Klimawandel beim Petersburger Dialog
20. Juli 2019"Es war eine sehr angenehme Diskussion". "Das Positive überwiegt". "Es ist das erste Mal seit Jahren, dass sich in der gesamten Veranstaltung diese Freundlichkeit aufgebaut hat". Solche Einschätzungen beim Petersburger Dialog, der am Freitag in Königswinter bei Bonn zu Ende ging, waren zuletzt selten zu hören. Ähnlich wie die Politik erlebte auch das deutsch-russische Zivilgesellschaftsforum 2014 eine Zäsur, ausgelöst durch die Krim-Annexion und den Krieg in der Ostukraine. Gespräche in Arbeitsgruppen wurden von Schuldzuweisungen überschattet, der Ton war rau. Manche Teilnehmer zweifelten, ob das 2001 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Russlands Präsident Wladimir Putin ins Leben gerufene Forum noch Zukunft hat. Doch das Treffen in diesem Jahr zeigte, dass es auch anders geht: freundlich, sachlich und konstruktiv trotz bestehender Differenzen.
Außenminister Lawrow und Maas appellieren an Gemeinsamkeiten
Die Wende hat sich vor Monaten angekündigt. Es gab Berichte, wonach Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Putin dabei hätten sein können. Es wäre eine Rückkehr zu einer Tradition gewesen, denn früher war der Petersburger Dialog von Regierungskonsultationen begleitet. Der hohe Besuch schien wegen neuer Umstände möglich: Die Russische Delegation kehrte nach einem langen Streit in die Parlamentarische Versammlung des Europarats zurück, die Bundesregierung kündigte den Ausbau wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit Moskau trotz Sanktionen an. Doch Merkel und Putin kamen nicht. Es waren die Außenminister, die dem Forum neue Impulse gaben.
Sergej Lawrow und Heiko Maas appellierten an Gemeinsamkeiten, als sie bei der Eröffnungsfeier am Donnerstag vor rund 300 Gästen aus Politik, Wirtschaft und Kultur im geschichtsträchtigen Hotel Petersberg sprachen. Man suche nach "Schnittmengen", so das Stichwort von Maas, das von vielen aufgegriffen wurde. Es war klar, dass beide Außenminister die jüngsten Entwicklungen in der Ukraine, etwa die Wahl von Wolodymyr Slenskyjs zum neuen Präsidenten, den Truppenabzug in einem Städtchen bei Luhansk oder die für Sonntag angekündigte Waffenruhe als Zeichen einer neuen und positiven Dynamik sehen.
Armin Laschet umwirbt Russen mit emotionaler Rede
Es war Armin Laschet, der den Petersburger Dialog auf den Petersberg brachte. Vor über zwei Jahren habe ihn der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens darauf angesprochen, dass er das Forum nach Bonn holen möchte, erzählte der deutsche Co-Vorsitzende Ronald Pofalla beim Abschluss. Der Hintergrund: Bonns Bedeutung in der Geschichte Nachkriegsdeutschlands aber auch in der Bedeutung Russlands, beziehungsweise der Sowjetunion, deren Staatschefs hier waren.
Laschet selbst hielt bei der Eröffnung eine Rede, die mehrmals von Applaus unterbrochen wurde. Der CDU-Politiker bedankte sich für Versöhnung mit den Russen nach Millionen Opfern im Zweiten Weltkrieg, er erinnerte an die Ostpolitik des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt sowie an die Rolle Russlands bei der deutschen Wiedervereinigung. "Es war eine Rede, die verstanden hat, emotional etwas zu wecken, was schwer zu wecken ist in letzter Zeit", sagt Martin Hoffmann, Geschäftsführer beim Petersburger Dialog. Laschet selbst meint, dass in Königswinter eine Annäherung zwischen Russland und Deutschland spürbar war. "Die Tonlage ist eine andere als vor einem Jahr und als vor zwei Jahren", so der Politiker in einem DW-Gespräch. "Man darf Probleme nicht überdecken, aber man muss neben aktuellen Diskussionen, die da sind, die Gemeinsamkeiten versuchen mit Leben zu erfüllen".
Dialog klappt am besten, wenn Ukraine ausgeklammert wird
Was das konkret bedeutete, ließ sich in der Arbeitsgruppe Politik beobachten. Sie gilt als besonders spannungsgeladen. Offenbar vor diesem Hintergrund wurde das Konflikt-Thema Ukraine zunächst komplett ausgelassen. Stattdessen sprachen die Teilnehmer über das Ende des INF-Vertrags und damit verbundene Gefahren für die Sicherheit in Europa, außerdem sprachen sie über China und die Globalisierung. Es gab Gemeinsamkeiten, aber auch Differenzen. So sehen deutsche Teilnehmer den Aufstieg Chinas als globale Supermacht als eine gemeinsame Herausforderung, während die Russen von einem "bequemen Partner" sprachen. Darüber, ob die Globalisierung gescheitert sei oder nicht, gab es unterschiedliche Ansichten sogar innerhalb der russischen Delegation. Zu den Gemeinsamkeiten zählte die Einschätzung, dass die aktuelle Weltlage gefährlicher sei als seinerzeit im Kalten Krieg.
Irgendwann war klar, dass die Ukraine-Frage wie ein weißer Elefant im Raum steht und die zentrale Ursache für die Verschlechterung deutsch-russischer Beziehungen bleibt, wie es ein deutscher Teilnehmer formulierte. "Ohne eine Lösung ist eine Annäherung zwischen Deutschland und Russland nicht möglich, doch niemand will nachgeben", stellte ein russischer Experte fest. Doch Lösungen wurden in der Arbeitsgruppe nicht diskutiert, lediglich die bekannten Ansichten höfflich ausgetauscht. Ungewöhnlich war, dass ein prominenter russischer Politiker zehn Punkte für eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland vorgeschlagen hat, darunter keine Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa oder Visa-Erleichterungen für die Jugend; ein Thema das auch Ronald Pofalla vorantreiben will. Nur ein Punkt betraf die Ukraine: ein Bekenntnis zu den Minsker Vereinbarungen. Die Vorschläge bekamen Zustimmung und wurden ergänzt.
Bei so viel Harmonie drinnen versuchten ein halbes Dutzend Aktivisten draußen, an Russlands Vorgehen in der Ukraine und Georgien zu erinnern. Sie standen am Straßenrand mit Fahnen und Plakaten, als die Konferenzteilnehmer am Donnerstagabend auf dem Weg zum Empfang waren. Die Polizei nahm ihnen jedoch einige Plakate ab, auf denen Russlands Präsident als "Mörder" bezeichnet wurde. Nun werde die Staatsanwaltschaft prüfen, ob es eine Beleidigung war und ob die Protestler bestraft werden sollen, teilte die Bonner Polizei auf DW-Anfrage mit.
FDP-Politiker Lambsdorff: Keine Rückkehr zum "business as usual"
Ob auf den Klimawandel beim Petersburger Dialog nun auch eine "Aufwärmung auf staatlicher Ebene" folgt, worauf der russische Co-Vorsitzende Viktor Subkow hofft, ist unklar. Eine Rückkehr zum "business as usual" werde es nicht geben, meint der FDP-Bundestagsabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff. "Solange im Osten der Ukraine die Spannungen andauern, die Sanktionen in Kraft sind und es keine Bewegung im Dialog zwischen NATO und Russland gibt, solange wird es kein 'business as usual' geben", so Lambsdorff. Und er fügt hinzu: "Es wäre das falsche Signal".