jahr 2020 gut 83 Milliarden Dollar für die Schäden durch den Klimawandel zugesagt. Das waren zwar vier Prozent mehr als im Vorjahr, aber immer noch deutlich weniger als der eigentlich vereinbarte Betrag.

Kinder werden im Zivilkrankenhaus in Sukkur in Pakistan behandelt mit Infusionen
Nach den verheerenden Monsun-Überschwemmungen in Pakistan brachen viele Infektionskrankeiten ausBild: PPI via ZUMA Press Wire/picture alliance

Laut Marlene Achoki, stellvertretende Leiterin des Bereichs für Klimagerechtigkeit bei der Nichtregierungsorganisation CARE International, hat diese unzureichende Finanzierung eine destabilisierende Wirkung auf all die Länder, die bereits Probleme haben.

Ihrer Ansicht nach müssen die reichen Länder, die das Problem verursacht haben, die notwendigen Finanzmittel bereitstellen. "Anstatt sich mit Fragen von Armut und Bildung zu befassen, müssen sie Schritte unternehmen, um die Probleme des Klimawandels anzugehen. Sie müssen nach Mitteln und Finanzierungswegen suchen, um die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung zu stärken", fordert Achoki.

Klimakrise: Verluste nicht nur finanzieller Art

Die Loss and Damage Collaboration, eine internationale Gruppe aus Forschenden, Juristinnen und Juristen, Nichtregierungsorganisationen sowie Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern, hat nachgerechnet: Demnach haben 55 von insgesamt 58 Ländern der sogenannten Vulnerable 20, einer Gruppe von Entwicklungsländern, zu denen auch Kenia, die Philippinen und Kolumbien gehören, in den ersten beiden Jahrzehnten dieses Jahrhunderts mehr als eine halbe Billion Dollar an klimabedingten wirtschaftlichen Verlusten erlitten.

Zusätzlich gab es auch nicht-wirtschaftliche Verluste, darunter das Verschwinden von Gebieten mit kultureller und traditioneller Bedeutung.

Ein Mann steht auf einem flachen Dach eines Stadthauses am Strand und blickt auf das Stadviertel am Meer Senegal Küstenerosion
Die Küstenstadt Saint-Louis im Senegal droht durch den steigenden Meeresspiegel zu versinkenBild: Joost Bastmeijer

"Wenn ein Ort, an dem religiöse oder kulturelle Rituale durchgeführt werden, überflutet und zerstört wird, ist das mit einem Verlust verbunden", so Zoha Shawoo vom Stockholmer Umweltinstitut. "Viele der Gemeinschaften, die am stärksten von den Klimaveränderungen betroffen sind, sind Indigene oder lokale Stammesgemeinschaften - und sie sind auch mit den meisten dieser kulturellen Verluste konfrontiert."

Wo liegt der Knackpunkt der Klimafolgen-Finanzierung?

Obwohl die Industriestaaten weitgehend die Notwendigkeit anerkennen, dass Verluste und Schäden bewältigt werden müssen, plädieren einige von ihnen für eine Finanzierung durch bestehende Klimafonds, Versicherungssysteme und humanitäre Hilfe. Die Europäische Union beispielsweise erklärte, sie sei offen dafür, das Thema L&D (Loss and Damage - Schäden und Verluste) zu diskutieren, zögere aber mit der Einrichtung eines speziellen L&D-Fonds.

"Ich denke, das liegt an der Befürchtung, dass sich die Industriestaaten enormen Haftungs- und Entschädigungsansprüchen aussetzen, wenn sie den Bedarf an zusätzlichen Finanzmitteln für Verluste und Schäden anerkennen", meint Shawoo. Wenn etwa eine Brücke wegen einer Überschwemmung einstürzt, oder Häuser durch einen Taifun in einem Entwicklungsland zerstört werden, "fürchten die Industrieländer, für diese Kosten haftbar gemacht zu werden".

Eine Frau watet durch hüfthohes Wasser in einer Straße in San Miguel auf den Philippinen
Der Taifun "Noru" wütete im September über den Philippinen und führte zu schweren ÜberschwemmungenBild: Eloisa Lopez /REUTERS

Einige Länder haben beschlossen, einen eigenen Weg zu gehen. Anfang dieses Jahres sagte Dänemark den Entwicklungsländern, einschließlich der Sahel-Region im Nordwesten Afrikas, mehr als 13 Millionen Dollar Schadenersatz zu, und auf der Weltklimakonferenz COP26 im vergangenen Jahr versprach Schottland mindestens eine Million Dollar.

Diese Maßnahmen einzelner Nationen seien ein guter Weg, um der Dringlichkeit der Verluste gerecht zu werden, mit denen die Entwicklungsländer konfrontiert sind, sagt Shawoo. "Auf diesem Weg können diese Staaten etwas tun, ohne sich rechtlich einer Finanzierung zu verpflichten."

Da der globale Temperaturanstieg jedoch weiter fortschreitet und die reichen Länder es bisher nicht schaffen, ihre Treibhausgasemissionen deutlich zu reduzieren, dürften die Auswirkungen des Klimawandels auch weiterhin die ärmsten Menschen treffen.

"Das Zeitfenster zum Handeln schließt sich. Die Auswirkungen, die uns bei einer Erwärmung um 1,2 Grad drohen, sind schon ziemlich gravierend, und es sind immer noch keine ernsthaften Maßnahmen in Sicht", so Umweltaktivist Eric Njuguna.

Redaktion: Tamsin Walker

Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk