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Klimaschutz in Frankreich: Bürgerbeteiligung gescheitert?

Sonia Phalnikar
16. Februar 2021

Der französische Präsident Emmanuel Macron wollte die Bürger beim Klimaschutz mitreden lassen. Die meisten Ideen schaffen es aber wohl nicht ins Gesetz.

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Bürgerkonvent zum Klima, Frankreich
Eine bunt gemischte Gruppe von 150 französischen Bürgern erhielt einen Crashkurs über das Klima und diskutierte über PolitikBild: Katrin Baumann

Amandine Roggeman macht gerade in Griechenland Urlaub, als sie im August 2019 eine SMS erhält. Darin steht, sie sei für die Teilnahme des in Frankreich geplanten Bürgerkonvents für das Klima ausgewählt worden. Die Nachricht endet mit der Frage, ob sie dabei sein möchte.

Die 27-jährige arbeitet im Kulturbereich in Paris und hatte bis dahin nur vage von Frankreichs geplantem Experiment in Sachen direkte Demokratie gehört.

"Zuerst habe ich gedacht, die Nachricht sei ein Scherz", erzählt Roggeman. "Aber da Thema Klima bewegt mich wirklich. Und so fühlte ich mich zugleich privilegiert, zufällig aus der gesamten Bevölkerung ausgewählt worden zu sein. Und ich war unglaublich neugierig.

Roggeman sagt zu. Sie und 149 weitere zufällig ausgewählte Franzosen erarbeiten daraufhin Empfehlungen für ein Klimagesetz, das die Treibhausgasemissionen des Landes bis 2030 um 40 Prozent senken soll. Sie planen Änderungen in Verkehr, Handel und Industrie.

Nun jedoch sind Rogeman und andere aus dem Bürgerkonvent entnervt. Denn Präsident Emmanuel Macron hatte versprochen, die "ungefilterten" Vorschläge des Konvents entweder dem Parlament oder einem Referendum vorzulegen. Stattdessen soll das Parlament jetzt über ein Klimagesetz beraten, das nicht einmal die Hälfte der Vorschläge des Konvents enthält.

"Die Regierung hatte gesagt, sie wolle, dass wir Lösungen liefern. Aber sie haben sich jetzt einfach das herausgepickt, was sie ihnen passt", erzählt William Aucant. Der 34-jährige Architekt und Stadtplaner aus Nantes gehört auch zu den Teilnehmern des Bürgerkonvents. "Es ist bitter und ich bin wirklich sauer", ergänzt er.

Mitbestimmung für die Bürger

Die Idee zum Bürgerkonvent für das Klima hatte Macron unmittelbar nach den Gelbwesten-Protesten 2018. Die hatten wegen einer geplanten Erhöhung der Ökosteuer auf Treibstoff begonnen, wurden dann aber schnell zu einem generellen Protest gegen soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeit im Land.

Gelbwesten-Demonstrant, Paris, Frankreich
Die Proteste der Gelbwesten entzündeten sich an der Erhöhung der Ökosteuer auf Sprit, wurden dann aber zu einem Ausdruck der Wut über soziale UngerechtigkeitBild: Anne-Christine Poujoulat/AFP/Getty Images

Daraufhin initiierte der Präsident 2019 eine "Grand Debate" in Form von Bürgerkonsultationen. Die Menschen sollten so ein Mitspracherecht in der Politik bekommen. In einem Land, in dem die präsidiale Politik hierarchisch von oben nach unten gerichtet ist, wollte man so den wütenden – auch gewalttätigen – Protesten zu begegnen.

"Den Bürgerkonvent für das Klima hätte es ohne die Gelbwestenkrise nicht gegeben, denn sie war auch eine Vertrauenskrise gegenüber den politischen Führern", sagt Quentin Sauzay von der Gruppe Democratie Ouverte. Die Organisation setzt sich für mehr Beteiligung der Menschen in der Politik ein und hatte auch bei der Organisation des Bürgerkonvents geholfen. "Ein stark zentralisiertes und präsidiales Land wie Frankreich, in dem das Regierungssystem auf nationaler Ebene so vertikal ist, hätte sich sonst nie auf ein Instrument wie eine Bürgerversammlung eingelassen."

Crashkurs im Klimaschutz

150 Bürger aus dem ganzen Land – Studenten, Landwirte, Lehrer, pensionierte Eisenbahner, Berufstätige und Arbeitslose – sowie Bewohner aus Frankreichs Überseegebieten wie Martinique und Guyana wurden im Zuge dessen mit der Aufgabe betraut, die Klima-Agenda des Landes aufzusetzen.    

Zunächst verbrachten sie sieben verlängerte Wochenenden damit, Experten-Briefings von unterschiedlichen Instituten aus den Bereichen Klima, Landwirtschaft und Handel zu hören. Sie beschäftigten sich auch mit Themen wie Regulierung und Finanzen, sie erfuhren von den wichtigsten Emissionsquellen im Land. Sie trafen sich mit Gesetzgebern, Ökologen und Branchenführern und berieten über Themen wie Wohnen, Verkehr, Fast Fashion, Plastik und Lebensmittel.

"Es war ein beeindruckender Prozess, auch um die Dringlichkeit der Klimakrise zu verstehen. Am Anfang waren wir fast eingeschüchtert, weil wir keine Experten waren", erzählt Roggeman. "Wir haben so erstaunliche Informationen bekommen."

Kann der Wechsel in eine nachhaltige Wirtschaft gelingen?

Im Juni 2020 präsentieren die Teilnehmer des Konvents ihre 149 Vorschläge, darunter die Einführung des Straftatbestands des Ökozids, die Senkung der Mehrwertsteuer auf Bahntickets, ein Werbeverbot für umweltschädliche Produkte und das Verbot von Inlandsflügen für Strecken, die mit dem Zug in weniger als vier Stunden zurückgelegt werden können.

Konsens gebrochen

Macron akzeptiert alle Vorschläge des Konvents, bis auf drei. Das Tempolimit von 110 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen, eine vierprozentige Ökosteuer auf Unternehmensdividenden und die Verankerung des Umweltschutzes als vorrangiges Ziel in der Präambel der französischen Verfassung wischt er vom Tisch. Stattdessen würde er ein Referendum über die Aufnahme von Klimazielen in Frankreichs Verfassung unterstützen.

Im Dezember 2020 gehen Regierung und Bürgerkonvent noch weiter auseinander. In einem Interview in französischen Medien beklagt Präsident Macron, der 2022 wiedergewählt werden will, dass einige Mitglieder zu weit gegangen seien und ihre beratende Rolle überschritten hätten.

Er habe Respekt vor der Arbeit des Bürgerkonvents, aber "man kann nicht sagen, nur weil 150 Bürger etwas aufgeschrieben haben, sei es nun die Bibel oder der Koran", so Macron weiter.

Verwässerter Gesetzentwurf verfehlt Klimaziele

Der Filmregisseur und Umweltschützer Cyril Dion sollte den Bürgerkonvent begleiten. Nun fordert er Macron auf, sein Wort zu halten. Dion startete eine Petition zur "Rettung des Konvents". Mehr als 500.000 Unterschriften hat er bereits gesammelt.

Nach mehreren Verzögerungen und Unstimmigkeiten veröffentlicht die Regierung Anfang dieses Jahres schließlich ihren Gesetzentwurf zum Klimaschutz. Darin enthalten sind etwa 40 Prozent der Vorschläge der Bürger. Die Nationalversammlung wird im März über den Entwurf beraten.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hält bei einem Treffen des Bürgerkonvents zum Thema Klima eine Rede. 
Macron wollte die Bürger bei der Klimagesetzgebung einbeziehen. Nun steht er unter Beschuss, weil er in wichtigen Bereichen einen Rückzieher macht Bild: picture-alliance/dpa/Maxppp

Umweltgruppen sind der Meinung, dass das Gesetz wenig dazu beitrage, die Klimaziele zu erreichen. Stattdessen verwässere es die Vorschläge der Bürger in Sachen Verkehr, Autonutzung und Gebäudesanierung. Die zählen demnach zu den umweltschädlichsten Bereichen und seien entscheidend dafür, dass Frankreich seine Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen erfüllt.

"Der Bürgerkonvent hatte ein klares Mandat, Vorschläge zu arbeiten, mit der die französische Klimapolitik eine 40-prozentige Reduzierung der Treibhausgasemissionen gegenüber den Werten von 1990 erreichen kann", sagt Meike Fink vom Climate Action Network. Die Nichtregierungsorganisation hatte die Konventteilnehmer zu Klimathemen informiert. Erst kürzlich hat dieEU ihr Ziel auf 55 Prozent erhöht.

"Mit den Vorschlägen, die auf dem Tisch liegen, und den politischen Maßnahmen, die bereits in Kraft sind, werden wir keines dieser Ziele einhalten können", fügt Fink hinzu.

Sowohl sie als auch Sauzay beschuldigen die Regierung, den Lobbyisten der Industrie nachzugeben, vor allem in den Bereichen Verkehr und Gebäudesanierung.

Ein Vorschlag, der eine Steuer auf Autos mit hohen Emissionswerten gefordert hatte, wurde laut Sauzay nach Beschwerden von französischen Herstellern verworfen. "Dies ist ein konkretes Beispiel, wo die Lobbyisten tatsächlich den Kampf gewonnen haben", sagt er. "Aber die Idee wird dennoch im Parlament debattiert werden, also ist es noch nicht vorbei", fügt er hinzu. Und auch die Beschränkung der Inlandsflüge wurde seitens der Regierung verwässert. Verboten sind die nur noch für Strecken, die in weniger als zweieinhalb Stunden mit dem Zug erreichbar sind.

Ein Modell, das sich durchsetzt?

Trotz der Enttäuschung will man in Frankreich die partizipative Demokratie nicht als gescheitertes Experiment ad acta legen.

Bürgerkonvent zum Klima, Frankreich
Im Juni 2020 präsentieren die Teilnehmer des Konvents ihre 149 Vorschläge, darunter die Einführung des Straftatbestands des Ökozids Bild: Katrin Baumann

Die Regierung kündigte kürzlich ein Gremium zufällig ausgewählter französischer Bürger an, das Frankreichs Covid-19-Impfprozess begleiten soll. Auf lokaler Ebene arbeiten die Städte Marseille, Nancy und Poitiers an Instrumenten, um die Einwohner mehr einzubinden – angefangen bei der Bewertung der Auswirkungen der Corona-Pandemie bis hin zur Wiederbelebung maroder Stadtzentren.

Und auch bei einigen Teilnehmern hat der Konvent etwas bewegt. So hat sich Aucant als unabhängiger Kandidat auf einer Bürgerliste eintragen lassen, um bei den Regionalwahlen in Nantes, einer Stadt im Westen Frankreichs, im nächsten Frühjahr für mehr Nachhaltigkeit zu werben.

"Früher hat mich die Politik nicht interessiert, ich war eher desillusioniert. Aber das Wissen um die Klimafrage hat mich umdenken lassen", sagt Aucant. "Es ist ein so wichtiges Thema, es muss ganz oben auf der öffentlichen Agenda stehen. Als Bürger möchte ich mich jetzt dafür einsetzen, dass sich in meiner Umgebung etwas ändert."