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Wie der Klimawandel den Golfstrom verändert

Tamsin Walker | Brigitte Osterath
21. Januar 2017

Warme Meeresströmungen bescheren uns in Europa gemäßigte Temperaturen. Einer aktuellen Studie nach wird dieses System in Zukunft möglicherweise zusammenbrechen. Müssen wir uns Sorgen machen?

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Golfstrom
Der Golfstrom bringt warmes Wasser von Florida nach EuropaBild: cc-by:RedAndr-sa

Voraussagen wie diese eignen sich hervorragend, um den bevorstehenden Weltuntergang zu verkünden, und sind ein gefundenes Fressen für Drehbuchschreiber, Pessimisten und die Presse. Eine aktuelle Studie zur großen Umwälzströmung im Atlantik - umgangssprachlich Golfstrom genannt - gibt erneut Anlass, das Schlimmste zu befürchten. Was steckt dahinter?

Forscher von der US-Universität Yale haben anhand von Modellen berechnet, dass das System des Golfstroms unter dem Klimawandel kollabieren könnte. Das würde "ein bedeutend kaltes" Zeitalter im nördlichen Nordatlantik - vor allem in Nordeuropa und Kanada - und den benachbarten Regionen mit sich bringen, außerdem mehr Meereseis bei Grönland, Island und Norwegen. Die Studie erschien diesen Monat im Journal "Science Advances".

Seltsam? Normalerweise assoziieren wir den Klimawandel eher mit immer höheren Temperaturen, schmelzenden Gletschern und Eisbären, die ihren Lebensraum verlieren. Mit dem Golfstrom geht der Klimawandel anders um: Der Nordatlantikarm des Golfstroms bringt warmes Klima von den Tropen in den Nordatlantik. Wenn das Wasser dort seine Wärme abgibt und kälter wird, fällt es in Richtung Meeresboden und zirkuliert zurück in die wärmeren Tropen. Dort beginnt die Reise erneut. Der Nordatlantikstrom ist mit ein Grund, warum Europa und Teile Nordamerikas ein so gemäßigtes Klima haben.

Wenn aber die Kohlendioxidkonzentrationen in der Atmosphäre ansteigen, könnte sich im Nordatlantik die Luft so stark aufheizen, dass das Wasser des Golfstroms dort nicht genug abkühlen kann. Es würde nicht nach unten sinken und würde daher auch nicht zurück in die Tropen gelangen. Das System würde zusammenbrechen.

Genau das könnte der Studie nach passieren, und zwar "300 Jahre, nachdem die atmosphärischen CO2-Konzentrationen sich seit 1990 verdoppelt haben". Zu diesem Ergebnis kommen die Forscher, nachdem sie Meeresströmungen zwischen der Arktis und dem Atlantik mit in ihr Modell einbezogen haben - etwas, das ihrer Aussage nach in früheren Simulationen dieser Art nicht berücksichtigt wurde.

Keine neue Eiszeit

"Wenn man Leuten sagt, es besteht die Gefahr einer Abkühlung, dann denken sie gleich an einen Weltuntergang durch eine neue Eiszeit", sagt Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung der DW. "Das aber ist extrem übertrieben."

Symbolbild Arktischer Rat Arktis Eisschollen Nordpol Klimawandel
Keine neue Eiszeit in SichtBild: imago/chromorange

Einige Forscher glauben sogar, dass der Golfstrom gar nicht für unsere milden Winter verantwortlich ist. Richard Seager vom Lamont Doherty Erdobservatoriums der Columbia-Universität legte im Jahr 2002 dar, dass nicht die Meeresströmungen, sondern die Winde aus den Tropen Wärme nach Europa bringen. Ein Versiegen der warmen Strömung hätte dann gar keinen Effekt auf unsere Temperaturen.

Allerdings würde eine Störung der Strömung wahrscheinlich die Ökosysteme des Ozeans durcheinanderbringen und damit auch der Fischerei schaden, schreibt das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung auf seiner Webseite. Eine Abschwächung des Golfstroms könnte auch den Meeresspiegel in New York und Boston und anderen Städten ansteigen lassen.

Nur Panikmache?

Rahmstorf forscht selbst an den Strömungen im Golfstromsystem und ob sie sich durch die Erderwärmung verlangsamen. Es bestehe "ein ziemlich ernstzunehmendes Risiko", sagt er. Erst 2015 berichteten Rahmstorf und sein Team in "Nature Climate Change", dass das Golfstromsystem bereits an Kraft verliere. Ihre Ergebnisse basieren auf Modellen, die einen Zusammenhang zwischen Ozeantemperatur und Strömung herstellen. Demnach habe die Umwälzung durch die Meeresströmung im letzten Jahrhundert, besonders seit 1970, abgenommen. Dafür machten die Forscher das Abschmelzen des grönländischen Eisschilds verantwortlich: Das von dort plötzlich einströmende Süßwasser verdünnt das Meerwasser, macht es weniger dicht und verhindert so sein Absinken, erklärten die Autoren.

Das Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel fand Mitte 2016allerdings heraus, dass der Nordatlantikstrom bisher weniger vom Schmelzwasser beeinflusst ist als gefürchtet. "Ein großer Teil des Schmelzwassers fließt entlang des amerikanischen Kontinents nach Süden ab und damit werden Veränderungen in den kritischen Bereichen des Nordatlantiks verzögert", sagte damals Claus Böning, Leiter der Studie. Wenn das Eis in Grönland aber weiter so schmilzt wie bisher, könnten in zwei bis drei Jahrzehnten erste Veränderungen bemerkbar werden, fügte er hinzu. "Unsere Studie zeigt also nur eine Galgenfrist für den Golfstrom."

Andere Forscher können nicht bestätigen, dass heute bereits Abschwächungen des Golfstroms messbar sind. Monika Rhein und ihre Kollegen vom Institut für Umweltphysik der Universität Bremen untersuchten mit im Meeresboden verankerten Echoloten den Wassertransport im Nordatlantikstrom über eine Zeit von 21 Jahren. Ihr Ergebnis: kein Trend nachweisbar, schreiben sie in ihrer Studie. In einer späteren Studie habe sich dasselbe gezeigt, sagt Monika Rhein der DW. "Der Nordatlantikstrom hat sich weder abgeschwächt noch hat er zugenommen." Allerdings schwanke die Stromstärke von Jahr zu Jahr stark, so dass langfristige Effekte schwer zu beobachten seien.

Trotzdem ist sich Rhein sicher, dass wir in Zukunft weniger auf den Golfstrom werden zählen können. Alle Klimamodelle seien sich einig, dass es in Europa im Zuge der Erderwärmung weniger warm werden wird als anderswo. Der Grund kann nur einer sein: "Auf einer langen Zeitskala wird sich der Nordatlantikstrom vermutlich tatsächlich abschwächen." Dadurch wird die Erderwärmung an diesen Orten weniger stark zuschlagen als anderswo.

China Kohlegrupe in Shanxi
Klimawissenschaft beweist: Alles steht miteinander in ZusammenhangBild: Getty Images/K. Frayer

Vielleicht schneller als erwartet

Die nun neu veröffentlichte Studie sagt voraus, dass es nach einer Verdopplung der CO2-Konzentrationen noch 300 Jahre dauern wird, bis das System Golfstrom kippt. Stefan Rahmstorf meint, dass es aber auch sehr viel schneller gehen könnte. Beispielsweise hätten die Forscher in Yale das Schmelzwasser in Grönland noch gar nicht in ihre Berechnungen einbezogen. Das aber könnte den Vorgang des Umkippens beschleunigen.

Autor Wei Liu von der Yale-Universität gibt zu, er sei noch im Frühstadium seiner Forschungsarbeit. "Das ist nur ein erster Schritt", sagt er der DW. Er und seine Kollegen planten bereits weitere Arbeiten, die, so hofft er, detailliertere Ergebnisse liefern. "Der Zusammenbruch nach 300 Jahren, das Ausmaß, wie stark sich der Nordatlantik abkühlt - all das kann sich in unterschiedlichen Modellen und Erwärmungsszenarien ändern." Für diese Studie habe er ein "abgemildertes" Modell benutzt.

Prävention ist die Lösung

Aber auch wenn die Autoren in ihren Simulationen noch Raum für Schwankungen lassen, weiß Rahmstorf ihre Arbeit zu schätzen. Ihre Forschung mache der Gemeinschaft von Klimamodellierern klar, dass es da ein potenzielles Risiko gebe, das bisher nicht angemessen bewertet worden sei. "Auch informiert die Studie die Öffentlichkeit darüber, dass es Umschlagpunkte im Klimasystem gibt, die nur wenig verstanden sind und in der Vergangenheit möglicherweise unterschätzt wurden."

Was genau Nordeuropa bei einem Versiegen des Golfstroms erwarten würde, sei unmöglich vorherzusagen: "Es würde solche massiven Veränderungen bedeuten, dass ich nur schwer spezielle Vorhersagen für die menschliche Gesellschaft machen kann."

Wie auch andere Forscher meint Ramerstorf, dass man die Welt nicht erschrecken, sondern warnen sollte. Denn noch gebe es die Chance, ein mögliches Weltuntergangsszenario zu verhindern. Laut Liu gibt es vor allem einen Weg: unseren CO2-Ausstoß zu verringern.